Ritter Wennengut war in seinem schwarzen Umhang mit weißem, gleicharmigen, an den Enden zweispitzigen Kreuz, unter dem er auf Reisen stets ein Ringpanzerhemd trug, eine beindruckende Gestalt. Ebenso wie seine Begleiter, die teils schwarz, teils braun gewandet waren. Sonst aber waren sie genauso ausgestattet wie der Ritter selbst und trugen umgegürtet ihre Schwerter.
Diesesmal gestaltete sich der Besuch des Komturs etwas anders als die vorangegangenen.
Aufmerksam beobachtete der Komtur mich bei meinen täglichen Kampfesübungen, um sich anschließend lange mit meinem Vater zu beratschlagen.
Nach dem Mahl am Abend nahm er mich beiseite und das folgende Gespräch beeindruckte mich wie bis dahin kein anderes.
„Hans, dein Vater hat mir viel und Gutes über dich berichtet. Deshalb will ich dir einen Vorschlag machen.
Aber zunächst möchte ich dir etwas mitteilen. Wir Ritter des Ordens des heiligen Johannes leben nach folgendem Motto:
,Der Johanniter lässt sich rufen, wo die Not des Nächsten auf seine tätige Liebe, und der Unglaube der Angefochtenen auf das Zeugnis seines Glaubens wartet.‘
Nun, was hältst du davon?“
Verwirrt schaute ich ihn an. „Herr Ritter, das scheint mir ein edles Motto zu sein, wenn ich es auch nicht ganz verstehe.“
Verstohlen lächelnd erwiderte er: „Nun, Hans, der erste Teil bedeutet, dass wir uns der Krankenpflege und der Armenpflege widmen, und der zweite, dass wir Pilger auf ihrem Weg nach Jerusalem und zurück vor den Muselmanen beschützen, notfalls auch mit Hilfe des Schwertes. Wäre das etwas für dich?“
Das klang mir zu gut, um wahr zu sein. Krankenpflege? Gegen die Mamlucken, Sarazenen und andere Muselmanen zu kämpfen? Meine Glaubensangehörigen auf dem Weg ins Heilige Land mit dem Schwerte gegen die Heiden zu verteidigen? Konnte es sein, dass ich endlich meine Bestimmung gefunden hatte? Es klang wie der süße Gesang der Lerche in meinen Ohren, und so antwortete ich ihm mit voller Überzeugung.
„Herr Ritter, es wäre mir eine Ehre, für diese Ziele zu leben und zu kämpfen. Aber wie soll ich das wohl anstellen?“
„Es ist alles schon mit deinem Vater besprochen. Er hat mit deiner gründlichen Ausbildung gut vorgesorgt, du bist ein guter Schwertkämpfer und Bogenschütze, sprichst recht fließend Griechisch und Latein, kannst Lesen, Schreiben, Rechnen, hast jetzt schon profunde Kenntnisse in der Heilkunde und bist mit deinem Pferd wie verwachsen.
Außerdem bist du adeliger Abstammung. Wenn du einwilligst, nehme ich dich morgen früh mit, damit du die Zeit nutzt, bis du alt genug bist, als Ritter in unserem Orden aufgenommen zu werden. Du wirst bei uns deine Ausbildung noch vervollkommnen.“
Ich konnte mein Glück kaum fassen. Das war eine Aufgabe, die ich mir selbst in meinen kühnsten Träumen nicht besser hätte vorstellen und wünschen können. Ich zappelte fast vor Aufregung.
„Mit Freuden werde ich sie begleiten, Herr Ritter.“
„Du wirst verschiedene Gelübde ablegen müssen, wenn du ein Ritter unseres Ordens werden möchtest.“
Und Ritter Wennengut erklärte mir, was es damit auf sich hatte. Als Ritter dieses Ordens musste man schwören, keusch zu leben, gehorsam und demütig zu sein und sich nicht an dem Orden zu bereichern.
Schließlich erkundigte er sich:
„Hans, kannst du dir nun vorstellen, als treuer Ritter des Ordens der Brüder des heiligen Johannes zu dienen?“
„Jawohl, mein Herr Ritter, nichts könnte mir besser gefallen, als ein Mitglied des Ordens zu werden. Ich danke euch sehr für diese Möglichkeit und verspreche euch, mein Bestes zu geben, um euer Interesse an mir zu rechtfertigen.“
„Schön. Dein Herr Vater wird dein Reisegepäck vorbereiten lassen. Morgen in aller Frühe werden wir aufbrechen. Gute Nacht, mein Freund.“
Wie von Bier benebelt ging ich zum letzten Mal in meinem Leben in Rittingau zu Bett. Ich sollte also ein Ordensritter sein. Einer, der sich der Krankenpflege und dem Kampfe für Gott und Christus widmen dürfte. Das war mehr, als ich mir je erhofft hatte. Wie wenig bedeutete es im Vergleich dazu, dass ich am Ende meiner Lehrzeit die Ordensgelübde abzuleisten hatte.
Ich konnte damals noch nicht ahnen, dass ich jedes einzelne dieser Gelübde brechen, zum Rächer und fast zum Mörder werden sollte, dass der Bruch dieser Gelübde mich zu meinem jetzigen Dasein als Einsiedler auf dem Berge Filerimos auf Rhodos führen würde.
Am folgenden Morgen nahm ich frohgemut, aber auch ein wenig wehmütig Abschied von meiner Familie. Ich dankte meinen Eltern für ihre Fürsorge, umarmte meine Geschwister, wünschte Thomas Glück und ermahnte Hildegunde, die Heilkunde weiterhin ernst zu nehmen. Dann ritt ich, winkend, aber ohne mich noch einmal umzublicken, mit den neuen Weggefährten davon. Das kleine Medizinkästchen, welches mir meine Frau Mutter noch zugesteckt hatte, war sicher an meinem Sattel befestigt.
Mein Dasein als Angehöriger des Ordens der Brüder des heiligen Johannes hatte begonnen.
Auf unserer mehrwöchigen Reise durch die Gebiete dieser Ballei des Ordens sah ich mit Staunen, dass die Welt außerhalb unserer Grafschaft, welche ich noch nie zuvor verlassen hatte, ganz anders war als alles, was ich bisher gewohnt war oder gesehen hatte.
Welche Vielfalt! Zum ersten Mal sah ich neue, viel größere Marktplätze, auf denen Waren angeboten wurden, die ich nicht kannte.
Da gab es Früchte mit einer Schale, die orange war, man sagte mir, es seien Apfelsinen. Wie süß war ihr Saft, wie saftig ihr weiches Fleisch! So etwas hatte ich noch nie gekostet. Herzhaft biss ich in die köstliche Frucht, der Saft rann an meinem Kinn herab, worüber ich lachte wie ein kleines Kind.
Da gab es Kräuter, deren Duft mich fast schwindeln ließ, so neu war er für mich, Rosmarin, Thymian, Oregano und Basilikum genannt. Oh, wie ich darauf brannte, diesen neuen Gewächsen ihre Geheimnisse für die Heilkunst zu entreißen, denn meine Frau Mutter hatte mich eins gelehrt: Gott hat für viele Krankheiten ein Kräutlein wachsen lassen, man muss nur verstehen, sie in der richtigen Weise anzuwenden.
Auch auf dem Gebiet der Waffenkunde lernte ich schnell dazu. In den unterschiedlichen Schmieden, die wir aufsuchten, sah ich wahre Wunderdinge. Katapulte, eine neue Art von Waffen, Kanonen genannt, die wie explosive Steinschleudern wirkten, ebenso die verschiedensten Waffen für den Nahkampf. Die Wirkungsweise der meisten konnte ich schnell ergründen. Diejenige Waffe, die mich am meisten beeindruckte war ein Stab, an dem eine Eisenkette befestigt war. An deren Ende befand sich eine eiserne Kugel, die mit spitzen, eisernen Dornen bestückt war. Ich konnte mir gut vorstellen, welch tödliche Waffe diese in einem Nahkampf, sei es zu Pferde oder zu Fuß, kreisend um sich geschwungen, sein würde. Man belehrte mich aber, dass ein Ritter eine derartige Waffe niemals benutzen würde. Ein Ritter kämpfe mit dem Schwert. Das war mir auch recht, denn mit dem Schwertkampf kannte ich gut mich aus. Dennoch dachte ich im Stillen bei mir, dass eine solche geschwungene Eisenkugel auch sehr wirksam wäre.
Die Art und Weise, wie die Menschen auf Ritter Wennengut reagierten, überraschte mich sehr. Viele küssten seinen Rocksaum, andere betrachteten ihn schiefen Blickes und wandten sich fast schon verächtlich ab.
Eines Abends fragte ich ihn, warum das so sei.
„Hans, das hat etwas mit der Politik des Ordens zu tun. Nicht jeder ist damit einverstanden, was der Orden unternimmt. Im Moment weißt du noch nicht genug über unseren Orden, es sei daher genug, dir zu sagen, dass ich als Komtur des Ordens mich auch darum kümmern muss, in meiner Ballei Geld einzufordern. Das gefällt nicht jedermann, wenn auch niemand gezwungen wird, zu geben. Auf der anderen Seite sind uns viele Menschen dankbar, da unsere Hinwendung zur Krankenpflege schon manch einem das Leben gerettet hat.“
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