Desiderius tat es ihm gleich und versuchte, zu schlafen. Sollte Rahff doch die ganze Nacht wachliegen und das Lager bewachen.
»Redest du nicht mehr mit mir?«
Er schüttelte den Kopf.
»Du bist kindisch.«
Vielleicht. Doch er antwortete nicht, wurde nur umso trotziger, je mehr Rahff unbedacht Worte äußerte.
»Hab ich dich verletzt?«
Darauf erwiderte Desiderius nichts, er tat so, als würde er bereits schlafen. Natürlich war Rahff bewusst, dass er unmöglich derart schnell wegdämmern konnte.
»Ich habe nicht Nein gesagt«, versuchte Rahff, ihn zu einem Gespräch zu verleiten.
Desiderius hielt die Augen geschlossen, konterte jedoch trocken: »Und ich habe nichts gefragt.«
Das brachte Rahff zum Seufzen, er klang frustriert.
Einen Moment herrschte Stille, dann raschelte Stoff. Schritte, die sich über den Boden näherten, sie waren leise aber deutlich.
Rahff legte sich unverwandt hinter ihn auf die Decken, schob ihn fast auf den dreckigen Waldboden. Seine schwere Hand umfasste Desiderius` nackte Schulter, und seine Lippen streiften zärtlich seinen Nacken.
»Ich hab nicht Nein gesagt«, wiederholte er rau.
Desiderius musste den Mund öffnen, um atmen zu können. Er bewegte sich nicht, wagte kaum zu denken, weil er sich fürchtete, der Traum könnte sich erneut verflüchtigen. Doch Rahffs warmer Körper drängte sich tatsächlich an seinen Rücken, sein halbsteifes Geschlecht rieb durch die dünnen Hosen an Desiderius` Schenkel, und sein heißer Atem streifte sein Ohr.
»Du solltest über das Lager wachen«, sagte er jedoch spitz zu Rahff, er wollte ihn ärgern.
Rahff schob einen Arm über Desiderius, legte die Hand auf seine Brust und streichelte mit den Knöcheln durch die Rille, die sich zwischen den sanften Hügeln der Muskeln gebildet hatte. »Ich wache lieber über dich«, raunte er.
Und das tat er, die ganze Nacht, während seine Lippen zärtlich Desiderius` Nacken küssten.
Desiderius schlug das Herz so wild in der Brust, dass er kein Auge zu tat, um keinen winzigen Augenblick von Rahffs Berührungen zu verpassen.
»Desi…?« Rahffs Stimme klang zurückhaltend in der Stille der Nacht.
»Mhm?«
»Warum hast du mich vor meinen Feinden gerettet?« Ein Kuss in den Nacken, feucht und warm.
Desiderius öffnete die Augen, starrte in die Glut und spürte die Hitze auf seinen Lidern. »Weil du das schönste Lebewesen bist, das ich je erblickt habe.« Es war die schlichte Wahrheit, und er wagte es, sie auszusprechen, weil jede andere Erklärung keinen Sinn ergeben hätte. Weshalb sonst rettete man einen Fremden, wenn man kein Held war, kein Gutmensch? Nur aus Eigennutz.
Desiderius spürte Rahffs Lächeln im Nacken. Der Gigant küsste ihn wieder, noch eine Spur zärtlicher, geradezu dankbar.
»Warum hast du mich gerettet?«, flüsterte Desiderius zurück. Diese Frage quälte ihn schon seit Tagen. »Vor Zeck, vor dem Ertrinken. Warum soll ausgerechnet ich dir helfen?«
Rahff knabberte an Desiderius` Schulter, bevor er schelmisch zurückgab: »Weil du das schönste Lebewesen bist, das ich je erblickte.«
Hätte er sich nicht etwas Eigenes ausdenken können? Wie sollte Desiderius ihm jetzt Glauben schenken?
Die Küsse gingen in ein träges Lecken über, Rahffs Nasenspitze rieb über seine Haut. »Du schmeckst, wie ich es mir erträumt habe.«
Desiderius wollte sich umdrehen, doch Rahff ließ es nicht zu.
Nicht hier, nicht jetzt.
Er wollte nicht, dass sie Brüder waren, erinnerte Desiderius sich, aber küssen wollte Rahff ihn auch nicht. Was, bei den Göttern, wollte er dann?
»Bist du nervös?« Desiderius schloss die Riemen an Fels` Sattel und blickte dabei rüber zu Rahff, der zwischen zwei Obstbäumen Schnee sattelte. »Du wirkst nervös.«
Das war eine Lüge, Rahff war die Ruhe selbst, jedoch schwieg er seit dem gestrigen Abend und den ganzen Morgen hindurch, weshalb Desiderius annahm, dieses Schweigen ließe auf Nervosität schließen.
Auf Desiderius` Frage hin, schüttelte er jedoch lediglich den Kopf.
Wie abgesprochen hatte Desiderius die Stadt zuvor erkundet. Tatsächlich waren die Straßen von Dargard zu dieser Jahreszeit überfüllt. Menschenmassen strömten auf die vielen Märkte innerhalb der Mauern. Desiderius war von der reichen Kultur beinahe erschlagen worden. Angefangen bei den vielen unterschiedlichen Völkern, großen Gebirgsmenschen, schmächtigen Waldmenschen, schönen Menschen aus den Ebenen, vermummten Luzianern, die die Sonne scheuten, dunkelhäutigen Westländer mit mandelförmigen Augen und ernsten Gesichtern. Aber darüber hinaus ebenso die Häuser und verschiedene Stadtviertel, jedes beschrieb eine andere Herkunft, ein anderes Leben, andere Werte und Ideale. Hier wurde aus jedem Winkel des Landes Waren angeboten, von Reis über Mais bis hin zu exotischen Früchten. Jedoch auch Schmuck, aus robusten Fasern oder poliertem Silber. Goldschmuck war hier weniger gern gesehen, so nahe an der Kirche, immerhin war dieses kostbare Material allein den Göttern vorbehalten. Trotzdem gab es hier und dort Ringe, Armbänder und Ketten, die ihren Besitzer wechselten. Für die Sterblichen besaß das tragen oder besitzen von Gold etwas Erhabenes, das ihnen die Götter näherbrachte. Oder sie sich wie Götter fühlen ließ. Je nach dem, welche Absichten in ihren Herzen wohnten.
Die Stadt war schön, an einem großen See gelegen, der ihren Namen trug. Ihre Mauern waren hoch und ihre Tore massiv. Die Wachen innerhalb waren fein rausgeputzt, ihre Eisenplatten poliert, ihre Schwerter blitzten wie neu. Sie trugen ein freundliches Lächeln auf den Lippen, aber Strenge in den Augen.
Desiderius hatte das Westtor durchschritten, direkt am See. Dort gab es viele Stege und Fischerboote dümpelten auf der spiegelglatten Oberfläche des Wassers. Die Wachen durchsuchten ihn, doch seinen Dolch durfte er behalten, sofern er ihn dort trug, wo man ihn sehen konnte.
Er hatte sich unter die Menge gemischt, die ihn eine breite, gepflasterte Hauptstraße aufwärts trieb, bis er auf dem großen Markplatz direkt vor dem riesigen Kirchenschiff stand. Die Glocken des Turms läuteten zum Mittag, sodass er sich die Ohren zu hielt.
Es hatte nach warmen Wein, nach Wildschweinbraten mit Honigkruste, nach Obstkuchen und feinen Duftwässerchen gerochen.
Die Händler waren freundlich, die Käufer hektisch. Viele Frauen liefen von Stand zu Stand. Hochgeborene, deren Haare hochgesteckt waren, und deren schlanke Gestalten in seidenen, hellen Gewändern steckten. Kinder liefen umher, denen Ammen in weniger schicken Wollkleidern nachjagten. Gestriegelte Edelmänner gab es wenige zu sehen, die meisten überquerten lediglich den Platz und fanden sich in den Schenken am Markt ein.
All diese Eindrücke hatten Desiderius beinahe blind und taub werden lassen, jedoch gewöhnte er sich recht schnell daran und genoss es schließlich, als ein Gesicht von vielen in der Menge untergehen zu können. Genau wie damals als er noch ein Kind gewesen war, wurde er kaum beachtet. Wobei Damals gerade mal fünf Jahre her war. Er war ein Fremder, gewiss, vielleicht ein Söldner, aber niemand hielt ihn für eine Gefahr. In Dargard herrschte ein friedliches Miteinander, anders als in der Schwarzen Stadt, wo man jederzeit mit einem Dolch zwischen den Rippen rechnen konnte.
Ein paar Diebe gab es auch, ungeschickte Kinder, die ihm den Beutel abschneiden wollten. Er packte den kleinen Drecksack, der es versuchte, schubste ihn mit dem Gesicht gegen eine Hauswand in einer dunklen Gasse zwischen dem Schneider und dem Apotheker und raunte ihm ins Ohr: »Versuch das ja nie wieder, du Amateur, oder ich stehle mir etwas von dir, das dir wesentlich mehr bedeutet als mir mein Silber.« Um es zu verdeutlichen, drückte er seine Lenden gegen die warmen Gesäßbacken des Jüngeren.
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