»Wow«, haucht sie sabbernd. Vorsichtig rollt sie das Auto aus der Verkaufshalle. Kaum berühren die Räder den Asphalt, gibt sie Gas. Mit quietschendem Reifen rast sie die Straße entlang. Sie blickt in den Rückspiegel und fängt schallend laut zu lachen an, als sie sehen kann, wie der Verkäufer ängstlich und panisch auf die Straße eilt. Verstört blickt er ihr hinterher. Hat der gute Mann etwa Angst um sein Eigentum? So eine schlechte Fahrerin ist sie nun wirklich nicht.
Fast zwei Stunden fährt sie durch San Francisco und öffnete irgendwann das Verdeck, um das Schmuckstück zu einem Cabrio umzufunktionieren. Sie genießt den Fahrtwind und lässt sämtliche Sorgen hinter sich. Egal was noch alles in ihrem neuen Leben auf sie zukommen wird, ihr ist es im Moment egal. Sie will sich und den Wind spüren. Sie will ein neues Leben beginnen und irgendwie versuchen, ihr altes zu vergessen. Jedenfalls was das Private angeht. Denn das ist ihr bis heute zu wider. Ryan, diese Jill, dieses Haus, diese Idylle! Sie merkt einfach, dass dieses Leben nicht ihres ist und nicht zu ihr passt. Ebenso der unersättliche Sex mit ihrem Mann. Fast jede Nacht muss sie ihn ertragen. Ihm fällt es keineswegs auf, dass sie sich kaum an dem Geschlechtsverkehr beteiligt. Sie weiß ja nicht wie ihr gemeinsames Sexleben zuvor aussah, aber ihm muss doch mal langsam auffallen, dass von ihrer Seite kaum Aktivität vorhanden ist. Er hat es noch nicht einmal bemerkt, dass sie in einer Nacht fast eingeschlafen ist. Nur dieser harte und stoßende Rhythmus ließ sie wach bleiben.
Als Eden den Mercedes wehmütig zum Autohaus zurückfährt, entscheidet sie sich kurzerhand und parkt den Mercedes am Straßenrand.
»Ich kaufe den Wagen, so wie er ist. Erledigen sie die Zulassung. Ich hole ihn in zwei Stunden ab«, schmeißt sie dem überfordertem Verkäufer entgegen, der zuerst erleichtert ist, dass das Auto in einem Stück und ohne Schrammen zurückgekehrt ist. Als er dann aber den Verkauf und die dazugehörige Provision wittert, schmeißt er sämtliche Fürsorge über Bord. Ist dann ja schließlich nicht mehr sein Eigentum.
Gegen Abend steigt Eden aus einem Taxi und erfreut sich an dem Gedanken, gleich in ihrem neuen Wagen zu sitzen. Sie hat sich schlagartig in das Schmuckstück verliebt. Weil sie weiß, dass sie genug Geld auf dem Konto hat, hat sie sich kurzerhand zu diesem Kauf entschieden.
Ryans Reaktion auf den Silberpfeil, ist allerdings alles andere als erfreulich. Er schimpft wie ein Rohrspatz mit ihr, wie sie so viel Geld für ein Auto ausgeben kann, weil sie mit dem Geld den nächsten Urlaub bezahlen wollten. Sie hätten sich so viele gemeinsame Pläne gemacht, wofür die Summen benötigt worden wären und nun hätte sie mit einem Schlag alles vernichtet, was sie zusammen geplant haben. Edens Antwort darauf ist allerdings erneut das zuschlagen ihrer Zimmertür.
»Verdammt Eden‼ Was ist los mit dir? Ich erkenne dich nicht wieder! Seit du im Krankenhaus aufgewacht bist, bist du mir völlig fremd geworden! Wo ist meine Frau?? Sind deine Erinnerungen noch immer nicht zurückgekehrt?«, brüllt er fürsorglich durch das Holz.
»Offensichtlich nicht«, nuschelt Eden vor dem Computer sitzend. Sie kümmert sich nicht weiter um ihren Mann. Warum auch? Er ist ihr genauso fremd, wie sie ihm. Sie ist nur noch in diesem Haus, weil es für sie ein Zufluchtsort ist. Sobald sie wieder aktiver am Leben teilnimmt, wird sie ausziehen und die Scheidung einreichen.
Was aber, wenn ihre Erinnerungen voll und ganz zurückkehren? Wie entscheidet sie sich dann? Sie genießt ihr neues Leben! Sie spürt einfach, dass es richtig ist und hat das erste Mal das Gefühl, dass sie tatsächlich lebt und frei von sämtlichen Richtlinien ist. Warum sollte sie also dieses Lebensgefühl aufgeben und ein Leben führen, das instinktiv keineswegs zu ihr passt? Irgendetwas ist falsch, dass weiß sie. Sie muss zu sich selbst finden und das kann sie nur, wenn sie Ruhe hat und alleine ist. Sie braucht keinen Mann an ihrer Seite, der verzweifelt versucht, die Frau zurückzugewinnen, die er in ihr sieht. Denn diese Frau ist sie nicht mehr! Nur wer sie ist, weiß sie selbst noch nicht.
Als Eden am Montag in der Golden Gate Avenue steht, schluckt sie schwer. Sie legt den Kopf in den Nacken und zählt die einzelnen Etagen dieses Gebäudes. Siebzehn an der Zahl und sie muss in den dreizehnten. Also los!
Dort angekommen, steigt ihr Puls. Sie wandert durch einen breiten Flur und steht dann vor einer Tür. Das Schild verrät ihr, dass sich hinter dieser hölzernen Blockade ihr Arbeitsplatz befindet. Gedanklich versucht sie sich vorzustellen, wie es wohl aussehen wird. Wie wird der erste Eindruck auf sie wirken? Wie werden die Kollegen auf sie zugehen? Wird sie sich wohl, oder genauso fehl am Platz fühlen, wie an Ryans Seite? Sie weiß es nicht! Sie kann es nur herausfinden, wenn sie die Tür öffnet und das Büro betritt. Schließlich hat sie sich selbst eine Aufgabe gegeben. Neve Preston und Samantha Rodriguez! Zwei Namen und ein Fall, der sie die nächsten Wochen beschäftigen wird.
Zitternd umgreift sie den Knauf, dreht ihn und öffnet die Tür einen Spalt. Sofort prallen ihr unendlich viele Stimmen und unterschiedliche Geräusche entgegen. Gleichzeitig fängt ihr Herz vor Freude an zu hüpfen.
Mit einer flüchtigen Bewegung, schließt sie die Tür hinter sich. Sie versucht sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. Nervös, das ist genau der richtige Ausdruck für ihr derzeitiges Gefühlsleben. Sie kommt mit der gesamten Situation und dem Anblick keineswegs zurecht, der ihr geboten wird.
Langsam beginnen ihre Beine zu arbeiten. Ihre Füße tragen sie Schritt für Schritt durch dieses große Büro, in dem unzählige Schreibtische stehen, an denen ebenso viele Männer und Frauen sitzen und ihrer Arbeit nachgehen. Einige telefonieren, andere tippen auf der Tastatur herum. Es werden Kaffeetassen umhergetragen, gefaxt, kopiert, in Akten gelesen und bis zum erträglichen Geräuschpegel gesprochen.
Aber von einer Sekunde zur anderen wird es still. Hier und da klingelt noch ein Telefon und das piepen eines Faxgerätes ist noch zu hören, aber sämtliche Stimmen sind von einem Moment zum anderen verklungen. Eden bemerkt es sofort. Sie hebt ihren Blick, weil sie sich das erste Mal völlig eingeschüchtert fühlt.
»Sieh mal. – Sie ist wieder da. – Sie sieht verdammt gut aus. – Will sie wirklich schon wieder arbeiten? – Die schönen Haare.«
Unendlich viele Sätze prallen ihr flüsternd und gedämpft gegen den Kopf, bis etwas passiert, was sie zusammenzucken lässt. Jemand beginnt zu klatschen.
Erschrocken blickt sie in die Richtung und sieht einen Mann mittleren Alters, der sich von seinem Stuhl erhebt und klatscht. Sein Blick ist direkt auf sie gerichtet. Wie erstarrt bleibt Eden stehen und blickt ihn mit großen Augen an. Dann beginnt plötzlich das ganze Büro zu klatschen. Sämtliche Mitarbeiter in diesem Raum, klatschen Beifall und richten ihre Blicke auf Eden, die sich am liebsten in das nächste Mauseloch verkriechen will. Was soll das?? Ihr ist das absolut peinlich! Warum machen diese fremden Menschen das nur?
»Hallo Eden«, hört sie eine Stimme hinter sich. Kumpelhaft wird ihr auf die Schulter geklopft.
Erschrocken dreht sie sich etwas und sieht einen kräftigen Mann neben sich stehen, der sie stolz lächelnd begrüßt. Verwirrt schaut sie ihn an, während das Klatschkonzert anhält. Schwarze Haare, Bart und harte Gesichtszüge, die aber trotzdem freundlich wirken.
»Ich bin es, Trevor, dein Partner«, stellt er sich vor und reicht ihr die Hand. Ok, sie hat einen Partner. Trevor. Das ist ja schon mal was wert.
»Entschuldigung… ich… äh…!«, stottert Eden verlegen rum, während sich Trevors Hand wie ein Schraubstock um ihre legt.
»Kein Problem. Wir wissen hier alle von deiner Amnesie und hoffen, dass du bald wieder alles weißt«, lächelt dieser Trevor vertraut, worauf sie nur schlucken kann.
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