1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 ___________________
Zum Ende der mittleren Steinzeit oder der Jungsteinzeit verfügen die Hominiden über eine Kommunikation mit einfacher Laut- oder vielleicht auch einer frühen Einwortsprache. Sie hilft beim Sammeln und Jagen und belebt den „Klatsch und Tratsch“17 am Lagerfeuer. Dass die Hominiden in den Jahrmillionen ihrer Entwicklung sprechfähig werden, zeigen paläoanthropologische Befunde28: Der Sprechapparat der Hominiden kann eine Vielzahl von Phonemen oder Vokalisierungen erzeugen und er kann diese auch hören und wohl auch unter-scheiden. Wie fortgeschritten diese neue-, Mimik und Gestik ergänzende-, Laut- oder stimmliche Sprache bei den Hominiden war, ist Spekulation. Sprachen hinterlassen keine Spuren. Stimmen und Laute sind noch keine Sprache. Sie bestätigen allein das Vorhandensein eines Sprech-apparates oder einer Sprachfähigkeit. In einer sesshaften- und von Hierarchie oder von einer neuen Ordnung bestimmten Gesellschaft aber muss sich Sprache verändern. Aus einer gestisch begleiteten Laut- oder Einwortsprache am Lagerfeuer muss eine von Vielen verstehbare grammatikalische Ansprache werden.
Ist die menschliche Sprache mit ihren Wortsymbolen und grammatikalischen Hilfen eine Fort- oder Weiter-entwicklung früherer in der Evolution angelegter Formen von Kommunikation? Oder ist die menschliche Sprache in einem einmaligen oder revolutionären Akt der Evolution entstanden? In der Vorstellung heutiger Sprachforscher wird die grammatikalische Sprache als eine Weiter-entwicklung von Hominiden-Kommunikation gedeutet. Andererseits ist der Übergang von der Einwortsprache in eine grammatikalische Sprache ein wirklich revolutionärer Schritt. Die mit dem Homo sapiens aufgekommene gedankliche- oder kognitive Intelligenz braucht kein spezielles Sprachmodul. Sie kann neue Begriffe konstruieren, kann Vergangenheit, Gegenwart und jetzt auch Zukunft, kann Eigenschaften, ein- oder Mehrzahl und Vergleiche sprachlich verdeutlichen und Worte durch grammatikalische Hilfen zu gedanklichen Aussagen optimieren. Eine grammatikalische Sprache zu entwickeln braucht die kreative Intelligenz des Homo sapiens. Die Fähigkeit zu abstrahieren ist gefordert.
Schließlich macht die Fähigkeit der Abstraktion aus einer Bilderschrift eine Buchstabenschrift35: In der Bilderschrift vermitteln Bilder, was ich zu sagen versuche. Dann aber hatte wiederum ein unbekannter „Hero“ die geniale Idee mit abstrahierten Bildern der Keilschrift nicht mehr Bilder sprechen zu lassen, sondern sie zu Buchstaben zu machen, die unter-schiedliche Laute oder Phoneme repräsentieren. Die Buchstabenschrift als Sprachäquivalent wurde geboren. Wie der aus nur vier Aminosäuren entstandene genetische Code eine unendliche Zahl von biologischen Wesen schaffen kann, schafft es die Buchstabenschrift aus wenigen Buchstaben eines Alphabetes eine unendliche Zahl von Worten und Schriften entstehen zu lassen. Als kulturelle Errungen-schaft folgt die Schrift den biologischen Vorgaben des Genoms.
Bei der Schriftentwicklung wird zunächst Bildern eine Bedeutung zugesprochen und die Bilderschrift entsteht. Dann erzwingen Materialien, auf welchen geschrieben wird, besondere Stilformen. Wer sein Bild in Ton ritzen muss, wird seine Bilder vereinfachen. Abstraktionen des ursprünglichen Bildes entstehen. Der schließlich entscheidende Schritt in die Buchstabenschrift aber kommt noch: Aus Bildern entstandene Abstraktionen werden nicht mehr mit ihrer früheren Bildbedeutung assoziiert, sondern mit zunächst bedeutungslosen Lauten der menschlichen Stimme. Die geleistete Genialität besteht in der Zuordnung eines abstrahierten Bildes oder der späteren Buchstaben zu unter-schiedlichen Lauten. Aus gehörten Lauten werden geschriebene Buchstaben und daraus Worte.
_________
Ist das Leben der Hominiden von Empathie und Gefühlen bestimmt, von Gefahrenerkennung, von Gefahren-vermeidung und von solidarischem Verhalten in der Gruppe geprägt, das dem Lebenserhalt geschuldet war, so entsteht mit dem Homo sapiens ein zweites mentales Erbe, das die bisherigen sinnlichen Erfahrungen und Gefühle der Hominiden mit einem gedanklichen Rückzug beantwortet. Rationale Analyse, Planung, schöpferisches Gestalten und zukünftige Entwürfe werden zu einer zweiten menschlichen Option. Das mentale menschliche Erbe der Hominiden wird durch einen Homo sapiens-Anteil ergänzt. Der Homo sapiens
° ergänzt das empathische Mitfühlen der Hominiden durch
rationale Kontrolle.
° ergänzt das Wahrgenommene durch Abstraktionen: Wo
Wahrgenommenes einem Denkprozess unterzogen wird,
wird daraus eine gedanklich definierte Abstraktion.
° macht aus Gruppenidentität Individualität:
Gruppenidentität stiftende Gefühle werden gedanklich
analysiert. Negative Gefühle, Sorgen und Angst sollen
rational begründet und überwunden werden.
° ergänzt das sensorische Reagieren durch schöpferische
Kreativität: Wer die Zukunft in seine Gedankenwelt
integriert wird planen, will Neues entdecken und Grenzen
überwinden.
° ist kreativ. Die schöpferische Kreativität von
Individuen aber ist immer auch eine Ursache für
gesellschaftliche Ungleichheit und schafft
Machtoptionen, welche eine Gesellschaft spalten.
3. Emotionale und kognitive Intelligenz:
Notwendiger Kompromiss oder Ursache für
Entfremdung?
Zwei Millionen Jahre mentaler Evolution hinterlassen uns Menschen ein doppeltes Erbe. Wir suchen die emotionale Nähe, den persönlichen Kontakt zu Familie, zu Nachbarn und Freunden und wollen zugehören, wie die Hominiden dies in ihren Gruppen vorlebten. Dann aber wollen wir uns auch unterscheiden, mit gedanklichem Rückzug Wissen erwerben und einen persönlichen Weg finden. Wir wollen planen, Eigenes schaffen und uns selbst erfinden, wie viele Sapiens-Menschen dies vor uns taten. Wir wollen sein wie alle Anderen, aber auch tun dürfen, was wir wollen. Wir passen uns an, doch wollen wir uns auch unter-scheiden. Wir ahmen nach, aber wir spekulieren auch. Wir spielen zusammen und lieben trotzdem den Wettkampf. Wir sind extrovertierte Gefühlsmenschen, die geliebt werden wollen, aber auch introvertierte Denktypen, die den Abstand und das Allein-sein suchen. Ein divergent ausgerichtetes Streben ist unser mentales menschliches Erbe. Evolution entsteht im dialektischen Miteinander zweier Pole. Dieses duale Prinzip der Evolution ist Voraussetzung für Entwicklung. Es wurde auch an den Menschen weiter gegeben und lenkt menschliches Verhalten. Die Metamorphose vom Kind zum Adoleszenten ergänzt eine emotionale- durch eine kognitive Intelligenz. Deren Miteinander lenkt schließlich uns Menschen und auch unsere Geschichte.
Gefühle und Gedanken sind Ausdruck einer emotionalen- und kognitiven Intelligenz des Menschen. Gefühle entstehen aus sinnlichen Erfahrungen. Was wir sehen, hören, spüren oder schmecken führt zu Gefühlen. Das Denken kann Gefühle analysieren und diese auch wieder auslösen. Beim Denken aber verlassen wir die erfahrbare Welt und tauchen ein in die Innerlichkeit der Gedanken. Wir entwickeln Abstraktionen. Aus Vergangenem und Gegenwärtigem produziert das Denken Zukünftiges, erstellt Wünsche und macht Hoffnung. Das Denken eröffnet dem Menschen eine neue Dimension von Weltferne und Zukunft.
In der mentalen Evolution zum Menschen und auch in der Individualentwicklung des Menschen bestimmen Gefühle das menschliche Bewusstsein bevor der Mensch zu denken beginnt. Gedanken kommen vor allem dann auf, wenn Emotionen oder Gefühle uns verunsichern. Emotionen und Gefühle führen in der Evolution ins Denken und wieder-holen diese Funktion in der Entwicklung eines Individuums. Man sucht nach Ursachen, man analysiert und kommt zu Gedanken und schließlich zu Ideen. Gefühle und Denken bilden zusammen das Gerüst einer bewusst werdenden menschlicher Mentalität. Wo Wohlgefühle aufkommen wird wenig spekuliert. Wenn Unsicherheit aufkommt beginnt das Denken. Unsicherheit und Entfremdung stellen sich dann ein, wenn gedankliche Entwürfe oder Ideen sich all zu sehr von einer wahrgenommenen Welt und entstandener Gefühle entfernen, wenn Gedanken und Ideen wichtiger werden als Gefühle, oder wenn der Kompromiss zwischen emotionaler- und kognitiver Intelligenz misslingt.
Читать дальше