Keine Münzen, kein Schmuck, nichts dergleichen. Es war ein Manuskript.
Die Beschriftung des Schriftstückes war schon ziemlich vergilbt, aber noch gut zu entziffern. Eine Jahreszahl war zu erkennen, 1326, und, wir glaubten unseren Augen nicht zu trauen, in einer Sprache, die ich als Mittelhochdeutsch identifizierte, die folgenden Worte:
Ritter und Rosen auf Rhodos
Etwas ratlos und unschlüssig schauten wir uns an. Das Manuskript schien zwar alt, aber recht gut erhalten zu sein. Als Hobbyarchäologe hatte ich mich mit alten Texten schon häufig beschäftigt und deshalb konnte ich, wenn auch mit etwas Mühe, die Worte lesen.
„Florian, gib mir ein Messer, bitte.“ Vorsichtig versuchte ich mit Hilfe des Messers, durch die Seiten des Textes zu blättern, und auch hier erlebten wir wieder eine Überraschung. Das Pergament war noch sehr fest und sah nicht so aus, als würde es bei Berührung zerbröseln. So bargen wir das Manuskript vorsichtig aus der Truhe. Dabei fiel eine getrocknete Blüte heraus, die wir als Hibiskus identifizieren konnten und die wir sorgfältig aufbewahrten.
Wir vergewisserten uns, dass der Text gelesen werden konnte, ohne ihn zu beschädigen. Deshalb beschlossen wir, es uns gemütlich zu machen, damit ich den Text in einem Deutsch vorlesen konnte, das auch Florian verstand.
Wir schreiben das Jahr des Herren 1326. Ich bin Hans von Rittingau und lebe als Einsiedler auf dem Berge Filerimos auf Rhodos seit mehr als acht Jahren. Ich muss für mich niederschreiben, was ich erlebt habe, um mit meiner Schuld besser leben zu lernen. Ich möchte auch, dass meine geliebte Irini nicht in Vergessenheit gerät.
Mein Bericht wird Geheimnisse von Freunden enthalten. Sollten diese zu ihren Lebzeiten ans Tageslicht kommen, müssten sie mit schwerer Strafe, wenn nicht sogar mit dem Tod rechnen. Deshalb werde ich dieses Schriftstück vergraben. Ich vertraue darauf, dass irgendwann jemand diesen Text finden wird. So wird auch Irini in das Bewusstsein der Menschen wiederkehren.
Ich besitze ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Wenn ich die Augen schließe, höre ich Gespräche wie mit einem inneren Ohr. Ich kann sie auch nach langer Zeit wortwörtlich wiedergeben. Diese Fähigkeit will ich in meiner Niederschrift verwenden.
Ich wurde im Jahre 1288 als zweiter Sohn des Grafen Wilfred von Rittingau und seiner Frau Elfrida geboren. Ich hatte vier Geschwister, Thomas, der älter war als ich, sowie die jüngeren Schwestern Sieglinde, Margarete und Hildegunde.
Schnell begriff ich, dass Thomas als der ältere einmal den gräflichen Titel erben würde und ich mich weitestgehend um mein eigenes Geschick kümmern musste. Mit Schwung und Wissbegier widmete ich mich daher schon seit frühester Jugend den unterschiedlichsten Unternehmungen.
Zunächst wich ich meiner geliebten Frau Mutter kaum von der Seite. Sie war eine herzensgute Dame und in der Heilkunde sehr bewandert. Sie fand es zwar seltsam, dass ein Knabe sich für dieses Wissensgebiet interessierte, aber ich liebte den intensiven Duft der Kräuter, ihre erstaunlichen Formen des Wuchses, ihre Ernte, ihre unterschiedlichsten Konservierungsarten und das Wissen um ihre Anwendungen.
Meine Frau Mutter fand sich irgendwann damit ab, dass ich sie ständig begleitete. Mit den Jahren saugte ich ihr Können und Wissen wie eine durstige Pflanze auf und konnte ihr bald sachkundig zur Hand gehen.
Meinen Herrn Vater sah ich in ganz jungen Jahren wenig. Er war stets mit irgendwelchen Unternehmungen beschäftigt, die unsere Grafschaft betrafen. Das interessierte mich damals kaum. Er wiederum widmete sich mehr Thomas, der ihm einmal als Erbe und erfolgreicher Stammhalter nachfolgen sollte.
Erst als ich alt genug war, um mich mit der Waffenkunde vertraut zu machen, nahm er mehr Notiz von mir. Wenn ich ihn auch nicht beerben würde, so legte er doch großen Wert darauf, mich standesgemäß zu erziehen.
Fortan gehörten Waffenkunde, Schwertausbildung, Reiten mit der Lanze, Bogenkampf, die griechische und lateinische Sprache sowie Rechnen zu meinem Lehrplan. Mein Herr Vater pflegte mir zu predigen:
„Hans, als mein Zweitgeborener wirst du einmal Priester oder Soldat werden. Lerne und übe also gut, was ich dir bieten kann, damit du einmal ein würdiges, erfolgreiches Leben führen kannst. Höre stets auf deine Lehrmeister!“
Unerbittlich überwachte er meine Fortschritte und zeterte bisweilen fürchterlich über meine Neigung zur Heilkunde, wenn er meinte, dass mich dieses Interesse nur von meiner eigentlichen Ausbildung ablenkte. Aber ich ließ mich von seinen Tiraden nicht beirren.
Meinen Geschwistern schenkte ich wenig Beachtung, denn ich hatte genug mit mir selbst zu tun. Keines von ihnen teilte meine Interessen, außer der kleinen Hildegunde. Sie schloss sich irgendwann meiner Mutter und mir an, da sie ebenfalls großes Interesse an der Heilkunde an den Tag legte.
Hildegunde sah oft zu mir auf und sagte bisweilen: „ Hans, du hast so schöne, blonde, lockige Haare, und deine blauen Augen scheinen direkt in mich herein sehen zu können. Und du hast so schöne, breite Schultern, da macht es Spaß, sich in sie hinein zu kuscheln. Und so groß bist du auch.“
Das mochte ich als Jüngling jedoch nicht so gerne hören und dennoch, Hildegunde schmeichelte meiner Vorstellung von mir selbst. So kam es, dass ich Hildegunde mehr Aufmerksamkeit als meinen anderen Geschwistern widmete.
Dafür sollte ich eines Tages noch sehr dankbar sein.
Sieglinde und Margarete wurden schon früh durch meine Eltern in vorteilhafte Beziehungen versprochen. Diese beiden Schwestern schien das gar nicht zu stören, im Gegenteil, sie interessierten sich nur für eitlen Tand. Sie strebten nach Geld. Das konnte nur von einem wohlhabenden Ehegatten kommen. Mein Herr Vater unterstütze das noch, meine Frau Mutter jedoch versuchte, ihren Töchtern so weit als möglich die Augen zu öffnen; was es für sie bedeuten würde, einem Ehegatten ausgeliefert zu sein, ohne für sich selbst sorgen zu können.
All diese Zwistigkeiten liefen jedoch an mir vorbei, denn ich hatte mich um mich selbst zu kümmern.
Je älter ich wurde, desto mehr Gedanken machte ich mir um meine Zukunft. Mein Glaube an Gott war fest, aber das Amt des Priesters auszuüben konnte ich mir nicht vorstellen. Ich mochte das Predigen nicht, ich liebte die freie Natur. Was sollte ich also auf einer Kanzel, oder noch schlimmer, in irgendwelchen muffigen Schreibstuben ausrichten?
Auch die Aussicht auf ein unstetes Soldatenleben behagte mir nicht besonders. Ich kämpfte zwar bisweilen gerne- und auch gut, aber ich wollte nicht, dass mein Leben darin bestehen sollte, meist unschuldige Menschen zu töten, nur weil gerade wieder Krieg war. Ich wollte auch nicht mein eigenes Leben als Söldner eines fremden Heeres auf das Spiel setzen und mein Leben nur zu riskieren, weil es keine andere Möglichkeit gab, meinen Lebensunterhalt angemessen zu bestreiten.
Für die dritte Möglichkeit, den Beruf des Medicus zu ergreifen, konnte ich meinen Herrn Vater nicht begeistern. Er lehnte das rundheraus ab, da sich diese Laufbahn einem Sprössling aus gräflichem Hause keinesfalls gezieme. Das war seine unumstößliche Meinung.
So gab ich mir Mühe, von meiner Frau Mutter so viel als möglich über die Heilkunde zu erlernen, ohne dabei meine anderen Studien zu vernachlässigen.
Doch der Gedanke an meine Zukunft ließ mir keine Ruhe. Oft wälzte ich mich des Nachts schlaflos umher, besorgt über meinen Werdegang, ohne jedoch zu einem fassbaren Ergebnis zu kommen.
Die Lösung für mein Dilemma kam für mich im Jahre 1304 in Gestalt des Komturs Ritter Wennengut, der ein Mitglied des Ordens der Brüder des heiligen Johannes war, und zu dessen Ballei unsere Grafschaft gehörte. Einmal im Jahr bekamen wir Besuch von ihm oder seinem Stellvertreter, und Vater und er zogen sich zurück, um geschäftliche Angelegenheiten zu regeln.
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