»Nein.«
»Doch! Sie hat mich festgehalten!«
»Das waren Algen!«, warf Rahff ein. »Ich habe sie durchgeschnitten. Du hattest Glück, dass sich dein Fuß in ihnen verfangen hat, sonst wärest du verloren gegangen!«
»Aber …« Desiderius blieben die Worte im Halse stecken, Übelkeit erfasste ihn unerwartet wie ein Sommergewitter die Ebenen. Er schwankte bleich.
Verwundert runzelte Rahff die Stirn. Er streckte eine Hand aus und legte sie beruhigend auf Desiderius` Schulter. Obwohl sie beide im selben eiskalten Wasser geschwommen waren, fühlte sich Rahffs Berührung angenehm warm an. »Alles in Ordnung? Du siehst…«
Desiderius übergab sich unversehens direkt auf Rahff. Man musste ihm zu Gute halten, dass er nicht angewidert zurücksprang oder Desiderius gar von sich stieß. Es war ohnehin zu spät, und es dauerte auch nicht lange.
Desiderius schlug sich die Hand vor den Mund, als er sah, dass er ihm direkt in den Schritt gespuckt hatte. Der Gigant schloss tief durchatmend die Augen, als suche er innerer Ruhe.
Zugegebener Maßen war Desiderius gerade einfach nur erleichtert, dass kein Blut in der gelben Galle zu sehen war. Vielleicht stammte seine Übelkeit von der Erschöpfung. Es beruhigte ihn, dass sein Magen nicht blutete.
Er nahm die Hand vom Mund und sah Rahff lachend an. »Puh! Jetzt geht es mir besser!«
Rahff blickte unglücklich an sich hinab, breitete matt die Arme aus.
»Wenigstens nicht auf das weiße Hemd!« Desiderius kratze sich beschämt im Nacken. Als er Rahff auf die Brust sah, fiel ihm die Narbe in dem weiten Ausschnitt auf. Wobei es eher vier Narben waren. Vier wulstige, rotglühende Linien unter dem dicken Brustpelz, die sich über seinen Oberkörper zogen. Das konnten nur die Klauen eines Raubtiers gewesen sein. Eines großen Raubtieres.
»Hervorragend!« Rahff wandte sich ab und ging zurück zum Wasser, dabei öffnete er seine Hose.
Desiderius wandte den Blick ab, ehe er Dinge sah, die er nicht sehen wollte. Oder besser gesagt, nicht sehen sollte , wenn er je wieder einen klaren Gedanken fassen wollte. Die Beule unter der Schnürung war mit Abstand das Vielversprechendste, was ihm je unter die Augen gekommen war. Dabei war das Fleisch darin nicht einmal hart.
Er überschaute das Ufer, Wasser tropfte noch von seinem Gesicht. Vor ihm standen die Pferde, Nebelkralle hing in einem Säckchen an Schnees Sattel, nur sein Köpfchen und die Vordertatzen lugten heraus. Fels hatte es allein über den Fluss geschafft, er blickte Desiderius treudoof entgegen.
Desiderius kümmerte sich um das Feuer. Sie hatten das Lager im tiefen Unterholz direkt am Ufer aufgeschlagen. Dort würden sie eine oder auch zwei Nächte verweilen, um sich einen Plan zurechtzulegen, wie sie nach Dargard und unbemerkt in die Stadt hineingelangten.
Vom Fluss aus waren sie nicht zu sehen, allerdings könnte jemand, der den Wald betrat, den Rauch bemerken, den das Feuer verursachte. Diese Gefahr mussten sie jedoch eingehen, denn allmählich brauchten ihre Körper Nahrung, auch wenn Desiderius noch immer ein gewisses Unwohlsein im Magen verspürte.
Sein Bauch war leer, und sein Leib brauchte Kraftreserven.
Außerdem glaubte er nicht, dass sich irgendeine einsame Seele hier her verirrte, hier gab es nicht einmal Wege. Und Markesh, oder mögliche Meuchler, die hinter Rahff her waren, dürften noch weit hinter ihnen sein. Rahff und er waren doch recht gut vorangekommen. Zu Pferd ging es eben doch ein wenig flotter als zu Fuß, zumal sie den ganzen Tag flussaufwärts getrabt waren.
Sie hatten einen guten Vorsprung. Zumindest beruhigten sie ihre Gemüter mit diesem Gedanken.
Doch trotzdem bekam er das Gefühl nicht los, dass sie verfolgt wurden. Nicht, dass er etwas oder jemanden im Wald gesehen hätte, abgesehen von den tierischen Waldbewohnern. Es war viel mehr ein Gefühl. Ein Kitzeln im Nacken, als würde er beobachtet. Doch wenn er in den Wald hineinspähte konnte er nichts erkennen. Sie waren allein. Jedoch ließ ihn das Gefühl nicht los, dass jemand dicht bei ihnen war. Allerdings kam er sich nicht bedroht vor, ihm war schlichtweg so, als würde jemand sie verfolgen und beobachten, seit sie den Fluss verlassen hatten.
Wieder hielt er inne, blickte lange in den Wald hinein, wie ein Wolf, der etwas witterte. Allerdings war dort nichts im Unterholz, nicht einmal eine Maus. Er schüttelte den Gedanken ab, schob das seltsame Gefühl auf die Tatsache, dass Markesh hinter ihm her war.
Zufrieden mit den Flammen stand Desiderius auf und klopfte die Hände aneinander ab. Er löste seinen Zopf und band ihn neu zusammen, da sich wieder zwei Strähnen gelöst hatten.
Sein Bick fiel auf die Pferde. Er hörte noch Rahffs Worte im Kopf. »Zeig ihm, dass er dir vertrauen kann!«
Warum sollte es ihn kümmern? Desiderius hatte nie auch nur im Traum daran gedacht, freundlich zu irgendetwas oder irgendjemanden zu sein. Nun ja, nicht seit seiner Flucht aus dem Kloster.
Das erste und letzte Tier, mit dem er Freundschaft geschlossen hatte, war ihm entrissen und als Eintopf zum Abendbrot vorgesetzt worden.
Natürlich war dies der Verlauf der Dinge, er hatte diese Lektion gelernt. Trotzdem würde er nie wieder ein Kaninchen essen können. Oder einen Hasen.
Er ging hinüber zu Fels, der mit müde hängendem Kopf neben Erde stand. Die beiden Hengste gaben stets ein Trauerbild ab.
Ob sie, wie Rahff behauptete, wirklich um ihre Herren trauerten?
Und wenn ja, spürte Fels dann, dass Desiderius seinen Herrn getötet hatte?
Unsinn! Desiderius verscheuchte den Gedanken. Doch eines war gewiss, Fels hatte ihn abgeworfen, weil er ihm nicht vertrauen konnte. So albern er Rahffs Fürsorge für die Tiere auch fand, in dieser Angelegenheit war er im Recht.
»He, Grauer!« Desiderius nahm die Decke, mit jener Rahff jeden Tag nach dem Absatteln Schnee abrieb, und tat selbiges bei Fels. Das graue Fell des Hengstes war verschwitzt und glänzte, vor allem dort, wo der Sattel den ganzen Tag auf seinem Rücken gelegen hatte. Also rubbelte Desiderius ihn sanft trocken. Das Tier schien es zu genießen, es schloss die Augen.
»Ich weiß, du vertraust mir nicht«, flüsterte Desiderius ihm zu. Mit einer Hand führte er die Decke über die Flanke, mit der anderen kraulte er den kräftigen Hals. »Und ich kann es dir nicht verdenken. Ich vertraue auch niemanden. Würde ich mir einmal selbst begegnen, wäre ich der Letzte, der mir Vertrauen schenken würde. Ich kann dich also verstehen.« Er zog die Augenbrauen hoch. »Nun ja, vielleicht nicht gänzlich. Auf mir reitet schließlich nicht den ganzen Tag so ein Narr, der nicht weiß, was er eigentlich tut.« Seine Worte kamen ihm ungewollt über die Lippen. Er seufzte und dachte dabei an Rahff, konnte noch dessen Mund auf seinem fühlen, und leckte sich dabei ungewollt über die Lippen.
Oh nein, er wusste wirklich nicht, was er eigentlich tat.
»Ich sollte gar nicht hier sein. Ich sollte ihm nicht helfen. Aber weißt du was, Fels? Als ich ihn da in der dunklen Gasse sah, und dein Herr ihn gerade abstechen wollte, da habe ich dieses Drängen in der Brust gespürt. Du weißt schon, dieses Gefühl, keine Luft zu bekommen, genau dieses Gefühl, das Rahff heute Mittag beschrieben hatte, als er von der pelzigen Ratte sprach…«
Fels schnaubte.
»Verzeihung, du hast Recht. Ich meine natürlich Nebelkralle«, lenkte Desiderius ein. »Aber du musst zugeben, dass er nach Raubtier stinkt!«
Dazu hatte der Hengst wohl nichts zu sagen. Was war nur in Desiderius gefahren? Nun stand er hier und sprach mit einem Pferd, das ihn doch ohnehin nicht verstand. Aber so war das eben mit Einzelgängern, sie wurden irgendwann immer zu seltsamen Genossen. Mit wem hätte er denn sonst reden sollen, außer den Bäumen, die ihn umgaben?
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