1 ...7 8 9 11 12 13 ...46 Vollkommen allein zu sein, auf sich gestellt zu sein, war ein … erdrückendes und gleichzeitig leeres Gefühl.
Rahff schloss die Augen, atmete tief durch, und konnte seine Trauer doch nicht zurückhalten. Sein Vater war ermordet worden und seine Brüder hatten ihn verraten, auch sie waren tot. Er wusste nicht, was schlimmer für ihn war, was ihn mehr schmerzte. Der Verrat oder der Verlust.
Das kalte Gefühl der Machtlosigkeit schlug seine Klauen in sein Herz und riss daran, auf dass es dunkelrot blutete.
Er schlug die Hände vors Gesicht und krümmte sich nach vorne, seine Wut in seine Finger brüllend, während heiße Tränen aus seinen Augen rannen. Er weinte, obwohl er sich geschworen hatte, niemals in seinem Leben eine Träne zu vergießen.
Doch gegen manche Gefühle war selbst ein Mann wie Rahff machtlos.
*~*~*~*
Er spürte einen Funken Mitleid.
Ach was, es war ein Inferno, er wollte es nur nicht zugeben.
Desiderius betrachtete den Mann, der im Stall neben dem kräftigen Schimmel im Schatten hockte und zusammengekauert in seine Hände weinte. Der Schmerz und die Trauer waren in dem Brüllen mehr als deutlich herauszuhören. Sie trafen mitten ins Herz, sei es noch so gut verschlossen.
Wenn starke Männer weinten, passierte immer etwas in Desiderius, über das er nicht genauer nachdenken wollte. Das Mitgefühl, das sich ihm aufdrängte, brachte mehr Zuneigung zu Tage, als gut für ihn war. Schon früh hatte er gelernt, Mitleid zu ignorieren und Anziehung im Keim zu ersticken. Zu oft war er verraten und enttäuscht worden.
Mit verzerrtem Mundwinkel zog Desiderius sich von der Kante zurück und lehnte den Kopf wieder gegen die Scheunenwand. Er hatte sich oben auf dem Heuspeicher bei den Mäusen ein Bett eingerichtet. Dort konnte man sich gut verstecken, außerdem war es relativ trocken, wenn man den undichten Stellen im Dach auswich. Er hatte bereits hier gelegen und sich buchstäblich in die Faust gelacht, da er Markesh wieder einmal entwicht war. Der Kerl war nachtblind, was Menschen eigentlich immer waren und Desiderius einen Vorteil einbrachte. Jedenfalls hatte er bereits hier gelegen und zufrieden mit sich auf einem Strohhalm herumgekaut, als Rahff hereingekommen war. Von hier oben aus hatte Desiderius einen guten Blick auf den Giganten.
Er rutschte tiefer, bis er bequem auf seinem Umhang lag, der ihm als Unterlage diente, und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Während er zu schlafen versuchte, lauschte er noch lange dem leisen Weinen des Giganten. Einen solch großen und körperlich starken Mann derart gebrochen zu sehen, erweckte etwas in Desiderius, das er nicht benennen konnte. Es war mehr als Mitleid, es war etwas, dass ihn irgendwie … berührte.
Rahff schien niemand zu sein, der vorschnell in Tränen ausbrach. Zumindest hatte in seinen Augen eine ungebrochene Stärke gelegen, als sie sich gegenübergesessen hatten. Rahff schien auf das Wesentliche konzentriert, verschwendete keinen allzu großen Gedanken an den Verlust.
Und doch, kaum war er allein und fand sich in der dunklen Stille der Nacht wieder, brach der Damm, hinter dem er seine Gefühle wirklich gut vor Desiderius versteckt hatte.
Größe und dicke Muskeln waren eben doch kein Allheilmittel gegen tiefere Gefühle, auch Giganten konnten brechen. Das machte Desiderius nachdenklich. Wenn sogar jemand wie Rahff von seinen Gefühlen überwältigt werden konnte, was ließ ihn dann annehmen, er wäre dagegen gerüstet?
Das Geräusch eines dumpfen Schlags holte Rahff aus seinen unruhigen Träumen. Er blinzelte den roten Nebelschleier fort, durch den sein Geist die ganze Nacht wirr umhergewandert war, um in die Gegenwart zurückzufinden. Zunächst wusste er nicht, wo er war. Es dauerte eine Weile, bis sich seine überreizten Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, dann erst erkannte er den Innenraum eines heruntergekommenen Stalls. Er erinnerte sich schlagartig, sodass ihm der Kopf schwirrte und die Last der Welt ihn niederdrückte.
Doch ein neuer Tag war angebrochen, und die Zeit des Kummers bis zur nächsten Nacht vorbei.
Da er aber gar nicht wusste, was er jetzt tun sollte – außer sich ans Messer zu liefern, um alle dem ein schnelles Ende zu bereiten, wozu er gewiss zu stolz war – blieb er wie angewurzelt sitzen.
Sein Schimmel drehte sich zu ihm um und legte die samtweiche Schnauze an Rahffs Stirn. Die rosafarbenen Nüstern blähten sich zu zwei großen Schlünden auf und bliesen heißen Atem durch sein kinnlanges Haar.
Rahff strich seinem Hengst mit der großen Hand sanft über den langen Nasenrücken und rieb den Kopf an dessen Nüstern. Im südlichen Gebirge wuchsen die Menschen mit viel Nähe zu ihren Pferden auf. Rahff kannte seinen Hengst seit vielen Jahren, er hatte dem Fohlen damals auf die Welt geholfen und im ersten Moment gewusst, dass sie Gefährten für das ganze Leben sein würden.
Sein Volk war begannt für die Zucht starker Schlachtrösser, die viel Last tragen konnten und ausdauernd waren. In schweren Rüstungen ritten sie in die Schlacht und überrannten ganze Heerscharen Feinde.
Da Nohva jedoch in Frieden lebte, waren die größten Kämpfe, die Rahff und sein Pferd bestritten hatten, Scharmützel gegen Räuberbanden gewesen. Heute wurden die Rösser überwiegend für die schwere Arbeit eingesetzt. Sie zogen Steinblöcke aus den Schwarzfels-Minen, oder schwere Baumstämme aus den Wäldern, waren darüber hinaus fähig, ohne Mühen steile Hänge hinauf zu steigen, wodurch sie für das gebirgige Gelände wie gemacht waren. Hirten schworen auf ihre Fähigkeiten, niemals würden sie ohne ein Schwarzfels-Ross die Ziegenherden durch das Gebirge treiben.
Deshalb zierte Rahffs Banner schließlich auch ein aufsteigender, schwarzer Hengst, er symbolisierte das, wofür sein Geschlecht berühmt geworden war.
Rahff war sehr stolz auf die Pferdezucht, auch wenn böse Zungen behaupteten, die besseren Pferde würden im Westen, in der Wüste, gezüchtet, da sie deutlich schneller rannten und dünner waren. Für ihn stand jedoch fest: es gab keine treueren Gefährten als die Rösser aus dem Gebirge, aus dem auch er entsprang. Und er wurde jedes Mal an seine innige Zuneigung erinnert, wenn sein Hengst ihm ins Haar blies oder den Kopf an ihn drückte, im vollkommenen gegenseitigen Vertrauen. Das Tier spürte Rahffs Zerrissenheit und Mutlosigkeit, weshalb er in den letzten Tagen sehr anhänglich wurde.
»Ich werde dich nicht im Stich lassen« , schien der Hengst ihm schwören zu wollen. Rahff wusste darum.
Abgesehen von dieser Treue, vermochte es kein Mann, diese Pferde zu stehlen. Man musste sie schon abschlachten, um sie von ihrem Herrn zu lösen. Deshalb konnte Rahff die Tiere auch gefahrenlos in einem unbewachten Stall stehen lassen. Sie würden niemanden an sich herankommen lassen. Und wer es doch wagte, sich ihnen ohne Erlaubnis ihres Herrn zu nähern, der würde erleben, wie kraftvoll und gefährlich ein wilder Hengst werden konnte.
Wegen alledem stand auch außer Frage, was mit den Pferden seiner Freunde geschehen würde. Ilstat und Eskern hatten ihre Wahl getroffen, die Tiere schienen zu spüren, dass ihre Herren nicht zurückkommen würden. Mit hängendem Kopf standen sie in ihren Boxen, unbewegt wie in Trauer versunken, als Rahff sich erhob und zu ihnen hinüberblickte. Ein grauer und ein brauner Rückenkamm waren über den Holzwänden zu sehen.
Sie würden ihm dienen, wenn auch nur als Packtiere. Aber hier konnte er sie nicht zurücklassen, bevor sie einem übermütigen Dieb in die Hände fielen, der vielleicht vor lauter Ärger tatsächlich noch auf die störrischen Tiere einstach.
Seine Gedanken wurden abgelenkt, als er wieder das dumpfe Geräusch eines Einschlags vernahm. Dank jahrelanger Erfahrung mit Schenkenprügeleien kannte er diesen Laut nur zu gut, und das dunkle Grunzen, das daraufhin folgte, kannte er ebenso gut. Da bekam jemand ordentlich in den Magen geboxt.
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