Seit sie zu ihm in den Wagen gestiegen war, plauderte der Graf ununterbrochen. Dabei war es Suzan gar nicht nach Small Talk zumute. Sie wurde immer ungeduldiger, wollte den Grafen aber auch nicht drängen. Zuviel stand für sie auf dem Spiel. Nun kam er endlich zur Sache.
„Frau Minister“, sagte er und grinste geheimnisvoll, „da hast du dir ganz schön etwas eingebrockt. Ist dir denn nicht klar, dass du unter permanenter Beobachtung stehst?“
„Auch jetzt? Hier in diesem Lokal?“ fragte sie entgeistert.
„Auch hier und jetzt“, war die trockene Antwort. „Ich wusste gar nicht, dass man so naive Leute wie dich zu Ministern macht. Aber wahrscheinlich muss man ein wenig naiv sein, um den Posten auch anzunehmen.“
Da war sie wieder diese entwaffnende Ironie.
„Und wer beobachtet uns hier?“
„Das weiß ich nicht. Irgendein treuer Bürger schnappt eine Bemerkung von dir auf und ruft sogleich die Redaktion seiner Zeitung an. Wenn dir eine Naht an deinem Kleid platzt, zücken bestimmt drei Leute ihr Fotohandy und schicken das Bild sogleich per MMS an die Bildzeitung. Du kennst dich doch aus. Stell dich nicht dümmer an, als du bist.“
Inzwischen servierten die Kellner die Suppe, und der Graf kostete vorsichtig einen Löffel voll, so als müsste er testen, ob die Speise auch nicht giftig sei. Abwägend wandte er den Kopf hin und her und sagte dann: „Es fehlt ein Hauch Salz, und ein Tropfen Zitronensaft mehr hätte auch nicht geschadet. Das bin ich von dem Koch hier gar nicht gewohnt. Aber ich werde nicht reklamieren. Ansonsten ist die Suppe essbar.“
Die Suppe war nicht nur essbar, sondern köstlich, und der Chablis passte genau dazu.
„Und für wen bin ich so interessant?“ nahm die Ministerin den Gesprächsfaden wieder auf.
„Vor allem für die Klatschpresse, aber auch die CO 2-Maffia hat es auf dich abgesehen.“
Er sah ihren fragenden Blick und fuhr fort: „Das sind eine Menge Leute. Ich hoffe, dir ist inzwischen klar, es geht um sehr, sehr viel Geld. Damit aber nicht genug. In dieser Mafia vereinen sich scheinbar erbitterte Gegner. Das sind die Erzeuger von alternativen Energien, die Kraftwerkbetreiber, die Hersteller der Windräder und der Fotovoltaik, ebenso wie die Umweltschutzverbände mit ihrem enormen Spendenaufkommen. Es sind die Elektro- und Automobilkonzerne und sogar die Hersteller von genmanipuliertem Saatgut. Und nicht zuletzt alle, die am Handel mit Emissionszertifikaten beteiligt sind. Wer sich einen neuen Markt erschließen will, und wer will das nicht, der setzt auf die CO 2-Karte. Am wichtigsten aber sind die Politiker, die mit dem Menetekel Erderwärmung jeden Schwachsinn durchsetzen können. Alle haben gemeinsam einen Feind - oder soll ich lieber sagen ‚Freund‘ - nämlich das von Menschen produzierte Kohlendioxid, also CO 2. Es wird schließlich, wie du weißt, für den Klimawandel, für die Erwärmung der Erde verantwortlich gemacht. Wie du siehst, geht es hier um eine ganze Menge. Die Anti-CO 2-Liga ist wohl zurzeit der expansivste, nein der wichtigste Wirtschaftszweig weltweit. Wer will schon verantworten, dass der Meeresspiegel um einen Meter steigt und ganz Holland im Meer versinkt?“
Er hatte sich in Begeisterung geredet und stockte nun einen Moment. Dann fügte er lächelnd hinzu: „Obgleich das natürlich physikalisch gesehen Unsinn ist. Aber wen stört dies! Selbst gestandene Physiker erheben schließlich keinen Einspruch.“
Er sah ihren verstörten Gesichtsausdruck.
„Du verstehst nicht, was ich meine. Für eine Umweltministerin bist du aber ziemlich unbedarft. Natürlich steigt der Meeresspiegel nicht an, wenn das Polareis schmilzt. Kennst du nicht mehr aus deinem Physikunterricht im Gymnasium das triviale Experiment. Man füllt ein Glas mit Wasser, gibt Eiswürfel hinzu und macht einen Eichstrich auf dem Glas bei der Höhe des Wasserstandes. Der Wasserstand bleibt gleich, auch wenn das Eis geschmolzen ist. Ich sage nur ‚spezifisches Gewicht‘. Aber wen interessiert das. ‚Holland unter Wasser‘ und die ‚Fitschiinseln im Meer versunken‘ ist doch viel aufregender. Wen interessiert es, dass die Erde auf Grund der nachlassenden Aktivitäten der Sonne einer Kälteperiode entgegengeht? Mit der Klimaerwärmung kann man alles begründen. Warme Sommer, kalte Sommer, Trockenheit und Dauerregen. Und weil das so ist, gibt es ein Dogma, dem jeder in verantwortlicher Stellung gehorchen muss: es darf nicht angezweifelt werden, dass wir in eine Klimakatastrophe hineintaumeln, die ihre Ursache in dem von Menschen verursachten CO 2-Ausstoß hat. Wer gegen dieses Dogma verstößt, wird erbarmungslos vernichtet. Ja selbst der Umgang mit diesen Ketzern ist verboten.
Genau gegen dieses Dogma hast du verstoßen. Dieser Professor Schmidt muss ein Verrückter sein. Er hat seine eigene Karriere vernichtet und sich selbst jede Existenzgrundlage entzogen. Und schon ein einziges Treffen mit ihm kann verhängnisvoll sein, wie du ja inzwischen leidvoll erfahren hast.“
Der Graf wurde in seiner langen Rede durch den nächsten Gang unterbrochen. Zanderfilet. Wieder kostete Manderscheidt ganz vorsichtig, so als sei er bereit, den giftigen Brocken sogleich wieder auszuspucken. Doch der Zander im Kräutermantel fand seine Zustimmung.
Das gab Suzan die Gelegenheit zu einer Frage, die ihr schon eine Weile auf der Zunge lag: „Welche Position nehmen Sie denn selbst ein?“
Der Graf legte, als er die Frage hörte, das Besteck aus der Hand und lachte. Dieser sonst so distinguierte Mann lachte so laut, dass die Gäste von den Nebentischen zu ihnen herüberblickten.
„Was ich selbst meine, fragst du? Ich gehöre doch auch zu dieser Mafia und verdiene nicht schlecht dabei. Das CO 2-Dogma ist die lukrativste Ideologie, seit die römisch-katholische Kirche entmachtet worden ist. Sie hält sich nun schon seit beinahe zwei Jahrzehnten. Weder das Waldsterben, noch das Ozonloch, weder die Vogel-, Schweine- und sonstige Grippen haben bisher so viel Profit abgeworfen.“
Suzan hätte ihn am liebsten geohrfeigt, aber sie musste seinen Zynismus aushalten. Schließlich ging es um ihren Kopf. Ungeduldig fragte sie: „Hat der Mensch nun den Klimawandel verursacht oder nicht?“
„Suzan, das ist mir egal. Sicher, die Computer spucken Klimamodelle aus. Aber Computer können nur das berechnen, was man ihnen eingibt. Solange unsere Computer nicht einmal das Wetter der nächsten vierzehn Tage mit einiger Wahrscheinlichkeit voraussagen können, glaube ich ihnen keine Vorhersage für die nächsten hundert Jahre. Aber es spielt für uns heute doch gar keine Rolle, ob wir in eine Wärmeperiode hineinschliddern oder in eine neue Eiszeit, ob das CO 2wirklich der auslösende Faktor ist, und wenn, ob es auch das von Menschen erzeugte Kohlendioxid ist.
Wichtig ist allein, dass wir es geschafft haben, CO 2zum Totschlagargument hoch zu stilisieren, mit dem alles, aber auch wirklich alles, begründet und durchgesetzt werden kann. Noch nie hatten es die Lobbyisten so leicht. Sie müssen nur das Wort ‚Klimakatastrophe‘ sagen, und schon widerspricht ihnen niemand mehr, und sie erhalten alles, was sie wollen. Und du glaubst doch nicht, dass wir uns das von ein paar Querköpfen, die immer an allem zweifeln müssen, kaputtmachen lassen! “
Den letzten Satz hatte der Graf mehr zu sich selbst gesagt. Nun wandte er sich wieder seinem Zander zu.
Suzan hatte inzwischen Gänsehaut. Es war ihr klargeworden, in welche gigantische Maschinerie sie da hineingeraten war, und wen sie sich zu Feinden gemacht hatte.
„Und, was soll ich jetzt tun?“ fragte sie mit erstickter Stimme.
Sie war so aufgeregt, dass sie vom Essen nichts schmeckte. Man hätte ihr auch Kartoffeln pur servieren können, und sie hätte sie auf die Nachfrage des Grafen hin gelobt.
„Ich bringe das schon in Ordnung“, sagte er beruhigend. „Ich werde dich exkulpieren und in zwei Wochen redet niemand mehr über deine angeblichen Affären. Doch bitte nimm dich in Zukunft in Acht und ganz besonders, meide diesen Josef Schmidt und jeden anderen CO 2-Leugner, der dir begegnen sollte. Denke immer daran, du stehst weiter unter Beobachtung, und man kann es nicht zulassen, dass ausgerechnet du, die Umweltministerin, gegen das zentrale Tabu verstößt.“
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