Ich senkte mein Haupt und war über mich selbst erbost ob meiner bis dahin falschen Titulierung des Oberhauptes dieser Ballei. Begütigend legte er seine Hand auf meine Schulter.
„Mach dir nichts daraus! Es gibt schlimmeres für einen Ritter, als eine unwissentlich falsche Anrede. Hans, ich habe hier einige Kleidungsstücke für dich.“
Und er präsentierte mir ein braunes Gewand. Fragend schaute ich ihn an.
„Ah, ich sehe schon, Bruder Matthias hat dich mit unserer Kleiderordnung ein wenig bekannt gemacht. Hans, mach dir eines klar: In dem Moment, wo du diese Kleidung anlegst, wirst du ein Bruder des Ordens sein. Bis du das schwarze Gewand bekommst, wirst du noch viel lernen müssen. Außerdem bist du noch nicht alt genug, um Ritter zu werden. Das wird etwa zwei Jahre dauern. Wenn du alles gut machst, wird man dich zum Ritter des Ordens des heiligen Johannes schlagen. Ist es immer noch das, was du willst?“
„Ich könnte mir keine größere Ehre und Freude vorstellen, Herr Komtur.“
„Nun, dann lege das Gewand jetzt an.“
Ich tat, wie mir geheißen. Dann nahm Komtur Wennengut mich in seine Arme und sagte: „Willkommen, Bruder Hans, in unserem Orden.“
Niemand kann sich vorstellen, wie stolz ich in diesem Moment war und wie sehr ich danach strebte, für würdig befunden zu werden, das schwarze Gewand zu tragen.
„Bruder Hans, es ist mir eine Freude dir mitzuteilen, dass die Ritter, die du nach dem Angriff der Wegelagerer so vortrefflich behandelt hast, mich gebeten haben, dir ihren Dank für deine Versorgung ihrer Wunden auszudrücken.“
Er beobachtete mich intensiv. Eingedenk des Schwures der Demut, den ein Ritter des Ordens abzuleisten hatte, hielt ich es für angebracht zu erwidern:
„Das ist meine Aufgabe. Ich versuchte, dem Orden zu dienen, so gut ich konnte.“
Der Komtur nickte beifällig.
Dann führte er mich an seinen Schreibtisch und bedeutete mir, auf einem der einfachen Stühle Platz zu nehmen. Er selbst ließ sich mir gegenüber nieder. Geschäftig teilte er mir mit:
„Bruder Hans, du besitzt schon eine fast perfekte Ausbildung. Deine Fertigkeiten im Kampf müssen ständig geübt und erweitert werden. Deine Kenntnisse in der Heilkunde müssen unbedingt noch vervollkommnet werden. Du wirst dich weiter in den Fremdsprachen bilden, besonders im Griechischen. Für diese Aufgaben wirst du einen strengen Stundenplan bekommen, an den du dich strikt zu halten hast.“
Er warf mir einen ernsten Blick zu. „Bruder Hans, du wirst einmal eine ganz besondere Aufgabe im Orden erfüllen, wenn du dich würdig erweist.“
Dann fuhr er fort:
„Aber wichtiger ist es im Moment, dass du etwas über die Geschichte unseres Ordens erfährst.“
Mit diesen Worten nahm er mich mit auf die bis dahin abenteuerlichste Reise meines Lebens.
Komtur Wennengut führte mich an den vier Wandteppichen entlang.
„Bruder Hans, hast du eine Ahnung, was hier so kunstvoll gewebt dargestellt wird?“
Aufmerksam betrachtete ich die Teppiche. Manche schienen schon älter zu sein, einer war jedoch eindeutig neu. Die Materialien, aus denen sie hergestellt wurden, schienen mir unterschiedlich zu sein, ebenso wie ihre Farben und in der Art und Weise, wie sie gewebt wurden.
„Herr Komtur, ich kann nur erkennen, dass diese Teppiche aus unterschiedlichen Epochen zu stammen scheinen, aber was genau dargestellt wird, ist mir nicht so recht klar.“
„Nun, mit Wandteppichen ist es so wie mit kirchlichen Gemälden und Fenstern. Diese erzählen immer eine Geschichte, damit das einfache Volk, welches nicht lesen kann, dennoch versteht, was es mit dem christlichen Glauben auf sich hat. Die Wirkung von Bildern ist manchmal größer, als die des gesprochenen Wortes. In den Kirchen erzählen sie über das Leben und Wirken von Jesus, Gottes Sohn auf Erden. Über seine Mutter, die heilige Maria, die unbefleckte Empfängnis, die Geburt Jesu im Stall zu Bethlehem mit den heiligen drei Königen, später die heiligen drei Weisen genannt, Caspar, Melchior und Balthasar. Sie brachten Weihrauch, Myrrhe und Gold zu diesem Stall, zu dem Christkind geleitet durch den Stern von Bethlehem. Die Bilder sprechen über die Wunder, die Jesu später gewirkt hat und über die Zuwendung und spätere Abkehr einiger seiner Jünger, über den Verrat von Judas, der ihn für einige Silberlinge an die Schergen des römischen Statthalters Pontius Pilatus hinhängte; Jesu Prozess, bei dem Pontius Pilatus das Volk entscheiden ließ, wer gekreuzigt werden sollte: er, der angebliche Aufrührer gegen die römische Obrigkeit, oder der Mörder Barrabas. Das Volk entschied gegen Jesus, und Pontius Pilatus wusch seine Hände wieder und wieder nach dem Urteil, um sich von der Schuld zu befreien, einen Mörder freizulassen, während ein einfacher Zimmermann aus Nazareth, der zwar Unruhe verursachte, aber kein Mörder war, gekreuzigt werden sollte. Die kirchlichen Bilder zeugen weiterhin über Jesu Weg zum Berge Golgatha zu seiner eigenen Kreuzigung: das Kreuz und die Dornenkrone tragend, häufig strauchelnd, doch niemals nachgebend, manchmal von einigen mitfühlenden Menschen entlastet. Sie zeigen die gemeinsame Trauer Marias, seiner Mutter, und Magdalenas, am Fuße unseres gekreuzigten Christus sitzend; Magdalena, die angeblichen Hure, die er mit dem weisen Spruch über Steine, die man nur dann werfen solle, wenn man frei von eigener Sünde ist, vor einem grausamen Tod gerettet hatte. Die Bilder in den Kirchen zeigen die wundersame Wiederauferstehung unseres Herrn und schließlich die Rückkehr zu seinem Vater, unseres Gottes, sitzend zu seiner Rechten, wo er auf den Tag wartet, um auf Erden zurückzukehren und Gerechtigkeit zu üben. Davon gibt es kein Bild, und wird es auch nie eines geben, denn wir sollen uns kein Bild von Gott machen.“
Komtur Wennengut, dessen Blick in diesem Moment von der Gegenwart entfernt war, fokussierte sich schließlich wieder auf mich. Offenbar war er unversehens und weit entrückt von der Geschichte Jesu, die mir bestens bekannt war, übermannt worden.
„Bruder Hans, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht langweilen mit Tatsachen, die du längst kennst. Aber wenn es um Jesu Christi geht, gehen manchmal die Pferde mit mir durch.
Zurück also zu unseren Wandteppichen.
Diese wundervollen Kunstwerke hier haben jedoch wenig mit dem christlichen Glauben zu tun. Sie erzählen die Geschichte unseres Ordens. Siehst du diesen ersten hier? Hierbei handelt es sich um das Spital des Ordens in Jerusalem, wo sich unser Orden, damals noch als Spitalbruderschaft, entwickelte. Wir pflegten dort die geschwächten und erkrankten Kreuzfahrer, sowie auch jeden anderen Menschen, unabhängig von seinem Glauben, der sich an uns wandte. Das war vor ungefähr 350 Jahren, genaueres ist nicht belegt. Fällt dir etwas Besonderes auf?“
Ich betrachtete den Teppich genauer.
„Ja. Jeder Kranke hat eine eigene Schlafstätte. Das ist doch ungewöhnlich, oder?“
„Dem ist so, gut erkannt, Bruder Hans. Unser Orden vertritt die Meinung, dass Sauberkeit und Gesundheit stark voneinander abhängen. Das ist eine Meinung, die die meisten Ärzte bis heute nicht teilen, leider.“
„Meine Mutter legte bei offenen Wunden auch immer sehr viel Wert auf Sauberkeit. Niemals benutzte sie schmutzige Verbände, sie reinigte die Wunden ordentlich und versah sie immer mit einem Päckchen aus Kamille, bevor sie den neuen Verband anlegte. Sie meinte, das zöge die schlechten Geister heraus. Vor und nach der Behandlung schrubbte sie sich kräftig ihre Hände.“
„Ich weiß. Das ist einer der Gründe, warum ich deinem Vater vorschlug, dich mir anzuvertrauen.“
Fragend schaute ich ihn an.
„Warte noch einen Augenblick. Zurück zu unserem Spital in Jerusalem. Unter unserem zweiten Großmeister Raimund von Puy, der von 1120 bis 1160 lebte, wandelte sich unser Orden in einen geistigen Ritterorden, dem im Laufe der Jahre Menschen aus vielen christlichen Ländern beitraten, die jedoch selten eine gemeinsame Sprache teilten.
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