Desiderius schüttelte Rahffs Hand ab und stieg von der Bank. »Und wie wollt Ihr mich entlohnen? Wenn ich Euch in Dargard verlasse, habt Ihr immer noch kein Silber.«
»Ich werde dich finden! Oder du kommst zu mir auf die Burg«, konterte Rahff. »Mach dir darüber keine Sorgen, ich vergesse meine Schulden nicht. Ich vergesse dich nicht. Du hast mein Wort!«
Desiderius warf sich seinen Umhang über die Schultern und verknotete ihn unter seinem spitzen Kinn. »Was zählt das Wort eines Fremden? Ich kenne Euch doch gar nicht.«
»Ich halte immer mein Wort!«, behauptete der Silberlöwe.
Desiderius lächelte spöttisch. »Ja … sicher … aber wie gesagt, ich kenne Euch nicht. Und ich werde mich nicht in die Intrigen und Spiele blaublütiger Edelmänner einmischen. Wir wissen doch beide, dass ich der erste bin, der dabei drauf geht. Nein, danke.«
Die Verzweiflung in Rahffs Augen war beinahe im Raum spürbar. Er sah mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Wut zu Desiderius auf. »Du willst dir ein gutes Geschäft durch die Finger gehen lassen?«
»Ihr verwechselt mich mit jemanden, der alles für ein paar Taler Silber tut«, konterte Desiderius, während er die Riemen seines leichten Harnischs enger zog, »aber so jemand bin ich nicht. Ich habe Prinzipien. Und Regeln. Ich halte mich von Intrigen fern und riskier meinen Kopf nicht für etwas Silber, wenn ich in der Wildnis schlafen und essen kann. Sucht Euch einen anderen.«
Der Gigant knirschte verbissen mit den Zähnen. Er war es augenscheinlich nicht gewohnt, abgewiesen zu werden. »Ich kann niemanden bezahlen. Und du warst schon einmal hilfsbereit. Ich dachte …« Er verstummte ärgerlich, als Desiderius zu lachen anfing.
»Vergebung«, er gluckste weiterhin amüsiert und wischte sich eine Lachträne aus dem Auge, »aber verwechselt den Umstand, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort war, nicht mit Nächstenliebe. Ihr hattet lediglich Glück, dass ich Euch interessant genug hielt, um Euch nicht einfach hier in den Straßen verrotten zu lassen. Ich wollte Eure Geschichte erfahren, mit einem Giganten speisen und reden. Ich war neugierig, mehr nicht. Euer Schicksal könnte mir nicht weniger am Herzen liegen.«
»So, so.« Statt von Desiderius` fragwürdigen Beweggründen angewidert zu sein, grinste Rahff schelmisch. »Meine Gestalt ist also interessant für dich, Bursche?«
Hatte der Gigant nicht mehr aus dem Vortrag entnommen?
Desiderius schnaubte wie ein Pferd. »Habt Ihr je Euer Spiegelbild erblickt? Ihr seid ein wandelnder Bär auf zwei Beinen! Das wird mir niemand glauben!«
Rahff lachte leise in sich hinein, er schüttelte dabei über Desiderius` Naivität den Kopf.
Verärgert kreuzte Desiderius wieder die Arme vor der Brust. »Was ist?« Er konnte es nicht ausstehen, wenn sich jemand über ihn lustig machte!
Rahff sah amüsiert zu ihm auf. Dabei leuchteten seine braunen Augen wieder im Kerzenschein. Warm. Einladend. Verlässlich …
Lügen! Desiderius war zu zynisch, um sich von vertrauenswürdigen Augen einlullen zu lassen.
»Alle Menschen aus dem Gebirge sind fast so groß wie ich«, erklärte Rahff schließlich belustigt.
Desiderius geriet ins Stocken. »Ehrlich?«
Der Silberlöwe nickte. »Ja! Warst du nie dort?«
»Nein.«
Interessant! Es wäre doch eine Reise dorthin wert, um diese Behauptung zu prüfen. Aber gewiss nicht zu dem Preis, seinen Kopf zu riskieren. Er würde ein paar Jahre warten, bis im Süden wieder Ruhe eingekehrt war.
Obwohl, sollte dort zur Zeit Chaos herrschen, würde Desiderius leicht Beute machen können. Andererseits war er gewiss nicht der Einzige, der auf diese glorreiche Idee gekommen wäre, womit er es dann mit habgierigen Plünderern zu tun hätte, die einen einsamen, jungen Dieb nur zu gerne die Ohren stutzten, anstatt ihm etwas von ihrer Beute zu überlassen.
»Nun gut«, er blickte wieder auf Rahff hinab, »ich wünsche Euch gutes Gelingen und …« Er winkte ab. »Ach, was man eben noch so wünscht, bevor man geht. Gehabt Euch wohl … und so …«
Rahff verzog genervt das Gesicht, er versuchte nicht noch einmal, Desiderius aufzuhalten. Vermutlich hatte er endlich erkannt, dass er den falschen Mann in seine Dienste rufen wollte. Immerhin war ein Vagabund kein Söldner. Ein Vagabund war ein Herumtreiber und Taugenichts, dem Ehre und Loyalität nichts bedeuteten. Zumindest definierte Desiderius sein Dasein auf diese Weise.
»Falls du deine Meinung änderst«, setzte Rahff noch hoffnungsvoll hinterher, »ich bleibe noch eine Weile hier und halte mich bedeckt. Du findest mich sicher.«
Mit einem angedeuteten, spöttischen Knicks wollte Desiderius sich geschmeidig vom Acker machen, wie man so schön sagte, als jedoch die Vordertür aufflog und er beim Anblick der neu eingetroffenen Gäste erbleichte.
Sie kamen mit viel Lärm und Gegröle hereingestolpert. Abgehalfterte Banditen in dreckigen, abgefressenen Umhängen, die niemals nüchtern waren und an jeder Ecke Ärger machten. Männer, vor denen sogar die widerwärtigsten Huren flohen. Sie brachten eine Grabeskälte und den Gestank von feuchtem Moor und Tod mit in die Schenke.
Oh nein, warum ausgerechnet er …
Ohne den Silberlöwen noch einmal anzusehen, wirbelte Desiderius herum, bevor der Neuankömmling ihn erblicken konnte, und eilte an der Bar vorbei. Der Schankwirt rief ihm erbost nach, dass er hinten nichts zu suchen hatte, doch Desiderius blieb nur der Weg zur Hintertür hinaus, wenn er entkommen wollte.
Kalte Luft schlug ihm entgegen, die Nacht hatte sich über die Schwarze Stadt gelegt, und der Wind ließ das nahe Meer noch lauter rauschen als am Tage. Leiser Nieselregel peitschte durch die Nacht und in Desiderius` Gesicht, als er sich die Kapuze seines Umhangs überzog und hoffentlich unbemerkt mit der Dunkelheit verschmolz.
*~*~*~*
Rahff sah sich verwundert über die Schulter, als der junge Bursche geradezu fluchtartig die Schenke durch die Hintertür verließ. Es hatte etwas in Desiderius´ Augen gelegen, das er diesem kaltschnäuzigen Wicht nicht zugetraut hätte: echte, blanke Angst.
Aber was versetzte den Vagabunden derart in Panik? Doch nicht etwa die halbwüchsigen Männlein in den schmutzigen Lumpen, die gerade zur Tür hereingekommen waren und den geradezu liebreizenden Duft der Verwesung hereintrugen.
Immerhin erschloss sich Rahff nun, weshalb Desiderius den Schwanz einzog, statt ihm helfen zu wollen, ganz gleich mit welcher Menge Silber er ihn auch lockte. Wer sich vor solchen Zwergen fürchtete, konnte nicht sonderlich mutig sein.
Rahff schnaubte und schüttelte den Kopf, als er sich wieder abwandte und nach dem Becher griff, den Desiderius zurückgelassen hatte. Er blickte in einen dunklen, leeren Schlund und verzog bedauernd die Mundwinkel. Kein einziger Tropfen war übrig.
Er warf den Becher zur Huldigung der Erdgöttin auf den Boden.
Nicht, dass er sonderlich gläubig gewesen wäre, jedoch wurden ihm gewisse Sitten angelernt, die er sich schwerlich abgewöhnen konnte.
Seufzend stützte er die Ellenbogen auf den von tiefen Kerben demolierten Tisch und rieb sich die brennenden Augen. Der Tag war ihm lang vorgekommen. Erst der Verrat seiner Freunde, dann die Begegnung mit diesem äußerst interessanten Vagabunden, bis hin zu dessen strikter Weigerung, einem armen Narren wie Rahff zu helfen.
Selbst dieser junge Bursche witterte, dass Rahffs Leben bereits versiegt war. Dabei war es Rahff vorgekommen, als steckte in Desiderius ein Funke… Aufrichtigkeit. Zumindest war er erfrischend ehrlich gewesen. Eine Tatsache, die Rahff gerade in seiner derzeitigen Situation sehr zu schätzen wusste. Von einem ehrlichen, wenn auch kaltschnäuzigen, Gefährten hatte er zunächst keinen Verrat zu befürchten. Wem sonst sollte er trauen, wenn sogar seine engsten Freunde ihn für die Aussicht auf Silber verrieten? Ein fremder Bursche, der ihn aus unerfindlichen Gründen das Leben gerettet und keine Scheu davor hatte, ihm ins Gesicht zu sagen, was er von ihm und seinen Vorschlägen hielt, war traurigerweise Rahffs letzte Möglichkeit gewesen, für eine weitere Weile zu überleben.
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