Lord Silberlöwe sah ungläubig dabei zu, wie der junge Mann Tritte und Schläge verteilte und mit seiner kurzen Klinge – sie glich mehr einem Messer – Eskern das Schwert aus der Hand entwand. Dann wirbelte er herum, lief eine Wand hoch, drehte sich in der Luft und traf mit beiden Füßen einen von Zareths Männern am Kopf. Lord Silberlöwes kleiner Retter landete behände auf den Füßen und schlug sofort nach dem nächsten Angreifer. Er wehrte einen Schwertstreich ab und lenkte ihn an sich vorbei, schlug mit dem Knauf seiner Dolchklinge Tranis gegen den Kopf, dass sein Helm davonflog, und fiel ihn mit Zähnen und Klauen an, biss ihm das Ohr ab und schickte ihn mit einem raschen Schnitt über die Kehle in die Nachwelt. Anschließend schlitterte er über den Boden zwischen den anderen beiden gepanzerten Rittern hindurch, hob Eskerns Schwert auf, wonach dieser sich gerade bücken wollte, und trieb es mit einer einzigen, fließenden Aufwärtsbewegung in Eskerns Brust.
Er hielt sich nicht weiter mit diesem auf, ließ das Schwert stecken, woraufhin Eskern sterbend umkippte, und sprang auf die Füße. Zwei Ritter attackierten ihn noch, während Ilstat die Gelegenheit nutzte und auf sein Ziel losging.
Lord Silberlöwe sah ihm hasserfüllt entgegen und versuchte, sich aufzurappeln, doch der Boden unter seinen Füßen schien immer noch zu schwanken, als stünde er auf einem wellenbewegten Floß.
Oder als sei er sturzbetrunken.
Es gelang ihm nicht, auf die Beine zu kommen, weshalb er recht erbärmlich über den Boden von seinem Feind davonkroch.
Ilstat grinste hämisch und hob das Schwert für einen Überkopfschlag, als ihm das Grinsen plötzlich auf dem Gesicht gefror. Etwas durchstieß seine Brust und ließ einen warmen Blutregen auf Lord Silberlöwe rieseln.
Der Angreifer zog die Klinge heraus, Ilstat sackte auf die Knie und kippte zur Seite um. Er zuckte noch einige Male, verlor aber den Todeskampf.
Dann war es vorbei.
Schwer atmend und blutüberströmt stand der Fremde vor ihm, eine scharfkantige Gestalt von schlanker Anmut, die ein grausiges Bild der Gewalt abgab. Seinen leicht zusammengekniffenen Augen hing ein verwegener Schleier an. Sein Schädel war an den Seiten bis hinab auf die blanke Haut kahlgeschoren, das rabenschwarze Deckhaar trug er gerade lang genug, um es auf dem Hinterkopf zusammen zu binden, der Zopf war recht kurz und wie eine Palme gefächert.
In ihrem Königreich war es Sitte, den Jungen die Haare abzuschneiden, wenn sie zum Mann wurden, dieser Bursche schien sie wieder wachsen zu lassen. Er konnte demnach nicht besonders alt sein. Vielleicht siebzehn oder achtzehn Winter. Seine Wangen waren glatt wie der Popo eines Säuglings, doch aus seinem Kinn sprossen bereits schwarze Haare. Das kleine Bärtchen erinnerte an einen Ziegenbock.
Einen wahrlich attraktiven Ziegenbock.
Eine unheimliche Stille legte sich in die finstere Gasse, während sie sich ansahen.
»Meinen besten Dank, Junge.« Lord Silberlöwe versuchte, aufzustehen.
»Ich bin schon lange kein Junge mehr, alter Mann.« Der Fremde kam auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Ihr schuldet mir übrigens einen Beutel Silber.«
Schnaubend schlug er in die blutgetränkte Hand ein und ließ sich von dem jungen Mann auf die Beine helfen. »Ich habe nicht um Eure Hilfe gebeten.« Er schwankte noch, hielt sich aber aufrecht.
»Aber ohne mich wäret Ihr jetzt tot.« Der Fremde grinste ob seines gerissenen Konters.
Lord Silberlöwe betrachtete ihn eingehend. Er war jung, gewiss, aber in seinen stechendgrünen Augen lag eine Gewitztheit, die ihn umgehend in ihren Bann zog. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, und nach einem flüchtig aufflammenden Argwohn, lächelte der Jüngere zurück.
»Ich trage leider keine Taler bei mir«, entschuldigte sich Lord Silberlöwe, »aber wenn Ihr mir helfen könnt, werde ich Euch reich belohnen, sobald ich meine Ländereien zurückerobert habe.«
Der Fremde betrachtete ihn geringschätzig, während er sich die schmutzigen Hände an den Umhängen der Leichen abwischte. »Wobei helfen?«
»Zunächst bräuchte ich jemanden, der mich bis zum Morgengrauen beschützt.«
»Ja, mir scheint, als hättet Ihr ein paar Freunde verärgert.« Er drehte sich hin und her und sah die Leichen an, die er zu verschulden hatte. Es schien ihn nicht zu kümmern. Und seine kalte, berechnende Art imponierte Lord Silberlöwe umgehend. Mit Weicheiern hätte er nichts anfangen können.
»Eben deshalb«, konterte er.
Ein Moment verstrich, während der Fremde ihn wieder mit gesunder Skepsis betrachtete. Schließlich musterte er ihn noch einmal von Kopf bis Fuß und erfasste deutlich seine massige Statur. Er verdrehte die Augen, als habe man ihn Tagelang überredet, einen Streich mitzuspielen, und sackte ein Stück in sich zusammen, als wolle er zeigen, dass er kleinbeigab.
»Wer seid Ihr eigentlich?«, wollte er wissen.
»Man nennt mich den Silberlöwen. Oder besser gesagt: Lord Silberlöwe.«
Der Fremde gab einen zynischen Laut von sich. »Großartig. Mich nennt man den Vagabunden. Den Dieb. Den Nichtsnutz. Den Bastard«, zählte er auf. Dann lächelte er wieder auf eine geradezu ironische Art. Frech. Spöttisch. Schief. »Habt Ihr auch einen Namen? Ich wüsste gern, wer mir einen vollen Sack Silber schuldet.«
Bei dem Wort Sack, packte er sich beherzt in den Schritt und lachte schmutzig.
»Mein Name ist Rahff«, gab Lord Silberlöwe zähneknirschend zu. Der Verrat seiner Freunde hatte ihn erkennen lassen, dass er von nun an vorsichtig seinen Namen verwenden sollte. »Wahrer Erbe der Schwarzfelsburg, zu Euren Diensten.«
»Lasst gut sein, ich benötige keiner Eurer Dienste.«
Lord Silberlöwe ließ die Schultern hängen. »Das sagt man so. Ich bin Rahff, Sohn des Lord Rahff Youri aus dem Schwarzfelsgebirge. Achter seines Namens.«
Der Fremde schien nicht zu wissen, wer er war. Oder es interessierte ihn schlichtweg nicht. Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Schön für Euch.«
»Und wer seid Ihr?«, fragte Lord Silberlöwe wirklich höchst interessiert. Er schmunzelte und machte einen Schritt auf sein wahrlich anziehenden Gegenüber zu. »Ich wüsste gern, wem ich einen vollen Sack schulde.«
Bei dem Wort Sack ahmte er die Geste des Fremden nach.
Der Jüngere grinste verschmitzt, dabei blitzten lange und messerscharfe Fänge auf. »Ich bin Desiderius. Der Sohn einer Hure.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete er seinen Gegenüber.
Dieser Mann sah nicht nur aus wie ein Tier, er fraß auch wie eines.
Und diese Tatsache stellte ausgerechnet ein Dieb und Vagabund fest, der tagtäglich mit Männern wie ein wilder Hund um sein Essen kämpfen musste.
Dieser Silberlöwe, wie er sich selbst betitelte, inhalierte förmlich die wässrige Rübensuppe, die Desiderius ihm gekauft hatte.
»Ihr müsst hungrig sein.« Es war nicht zu übersehen…
Der Fremde hielt mit dem Holzlöffel vor seinem Mund inne und starrte über die Schüssel hinweg Desiderius finster an. Er hatte wohl herausgehört, dass dies kein Ausdruck der Besorgnis gewesen war. Seine vollen Lippen glänzten warm im Kerzenschein unter der Kapuze seines Mantels hervor, die er auf Desiderius` Rat hin hochgezogen hatte.
Es war klüger, wenn vorerst niemand Lord Silberlöwen erkannte. Auf einen weiteren Kampf konnte Desiderius wahrlich verzichten, ihm taten immer noch die Gelenke weh. Es war gar nicht so leicht, gegen Ritter zu anzutreten. Glücklicherweise waren sie recht langsam und ziemlich überrascht von ihm gewesen. Ansonsten wäre der ganze Spaß wirklich übel für ihn ausgegangen.
Suppe tropfte von dem wulstigen Mund seines neuen Bekannten zurück in die winzige Tonschale, die angesichts der Statur des Mannes niemals ausreichen würde, um ihn mit genügend Nahrung zu versorgen.
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