Siegfried Liebl - Er und die Anderen

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Erlebnisse und Geschehnisse im Konzert- und Dienstleistungsbetrieb Musik. Die musikalischen Genres geben eine Mauerschau der Geschehnisse wieder. Die Personen, die seinen Weg begleiten sind Inhalt seiner Reflexionen. Sinn und Unsinn einer Berufskarriere werden sichtbar

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Siegfried Liebl

Er und die Anderen

Geschichten eines Klavierspielers

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Inhaltsverzeichnis Titel Siegfried Liebl Er und die Anderen Geschichten eines - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Siegfried Liebl Er und die Anderen Geschichten eines Klavierspielers Dieses ebook wurde erstellt bei

Kapitel 1

3. Chor, leider(Sonatine)

5. Anthropogyn (Adaption)

6. Pit (Ragtime)

7. (Impromptu)

8. Fronleichnamsfest (Andante)

9. Diven (Blues)

10. Orgelspiel (Toccata)

11. Nachbarschaft (Scherzo)

12. Weihe des Hauses (Variation)

13. Endspiel(Fuge)

14.Theater( Fantasie)

15.Sterben (Adagio)

16. Ein Unfall (Paraphrase)

17.Quadrophon (Charakterstücke)

18.à la carte (Intermezzo)

19.Déjà vu (Allegro)

20.Millennium (Presto)

21.Oper und so (Aria)

22.Klavierstunden (Arabesque)

23. 2050 (Valse triste)

24.Von Melodie zu Melodie (Coda)

Impressum neobooks

Kapitel 1

1 SONNTAGSKONZERT (Präludium)

Widerwillig hatte er die Offerte seines Schlagzeug spielenden Kollegen angenommen. Jener war Ende 60 und hatte eine Vollglatze. Sein Aussehen erinnerte stark an Kojak und den mittelalten Alfred Biolek, den er selbst auch trefflich Unterlippen stülpend nachahmen konnte. Sie zelebrierten das immer gleiche telefonische Begrüßungsritual, das sie einst von einem ehemaligen kroatischen Bandleader übernommen hatten. Dieser hatte ihn einmal stolz mit den Worten „ich grüße den zweitbesten Pianisten“ angerufen, worauf er schlagfertig erwiderte:“…und ich grüße den erstbesten!“ Die Ironie des verbalen Konters blieb vom Adressaten unerkannt, weil Stefan, der auch ein wenig ungarisches Blut in sich hatte, des gemeinen Hintersinns der deutschen Sprache nicht mächtig war. Wolle, der Schlagzeuger, unterbreitete ihm also das Mucken-Angebot. Musiker haben Mucken und Gigs und sogar eine eigene Sprache, welche die Anfangsbuchstaben eines jeden Wortes mit einem nachfolgenden „e“ ans Ende des Restwortes hängt. So können sie etwaige Beschwerden über einen unsympathischen Gastgebers lauthals verkünden und den Gegner dabei noch freundlich anlächeln.

Die Gage für 3 Stunden spielen-was sich letztendlich auf 5 Stunden anhäufte- solle 250€ betragen. Rechnung nebst Überweisung kämen von der Stadtverwaltung. 5 Stunden, und das noch open air! Er konnte sich bildlich vorstellen, wie er, Wolle und der noch ältere Andreas am Kontrabass leiden würden, wenn sie sich die Seele aus dem Leib spielen würden, und keiner nähme Notiz davon. Der Pianist kannte dies, da er nebenbei- und das schon seit seinem Musikstudium vor nunmehr 40 Jahren- mit einem anderen Drummer spielen musste, der- abgesehen von den bizarren Spielorten- eine äußerst begrenzte Auffassungsgabe von Musik und Rhythmus hatte. Jener war eigentlich sein Leben lang Klassiker, Notist und Pauker in einem bayrischen Sinfonie-Orchester und vor Jahren durch intensive Image-Kampagnen zum Jazzpreisträger seiner mittelgroßen Heimatstadt erkoren worden. Neulich erst spielten der Pianist und der liebe Tobias bei einer drögen Dorfveranstaltung in einem Schlosshof. Die Sonne brannte ihnen ins Gesicht, denn das provisorische Podium war blöderweise zur Südseite hin ausgerichtet. Auch der bulgarische Geiger, der nebenbei Tenorsaxofon spielte, um seine Vielseitigkeit zu beweisen beziehungsweise von seiner vererbten balkanesischen Schlampigkeit abzulenken, brachte seine Instrumente in den Spielpausen zum Schutz vor weiterer Verstimmung in kühlere Regionen. Tobias war schon vorsorglich mit Nick- Knatterton-Mütze angetreten; es wurde ihm vor wenigen Tagen erst ein Karzinom aus der Schädeldecke geschnitten, und er wollte der Sonne wahrlich keine neue Nahrung geben. An solchen Tagen werden Minuten zu Stunden und man verflucht seinen Berufsstand sowie das fressende, glotzende und saufende Publikum. Musikalisch gesehen war es ein Wettkampf zwei gegen 2, und keiner wusste eigentlich, wer von ihnen gerade falsch spielte; dazu kamen die peinlichen Ansagen des fränkisch sprechenden Perkussionisten. Er hatte die seltsame Angewohnheit, beim Sprechen ganze Worte und Halbsätze zu verschlucken. Auch beim Musizieren konnte bei ihm das eine oder andere Viertel fehlen oder dazukommen. Tobias und der Pianist lächelten sich dann kopfschüttelnd an.

Sollte es wieder eine solche Pleite werden, wo man sein ganzes Equipment anschließend einen halben Kilometer zum Auto schleppen muss, weil es keine andere Zufahrt oder Parkmöglichkeit gibt? Er sagte dennoch zu. Einige Tage später rief Wolle noch einmal an, um die notwendigen Bankverbindungen abzufragen, da er alle Gagenrechnungen selber schreiben wollte. Er war sparsam bis geizig geworden, seit er eine reiche ehemalige Metzgersgattin, die sich vor einigen Jahren seinetwegen hatte scheiden lassen, als Frau an seiner Seite hatte. Er meinte, man solle sich doch fahren lassen, um eine Parkgebühr von 6 Stunden in der Innenstadt zu vermeiden. Dem Pianisten leuchtete das ein.

Am Vormittag des besagten Sonntags, an dem sie zu einer Kunsthandwerks-ausstellung im berühmten Innenhof der Großstadt spielen sollten, tröpfelte es immer wieder vom Himmel, und er hatte Bedenken, ob seine Elektronik Schaden nehmen könnte. Am Spielort angekommen war er Zusehens erleichtert ob des kleinen Zeltes, unter dem sie alle Zuflucht finden würden. Man war mit 3 Autos im Konvoi gefahren und schlängelte sich durch den engen Parcour der mit allerhand nutzlosem Zeug vollgebudeten Innenstadt. Dieser Ort war voll von Billigläden und fress to go-Tempeln. Die Leute auf den Straßen waren allzeit schlecht gekleidet und vermittelten eine völkische Zufälligkeit. Zudem tränkte der Dunst von abgestandenem Speisefett und intensivem Körpergeruch die geistige Aura dieser City. In den Wochenzeitungen und Tagesanzeigern dieser Region waren immer Menschen mit aufgedunsenen und rot schimmernden Gesichtern zu sehen, die gerade ein einschlägiges Event mit Bravour absolviert hatten. Sie hatten immer irgendwelche Gläser in der Hand, und so war es letztendlich egal, an welchem Tage man diese Blätter aufschlug.

Als die drei ihre Instrumente aufgebaut hatten, waren sie heilfroh, dass der geringe Platz unter dem weißen Alu-Zelt ausgereicht hatte. In den Spielpausen wollte Wolle über seinen i-pod Berieselungsmusik einspielen.

Und so wartete man die zu verbleibenden 20 Minuten ab, bis man endlich zu spielen beginnen sollte. Musiker vertreiben sich in solchen Situationen ihre Zeit mit Wortspielen, Witzen oder Zoten. Man muss dies verstehen, sind doch diese Menschen schöpferisch und innovativ veranlagt und deshalb ständig auf Standby programmiert. An diesem Tag erzählte Wolle die Geschichte des König Lud, der auf seiner Burg zu Kerzenschein und bei offenem Fenster regelmäßig masturbierte. Nachdem die Burg aber keinen Namen hatte, wurde sein Volk, das bei seines Herrschers nächtlichem Treiben ständig Zeuge war, zwecks Betitelung des aristokratischen Stammsitzes befragt. 95% kamen trotz schlechter Deutschkenntnisse zum selben Ergebnis…..

Der Pianist kannte sich beim equalizing seiner Verstärkeranlage gut aus, und so kam es auch nicht zu unerwünschten Rückkopplungen und Pfeifattacken. Die Passanten im Innenhof nahmen die Musiker erst wahr, nachdem diese zu spielen begonnen hatten. Als Pianist kann man sich hinter eine Sonnenbrille flüchten oder man betrachtet das schwarz-weiße, antiaparte Gebiss seiner Tastatur. Man fällt nie mit der Tür ins Haus und startet etwa mit einem up-time Titel. Die Presse hatte sie in einer kleinen Notiz mit „fetzigem Jazz“ angekündigt. Wortschöpfer solcher Termini haben wahrscheinlich mit der Bildungsnähe eines Millionen-Publikums geflirtet. Wolle, der Schlagzeuger und Bandleader für eben diesen Tag hatte jenen Presseartikel ebenfalls mit missbilligendem Augenzwinkern quittiert. Andreas aber war glücklich, wieder einmal mit seinem geliebten Ensemble spielen zu können. Die drei waren eine verschworene Einheit, bei der jeder einzelne riecht, was der andere vorhat. Üben gilt in diesen Kreisen der Musik als verpönt; man hat ein Repertoire mit ausreichender stilistischer Vielfalt oder man dümpelt dahin, wie der Jazzpreisträger und sein bulgarischer Geiger.

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