Erneut schluckt Eden schwer. Erst jetzt bemerkt sie, wie ihr eine Träne die Wange entlangläuft. Was zum…? Sie nimmt sie mit einem Finger weg, schaut auf die salzige Flüssigkeit und wischt es sich mit einer flüchtigen Bewegung an der Hose ab. Was soll das? Wieso entweichen ihr Tränen, wenn sie über eine kriminelle Frau nachdenkt? Vielleicht deshalb, weil dieses Kind für immer alleine sein wird? Egal wie viele Menschen sich um sie kümmern, sie wird immer alleine sein. Denn die Liebe einer Mutter, ist das was ein Kind voll und ganz erfüllt.
Mit einem Ruck reißt sich Eden herum, eilt zu ihrer Harley, startet sie hart und rast mit quietschenden Reifen vom Basketballplatz weg. Verdammt, diese Neve wurde mit einem Kind im Bauch erschossen und dieses wird ohne Mutter aufwachsen. Wie krank ist diese Welt eigentlich?
Ohne einen Frisör aufgesucht zu haben, verschließt sie sich den Rest des Tages in ihrem Horrorzimmer und saugt jede einzelne Information der Akten von Neve und Sam auf. Sie durchforstet das Internet und erfährt lediglich, dass es einer der typischen Bandenkriege war. Ein Rachefeldzug der Dead Rabbits an den Five Dogs! Schon wieder diese verdammten Kaninchen!
Bis tief in die Nacht arbeitet sich Eden durch sämtliche Informationen und stellt erstaunliche Sachen fest. Nach der Eingabe des Namens Samantha Rodriguez, spuckte ihr die Suchmaschine eine Autowerkstatt aus, die den Namen Rodriguez T.I.R. trägt. Ebenso eine Baufirma mit dem Namen Richmond & Rodriguez Immobilien. Was?? Warum bringt diese Samantha sich nach zehn Jahren Knast um, wenn sie auf freiem Fuß erfährt, dass sie zwei Firmen besitzt? Was zum Teufel hängt da nur dran? Was stimmt an dieser Geschichte nicht? Was ist da abgelaufen?
Eden erfährt, dass dieser Richmond nach Sams Tod beide Firmen aufgekauft hat, die Firmennamen aber beibehält. Ein kluger Schachzug. Denn nach dem amerikanischen Recht, wären beide Firmen an den Staat gegangen. Das wollte dieser Michael Richmond offensichtlich verhindern. Michael Richmond, noch ein Name der in dieser merkwürdigen Verbindung steht. Noch ein Name, den sie überprüfen wird, wenn sie wieder arbeiten geht. Und das muss definitiv schnell passieren. Sie hält diesen Nervenkitzel kaum noch aus. Diese Anspannung um das fehlende Wissen, erträgt sie kaum noch. Sie muss arbeiten, verdammt.
Wochenlang quält sich Eden zu Hause, bis sie es nicht mehr aushält. Sie ruft beim FBI an und hat einen gewissen Norton am Telefon. Dieser stellt sich als ihr Vorgesetzter vor. Ihr ist es egal, sie will endlich wieder arbeiten.
Der gute Mann an der anderen Leitung begrüßt sie herzlich, fragt nach ihrem Wohlbefinden und ist über ihre Aussage erstaunt, dass sie ab kommenden Montag ihren Dienst wieder antreten möchte. Er versucht sie davon zu überzeugen, sich noch etwas zu erholen, aber sie lehnt vehement ab. Beide einigen sich darauf, dass Eden vorerst nicht auf der Straße agieren und die erste Zeit an ihrem Schreibtisch Akten wälzen wird. Er möchte ihr somit helfen, dass ihr Gedächtnis bezüglich ihrer Arbeit, nach und nach wiederkehrt.
Was die Arbeit angeht, möchte sie jede einzelne Erinnerung zurückhaben, aber nicht was ihr Privatleben angeht. Bloß nicht! Der tägliche Anblick von Ryan versaut ihr schon morgens den Rest des Tages.
Sie erklärt sich damit einverstanden, weil ihr das tatsächlich sehr gut passt. So kann sie die Akten von Neve Preston und Samantha Rodriguez sichten, ohne dass es auffällt, oder einem ihrer Kollegen merkwürdig vorkommt. Was kann ein Agent nur in alten und geschlossenen Akten suchen? Ganz einfach! Ihre Vergangenheit! Denn egal was ihr Verstand ihr sagt, ihr Herz sagt ihr, dass sie diese Akten sichten muss. Sie wird das Gefühl nicht los, dass ihr vorheriges Leben irgendetwas damit zu tun hat. Und da spielt die Tatsache, dass sie zwei Jahre ein Kaninchen war, nur eine minimale Rolle.
Zuhause hat sie allerdings nicht so viel Glück. Ihr Vorgesetzter freut sich sie wieder in seinem Team begrüßen zu dürfen. Ryan hingegen zettelt einen regelrechten Streit an. Er möchte nicht, dass seine über alles geliebte Frau schon so früh nach der OP wieder arbeiten geht. Es sei viel zu gefährlich. Ihr Körper hätte die Stahlplatte noch nicht richtig angenommen und könnte abgestoßen werden. Ihr Gehirn könnte noch immer entzündet sein und sie könnte einen Anfall oder ähnliches erleiden, wenn sie ihren Kopf überanstrengt. Ryan bemuttert sie von vorne bis hinten und möchte sie am liebsten in Watte einpacken. Aber Eden knallt ihm lediglich ihre Horrorzimmertür vor der Nase zu und geht erst tief in der Nacht ins Bett.
Seit dem Zwischenfall mit dem Hund bei dem Basketballplatz, kann sie nicht mehr richtig schlafen. Fast jede Nacht wacht sie schweißgebadet auf und versucht sich von ihren Träumen zu erholen. Was sie träumte, weiß sie meistens kaum noch. Nur hin und wieder tauchte dieser Hund vor ihr auf. Es kommt ihr immer so vor, als wenn sie mit ihm spielen würde. Immer wieder sah sie im Traum, wie eine Hand einen Stock schmiss, der Hund hinterher rannte und dieses Stück Holz brav zurückbrachte.
Dann hatte sie eines Nachts einen Schwangerschaftstest vor Augen und spürte eine Welle des Glücks und der Freude über sich einbrechen, als sie sehen konnte, dass er positiv war. Jede Nacht war pures Kopfkino für sie, womit sie allerdings nichts anfangen konnte. Es waren fremde Bilder für sie! Fremde Szenen! Fremde Leben! Warum fühlt sie sich, als wenn sie ein Teil dieser Szenen und dieses Lebens wäre? Wieso drehte ihr Kopf überhaupt durch und präsentiert ihr jede Nacht diese Träume? Was hat das alles zu bedeuten? Hat Ryan vielleicht Recht? Ist es möglicherweise doch zu früh, schon zur Arbeit zu gehen? Überfordert sie sich etwa jetzt schon? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Vielleicht braucht sie einfach nur ihre Arbeit, um wieder Ruhe im Kopf zu haben.
Sie gönnt sich aber noch eine Fahrt mit ihrem Teufel und hält irgendwann vor einem Autohaus. Mit einem Hochgefühl betritt sie die Verkaufshalle und spürt, wie ihr Herz zu rasen beginnt, als sie die vielen Modelle der Mercedes Fahrzeuge dort stehen sieht. Ihr läuft das Wasser im Mund zusammen, als sie zwischen den Autos läuft und immer wieder an einem stehen bleibt, um sich im Innenraum umzuschauen.
Gemütlich schlendert sie umher, bis sie von einem geschniegelten und gebügelten Verkäufer angesprochen wird. Er redet ihr die Ohren blutig, worauf sie aber kaum eingeht, weil sie eines der Fahrzeuge ins Visier genommen hat. Ohne den guten Mann zu beachten, schlüpft sie an allen anderen Autos vorbei und bleibt vor einem silbernen SL AMG stehen. Ihr Herz beginnt regelrecht zu rasen. Ihr Kopf feiert eine prächtige Party. Sie kann es kaum fassen, wie dieser Wagen auf sie wirkt. Es ist ein absolutes Hochgefühl das sie durchströmt. Dieses Auto, das wartend und lautstark brüllend vor ihr steht, löst in ihr Gefühle aus, die sie das letzte Mal bei ihrem Teufel empfand.
»Ich möchte eine Probefahrt machen«, haucht sie betäubt von diesem Vehikel und spürt, wie ihr das Wasser erneut im Mund zusammenläuft. Ihre Finger beginnen vor Aufregung zu zittern, unter den Achseln bildet sich Schweiß. Sie glaubt vor Hitze fast zu zergehen, weil ihre Körpertemperatur bis ins unermessliche steigt. Wie kann ein Wagen nur so eine körperliche Reaktion auslösen? Das ist doch nur Blech, Gummi und Kupferleitungen. Ein paar Schalter und brennbare Flüssigkeiten. Weshalb fühlt sich ihr Körper an, als wenn dieser mit einer der Flüssigkeiten überschüttet und angesteckt worden wäre? Was ist los mit ihr?
Ihr ist es egal. Sie rupft dem Verkäufer nur noch die Wagenschlüssel aus der Hand, als dieser nach wenigen Minuten damit zurückkehrt und setzt sich sofort in den schwarzen Ledersitz. Sie atmet tief durch und spürt selber, wie ihre Augen beginnen zu strahlen, als sie sich im Innenraum umblickt.
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