Sie entschloss sich zu einem Kompromiss. Sie würde sich bereits um halb sieben Uhr mit Simon treffen. So lange würde die Aussprache mit ihm sicher nicht dauern. Sie würde dann den Termin mit dem Grafen doch noch wahrnehmen können.
Simon war sehr erfreut, dass seine Frau so früh nach Hause kam. Er schloss daraus auf ihr großes Interesse, den Konflikt beizulegen.
Noch in der Tür versuchte er, sie zu umarmen. Aber sie wich einen Schritt zurück. So als sei nichts geschehen, eilte er nun in die Küche, holte zwei Gläser und eine Flasche Rotwein, während seine Frau den Mantel auszog. Sie setzten sich in die mächtige Couchgarnitur, und er schenkte ein.
Suzan hatte nicht die geringste Lust jetzt Rotwein zu trinken. Sie würde mit dem Grafen am späten Abend noch genügend Alkohol konsumieren müssen. Und sie brauchte bei diesem Treffen einen klaren Kopf. Aber sie wollte Simon nicht schon wieder enttäuschen. Deshalb stieß sie mit ihm an und nippte an ihrem Glas.
„So, nun erzähl mal“, sagte sie freundlich. „Was ist denn los?“
Der mütterliche Ton öffnete bei dem Mann alle emotionalen Schleusen. Er begann, sie mit Vorwürfen zu überschütten. Sie sei so gefühlskalt geworden, interessiere sich nur noch für ihre Karriere. Er könne gern auf diese prachtvolle Wohnung verzichten und wieder in die schäbige Studentenbude von damals zurückkehren, wenn damit auch ihre alte Gemeinsamkeit wiederhergestellt würde.
Innerlich nickte Suzan. Das konnte sie gut verstehen. Auch ihre war diese Wohnung mit ihren sechs großen Zimmern ziemlich gleichgültig. Man hatte sie für die Ministerin ausgesucht, und sie bekam einen Mietkostenzuschuss. Die Größe und Ausstattung der Wohnung war wichtig, denn man erwartete, dass sie auch offizielle Gäste einlud und für die Regierung repräsentierte.
Die banalsten Dinge wurden nun von Simon zur Sprache gebracht. Dass sie ihn auf irgendeinem Empfang den wichtigen Leuten nicht vorgestellt hatte. Dass sie ihn und seine Arbeit nicht respektiere. Und natürlich, dass sie keinen Sex mehr mit ihm hatte. Dies schien ihn am meisten zu bedrücken und zu verletzen.
Sie hörte sich alles ruhig an und entgegnete nichts. Sie verteidigte sich nicht und verzichtete auf Gegenangriffe. Dabei hätte sie auch eine Menge vorzubringen gehabt. Seine ewig weinerliche Art, die er sich angewöhnt hatte. Diese ständigen stummen Vorwürfe. Sein wichtigtuerisches Gerede, wenn er sie zu offiziellen Feiern begleitete. Merkte er denn nicht, wie sehr er sich blamierte und sie mit? Die Leute waren höflich und hörten ihm zu, aber sie suchten bei der erstbesten Gelegenheit das Weite. Und sie schämte sich dann für ihren Mann, dem jegliches Feingefühl für gesellschaftliche Nuancen fehlte.
Irgendwann fragte sie: „Und was willst du wirklich?“
Nun änderte sich sein Ton. Er verlor seine Aggressivität und wurde weinerlich. Sie befürchtete schon, er würde in Tränen ausbrechen. Aber er beherrschte sich und berichtete dann von seinen Problemen im Beruf. Dass er wegen seiner Ehe mit der Frau Minister unter besonderer Beobachtung stand. Dies sei für ihn eine enorme psychische Belastung.
Noch werde er mit Vorsicht und Respekt behandelt, aber, so seine Befürchtung, wenn seine Frau in der Öffentlichkeit weiterhin so kritisiert würde oder sogar zurücktreten müsste, dann würden sie alle über ihn herfallen. Dann würde man ihm im Lehrerzimmer nur noch mit Häme begegnen. Er würde von allen Kollegen den schlechtesten Stundenplan bekommen. Seine Stunden wären dann über die ganze Woche verteilt und jeden Tag hätte er eine Menge Leerstunden, sodass er sich von morgens bis zum späten Nachmittag in der Schule aufhalten müsste. Bisher sei sein Stundendeputat konzentriert. Er hatte sogar zwei Tage in der Woche frei. Auch mit den Schülern und den Eltern seien Probleme zu erwarten.
„Und was soll ich tun?“ fragte sie trocken und nahm nun doch einen großen Schluck von dem Wein. Ihr Mann hatte sich, während er redete, schon mehrfach nachgeschenkt und seine Zunge wurde inzwischen schwer.
„Du musst mir helfen, dass ich an eine andere Schule versetzt werde.“
„Du bist gut! Du suchst ganz offen eine neue Frau, drohst mir mit Scheidung und gleichzeitig erwartest du, dass ich deine beruflichen Probleme löse?“
„Diese Probleme habe ich doch nur wegen dir.“
„Das behauptest du.“
Sie sah, wie seine Lippen ganz schmal wurden, und hörte seine gepresste Stimme: „Wenn du mir nicht hilfst, mache ich dich fertig! Du bist doch schon am Kippen. Ich kann dir den Todesstoß versetzen.“
Wütend stellte sie ihr Glas auf den Tisch und sprang auf.
„So kannst du mit mir nicht reden. Was geht eigentlich in deinem Kopf vor sich? Bist du denn noch zu retten? Was du hier versuchst, ist eine glatte Erpressung. Du glaubst doch nicht, dass ich mir von meinem eigenen Ehemann mit Erpressung drohen lasse!“
Nun brach Simon völlig zusammen.
„Bitte, so habe ich es nicht gemeint. Ich will dich doch nicht erpressen“, rief er weinerlich. „Ich brauche doch nur deine Hilfe! Hast du denn gar kein Mitleid?“
Suzan setzte sich wieder und zwang sich zur Ruhe. Es hatte keinen Sinn, mit diesem betrunkenen Mann zu streiten.
„Ich will dir gerne helfen“, sagte sie beschwichtigend. „Aber das ist nicht so einfach. Wie du weißt, sind Schulen Ländersache. Der Schulsenator von Berlin mag es gar nicht, wenn Mitglieder der Bundesregierung an ihn Forderungen stellen. Aber ich will mein Möglichstes tun.“
Inzwischen war es halb neun Uhr, und Suzan musste bald gehen. Das teilte sie dem betrunkenen Mann mit. Der brach in Tränen aus.
„Du willst mich schon wieder verlassen? Dabei dachte ich, wir würden miteinander schlafen, ein wenig kuscheln. Bitte, ich brauche dich so sehr! Schlafe wenigstens noch mit mir, bevor du gehst. Dann habe ich das Gefühl, es wird alles gut.“
Sie überlegte, ob sie auf diesen Wunsch eingehen sollte. Zeit für ein Quicky war noch. Dann wäre er zufrieden und ruhiggestellt, und sie hätte den Rücken frei. Doch dann beschloss sie, sich auch nicht für den eigenen Mann zu prostituieren. Sie stand auf und ging in ihr Schlafzimmer, um sich umzuziehen. Dabei hörte sie, wie er zur Toilette rannte und sich dort übergab.
11
Punkt neun Uhr stand die schwarze Limousine unten vor dem Haus. Woher hatte der Graf gewusst, dass sie zu Hause war? Sie hatten keinen Treffpunkt ausgemacht. Als sie ins Auto stieg, spürte sie den Rotwein, aber sie war nicht wirklich betrunken. Der Graf begrüßte sie mit einem galanten Handkuss, als habe es nie einen Streit zwischen ihnen gegeben. Dann bewunderte er ihr Kleid und bemerkte sogleich, dass es aus dem Haus Versace stammte. Er habe diesen Stil schon immer gemocht, erklärte er, um dann sogleich fortzufahren: „Zuerst werden wir uns öffentlich sehen lassen. Wir müssen demonstrieren, dass du nicht isoliert bist.“
„Ich muss meinem Personenschutz Bescheid sagen.“
„Das wird nicht nötig sein. Uns folgt ein Auto mit Bodyguards. Das ist doch selbstverständlich.“
„Wohin fahren wir?“
„Zuerst einmal ins Café Einstein. Wir sollen zusammen gesehen werden.“
Suzan nickte. Das war eine gute Idee. Das Café Einstein war ein Szenentreffpunkt. Dort verkehrten Politiker ebenso wie Künstler, Autoren oder Medienleute. Wenn man mit jemandem gesehen werden wollte, so war das Einstein dazu der beste Ort. Der Graf kannte sich aus.
Dem Fahrer wurde mitgeteilt, er solle nach genau dreißig Minuten wiedererscheinen, dann setzten sich die Beiden an einen Ecktisch und bestellten Espresso und Cappuccino. Natürlich sah niemand auffällig zu ihnen herüber. Aber wer die Ministerin und den Grafen erkannte, der würde am nächsten Tag darüber sprechen.
Für das Abendessen hatte Graf Manderscheidt das Margaux, eine exklusive Gaststätte mit einem Stern, ausgesucht. Souverän stellte er das Menü zusammen und orderte einen exquisiten Chablis.
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