Mit dieser Auskunft musste ich mich zunächst begnügen.
Auf dem Nachtlager machte ich mir meine Gedanken. Warum ein Ritter und seine Begleiter in Friedenszeiten ihr Schwert gegürtet hatten und manchmal auch darunter ihr Panzerhemd trugen, war mir inzwischen klar. Die Gefahr durch Wegelagerer, besonders in den dichten Wäldern unserer Heimat mit ihrem dichten Unterholz, die wir auf unserer Reise durchquerten, war nicht zu unterschätzen.
Was ein christlicher Orden jedoch mit der Politik zu tun haben sollte, erschloss sich mir damals nicht.
Zu müde, um weiter darüber nachzudenken, fiel ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Eines Tages passierte es dann. Unsere Kolonne wurde von einer Gruppe von Gesetzlosen angegriffen und ich hatte zum ersten Mal die Gelegenheit, die Ritter im Kampfe zu beobachten. Einer stieß mich auf die Packpferde zu und rief:
„Kämpfe, wenn nötig, aber bleib und verteidige die Packpferde!“
Danach bildeten sie zwei Verteidigungsringe um die Pferde und mich. Ich zog mein Schwert, welches mir mein Vater zum Abschied geschenkt hatte, bereit, mein Leben und die Packpferde zu verteidigen. Wie viel lieber hätte ich in den Kampf eingegriffen, aber eines hatte ich inzwischen verstanden: Wenn man eine Anweisung von einem Ritter erhält, muss man gehorchen.
Die Angreifer waren nur mit Mistgabeln, primitiven Speeren, Äxten und Knüppeln bewaffnet. Sie waren den Rittern mit ihren Ringpanzerhemden, Schwertern und Schilden weit unterlegen. Schnell war klar, wie der Kampf ausgehen würde, dennoch trugen einige Ritter kleinere Wunden davon.
Die Wegelagerer machten sich aus dem Staub, ihre Verwundeten mit sich schleppend, ihre zwei Toten zurücklassend.
Ich war froh um das Medizinkästchen, welches sicher am Sattel meines Pferdes hing. Ich konnte die verwundeten Ritter notdürftig behandeln, was mir anerkennendes Nicken einbrachte.
Die toten Angreifer erhielten eine kurze, aber christliche Bestattung an Ort und Stelle. Diese Bestattung zeigte mir, wie der Orden mit toten Gegnern umging. Man achtete, dass auch diese Toten einmal Menschen gewesen waren und als solche nicht von wilden Tieren zerrissen werden sollten. Da es sich um Christen gehandelt hatte, so nahmen wir wenigstens an, erhielten sie auch ein entsprechendes Begräbnis.
Schließlich erreichten wir das weitläufige Gebiet des Sitzes des Ordens in der Ballei. Ohne es zu wissen, hatte ich auf dieser, meiner ersten Reise außerhalb der Grafschaft meines Vaters, so viele neue Eindrücke gewonnen und soviel dazu gelernt, dass mir fast der Kopf schwirrte.
Ritter Wennengut gab mir auf, mich um die Pferde zu kümmern, ließ mir dann ein Mahl servieren, wies mir eine Schlafstatt an und hieß mich, mich nach getaner Arbeit zur Ruhe zu betten.
Todmüde fiel ich auf meine primitive Pritsche nieder, doch so schnell konnte ich keine Ruhe finden.
Diese erste Nacht im Sitz des Ordens in der Ballei war für mich überwältigend.
In Rittingau ging man zu Bett, dann kehrte die Nachtruhe ein. Sie wurde hin und wieder von einem Schrei eines Nachtvogels, dem Heulen eines Wolfes oder den Lauten der Tiere in den Ställen unterbrochen. Wie anders war es hier! Ständig schien irgendeine Tür zu klappern, immer wieder wieherten Pferde, da waren huschende Schritte zu vernehmen, verstohlene Rufe und anderes Rumoren, welches ich nicht zuordnen konnte.
Dies sollte von nun an also meine neue Heimat sein. Voller Vorfreude und Zuversicht, gleichzeitig auch etwas verzagt, blickte ich auf die kommende Zeit. Die Reise zu diesem Ort hatte mir schon gezeigt, dass ich noch viel zu lernen hatte, und die ersten Eindrücke hier im Sitz des Ordens in unserer Ballei sagten mir das gleiche.
Schließlich fiel ich völlig erschöpft in einen tiefen Schlaf.
„Florian für heute soll’s genug sein. Ich kann mich nicht mehr so recht konzentrieren, was dieses Deutsch betrifft. Lass uns noch einen kleinen Absacker nehmen und dann zu Bett gehen.“
Florian reagierte jedoch nicht so recht auf meine Worte. Seine Augen deuteten an, dass er völlig in Gedanken versunken war. Ich schnippte kurz, und sein Blick fokussierte sich.
„Tut mir leid. Ich war gerade ganz woanders. Was meintest du?“
„Absacker? “
„Ja, klingt gut. Lass uns noch ein Gläschen Wein trinken. Theo, was denkst du über unseren Fund? Ist das Manuskript authentisch?“
„Nun, die Silbertruhe scheint alt zu sein, die Sprache und die Schrift entsprechen dem mir bekannten Mittelhochdeutsch. Ich könnte es sonst nicht lesen. Es bereitet mir aber Kopfzerbrechen, wie ein Text wie dieser, sorgfältig konserviert, auf den Filerimos kommt.
Meiner Meinung nach ist dies entweder eine grandiose Fälschung, oder er ist tatsächlich echt. Es erhebt sich jedoch die Frage, warum sollte irgend jemand so etwas tun? Oder würdest du eine ohne Zweifel wertvolle Silbertruhe mit diesem Inhalt vergraben und es dem Zufall überlassen, damit sie gefunden wird? Und ein verrostetes Schwert noch dazu? Es ist doch unwahrscheinlich, dass jemand das nur zum Spaß macht!“
„Das meine ich auch. Dazu erscheinen mir die Erlebnisse dieses Hans von Rittingau sehr lebensecht. Ich konnte die Düfte der Kräuter, die er beschrieb, selbst riechen, während du vorgelesen hast .Seine Familie erschien vor meinen Augen, ebenso die Gewänder des Ritters Wennengut und seiner Begleiter. Ich sah die Waffen, die Hans beschrieb, direkt vor mir. Völlig irre! Ich glaube, ich habe ein wenig zu viel von diesem guten rhodischen Wein genossen.
Aber was ist mit dieser Irini?
Und warum wurde Hans erst zum Ritter des Ordens, dann zum Eremit?“
„Florian, genau das sind die Fragen, die ich mir auch stelle. Da ist aber noch etwas. Bei jedem neuen Kapitel ist eine getrocknete Blüte des Hibiskus beigefügt.“
„Ist doch ganz klar! Blüten des Hibiskus wurden früher hier auf Rhodos manchmal auch Rosen genannt!“
„Nanu, seit wann weißt du das denn? Hast du etwa zusätzliche Recherchen angestellt, bevor wir zum Urlaub herkamen?“
Florian schüttelte erstaunt den Kopf.
„Nein, das habe ich nicht. Ich habe auch keine Ahnung, woher mir dieser Gedanke kam. Ich muss wohl zu viel Wein genossen haben. Ich gehe lieber schlafen. Lass uns morgen weiterlesen.“
Das Feuer war inzwischen heruntergebrannt, die feuchte Kühle des rhodischen Januars kroch langsam in unser Ferienhaus. So stimmte ich ihm aus vollem Herzen zu.
Am nächsten Morgen konnte Florian es kaum erwarten, mehr von Hans von Rittingau zu erfahren.
„Theo, bitte, lass uns gleich weiterlesen. Irgendwie finde ich diesen Hans sehr faszinierend.“
„Florian, meinst du nicht, dass dieser Tag viel zu schön ist, um hier herum zu hocken und ihn lesend zu verbringen?“
Ich hätte den schönen, klaren Morgen mit seinem strahlend blauen Himmel viel lieber für einen ausgiebigen Bummel durch die malerische Altstadt genutzt, die sich im Januar ohne den üblichen Touristenrummel recht beschaulich präsentierte. Sie bot viele Möglichkeiten für wunderbare Aufnahmen mit der Kamera. Normalerweise wäre Florian sofort dabei gewesen.
Außerdem war es im Sonnenschein warm genug, im T-Shirt umher zu flanieren, das war für uns Nordlichter im Januar etwas Besonderes.
Flori antwortete jedoch:
„Ach nein, bitte, ich bin doch zu gespannt zu erfahren, wie es weitergeht. Wenn ich den Text allein lesen könnte, würde ich es ja tun. Theo, bitte?“
Seufzend kam ich der Bitte meines Freundes nach. Immerhin ließ er sich noch zu einem ausgiebigen Frühstück im Garten überreden, bevor wir es uns dann im Sonnenschein bequem machten.
„Also gut, Flori, hör zu:“
Ich erwachte voll der Neugier und des Tatendranges zu meinem ersten Tag in dem ungewohnten Umfeld, welches bald mein neues Zuhause werden sollte.
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