Rahff blinzelte überrascht. »Was? Ach, das Blut?« Er schüttelte leise lachend den Kopf. »Nein. Warum sollte es?«
»Weil …« Desiderius suchte nach Worten, die nicht die Verzweiflung preisgaben, die er gerade verspürte. »Weil ich die Erfahrung machte, dass Menschen mich deshalb für einen Wilden halten.«
Und er wollte nicht, dass Rahff ihn mit diesen anklagenden Augen betrachtete, die Desiderius sein Leben lang gemustert hatten.
Rahff runzelte kritisch seine Stirn. Und was er dann sagte, würde Desiderius niemals in seinem Leben vergessen: »Die meisten Menschen sind dumme Schafe, Desi. Natürlich fürchten sie sich vor dem Wolf. Und so lang sie können, werden sie dich dementieren, wo sie nur können, weil es ihre einzige Waffe gegen dich ist. Sie wollen dich schlichtweg verunsichern, weil sie selbst verunsichert sind.«
Verwirrt legte Desiderius den Kopf schief, dabei bemerkte er, dass Rahff noch immer sein Kinn festhielt. Die Finger des Giganten streichelten es sogar, ungeachtet des Blutes darauf. Die Berührung brannte, sandte kleine Hitzeblitze unter Desiderius` Haut. Er spürte noch deutlich Rahffs Lippen auf seinen, konnte nicht aufhören, sich das Gefühl in Erinnerung zu rufen, obwohl es für Rahff etwas anderes dargestellt hatte als für ihn.
»Dann verabscheust du mich nicht?«, fragte Desiderius flüsternd.
Warum flüsterte er? Er wusste es sich nicht zu erklären, seine Stimme wagte nicht, sich zu erheben, während er Rahffs faszinierten Blick nicht entkommen konnte. Sie sahen sich an und schwiegen.
Ich will, dass du mich noch einmal küsst. Bewusst. Gewollt. Desiderius sah ihn länger als nötig an, seine Miene musste seine Gedanken preisgeben. Doch der wie kurz vor einem Sturm aufgeladene Moment verstrich, ohne dass etwas geschah.
Rahff lächelte. Ein schiefes Grinsen mit offenen Lippen, das seine schneeweißen Zähne in der Abendsonne aufblitzen ließ. »Oh nein, ganz und gar nicht …«, raunte er verheißungsvoll.
Desiderius` Herz machte einen Satz. Was bedeutete dieser glutvolle Blick, diese Stimme voller dunkler Versprechen?
Als wollte er unter Beweis stellen, dass er alles andere als angewidert war, schabte Rahff mit dem Daumen das Blut von Desiderius` Kinn und leckte sich den Lebenssaft des Fuchses von dem Finger.
Desiderius schluckte geräuschvoll. Ihm kam es vor, als wäre der Wald in diesem Moment eine ganze Spur wärmer geworden.
»Wir trinken das Blut der Wölfe, bevor wir uns zum Eheweib ins Bett legen«, erklärte Rahff mit einem Augenzwinkern. »Dein Volk und meines sind sich nicht so unähnlich. Bis auf, dass wir alberne Rituale zur Stärkung der Manneskraft abhalten, während du deiner Natur nachgehen musst.«
Das brachte Desiderius tatsächlich zum Schmunzeln. Die Scham, die er eben noch verspürt hatte, wich einem seltsam warmen Gefühl der Dankbarkeit, die sich in seinem Magen ausbreitete und ihn nährte.
»Aber ich trinke für gewöhnlich das Blut von Menschen oder anderen Zweibeinern«, machte er Rahff verständlich.
»Das ist mir bewusst«, konterte Rahff etwas eingeschnappt, »ich bin ja kein Narr, etwas Kultur liegt mir auch. Und ich weiß, dass du dafür eigentlich niemanden töten musst.« Er blickte hinab auf den Fuchs und warf ein: »Tja, es sei denn, du musst vorher jagen.«
In der Tat wäre der Fuchs nicht in Lebensgefahr gewesen, hätte er seine Vene freiwillig angeboten, aber das hätte das Tier nicht verstanden, und mit einem Pfeil war es schnell eingefangen gewesen.
Luzianer tranken ihre Spender nie blutleer, so wie ein normaler Mensch nie ein Fass Wasser in einem Zug trinken würde. Schließlich aß jedermann nur so viel, bis er satt war. Oder in Desiderius` Fall, bis seine Heilung sich ein wenig sputete.
Rahff lächelte ihn offen an. Ein Ausdruck des Verständnisses, das Desiderius noch nie entgegengebracht worden war.
»Wenn du das nächste Mal verletzt bist«, sagte Rahff mit dunkler, rauer Stimme, »dann nähre dich an meiner Vene.«
*~*~*~*
Schweigend aßen sie die Fische, die Rahff erjagt und über den Flammen gebraten hatte. Das Abendrot hatte sich über sie gelegt und schimmerte Ahornfarben durch die grünen Blätter.
Nebelkralle saß neben ihnen, beobachtete sie mit schiefgelegtem Köpfchen, als wunderte er sich darüber, was diese dummen Menschen mit dem guten Fisch anstellten, bevor sie ihn aßen.
Es handelte sich um kein einfaches Mahl, da es sich als nervig herausstellte, die Gräten aus dem Fleisch zu puhlen. Aber eines musste Desiderius dem Giganten lassen, der Fisch war perfekt gebraten. Er war durch, aber nicht trocken.
»Hätten wir doch Met gehabt!«, beklagte sich Rahff, während er beherzt mit den Zähnen ein Stück aus dem Fisch riss, Gräten zerbarst er einfach und schluckte sie, einem Giganten schienen sie nichts anzuhaben. »Dann hätten wir den Fisch damit übergießen können. Das hätte ihm richtig Geschmack eingehaucht!«
Desiderius wusste gar nicht, was Rahff zu bemängeln hatte. In den letzten Jahren, als er mit Markesh unterwegs gewesen war, hatte er nicht ansatzweise etwas zwischen die Zähne bekommen, das genießbar gewesen wäre. Diebe fraßen in der Not auch Ratten. Und nein, das war kein Sprichwort, sondern schlichte Wahrheit.
»Was denn? Kein spöttischer Kommentar?« Rahff grinste ihn über die knisternden Flammen des Feuers hinweg herausfordernd an. Er hatte sich das Hemd wieder übergezogen, doch der weite Ausschnitt bedeckte die Brust keineswegs, sodass sie immer und immer wieder ein Blickfang war. In gönnerhafter Pose lag er auf der Seite, einen Ellenbogen als Stütze, und das dunkle Haar auf der linken Seite hinter das Ohr gestrichen. Wie ein Prinz. Es fehlten nur die jungen Frauen, die ihn mit Weintrauben fütterten.
Desiderius schüttelte mit vollem Mund den Kopf.
»Was ist los mit dir, Desi?« Rahff warf das Gerippe des Fisches in die Büsche, sodass Nebelkralle sich gierig darauf stürzte. »Du bist so schweigsam, seit ich dich im Wald fand.«
Rahff klang auf einmal sehr sorgenvoll. Und nicht auf die spöttische Art, wie Desiderius es von anderen gewohnt war, nicht sarkastisch. Nein, seine Sorge schien aufrichtig.
Aus irgendeinem Grund behagte das Desiderius nicht.
»Dir gefällt es wohl, mich zu reizen!«, gab er pikiert zurück. »Ich sagte doch, du sollst mich nicht so nennen!«
»Wie soll ich dich dann nennen?«, wunderte sich Rahff. Er leckte sich die vom Fisch öligen Finger sauber. Ein Anblick der …
Desiderius schloss die Augen, wollte nicht sehen wie sich die vollen Lippen um diese feuchten Fingerspitzen legten und sie schmatzend ableckten.
»Nicht so! Mein Name ist Desiderius. Oder Derius. Aber nicht Desi !«
»Deine Familie nennt dich Derius, nicht wahr? Jene Menschen, die dich jagen und töten wollen. Und Desiderius ist wohl dieser Luzianer, den andere für eine Art Dämon halten, weil er Blut trinkt. Also dachte ich, es wäre angenehmer, dir einen geeigneteren Spitznamen zu geben.« Rahff zuckte mit der Schulter, auf jener er nicht lehnte. »Einen Namen, mit den dich wahre Freunde anreden.«
Desiderius starrte ihn noch böse an, doch in seinem Magen breitete sich wieder dieser bekannte, warme Hauch aus, der von seiner eigenen Dummheit zeugte. Er kannte dieses Gefühl, es war diese naive Zuneigung, die er gelegentlich gegenüber anderen Männern verspürte, die seine leichtsinnige Seele ins Herz geschlossen hatte. Freundschaft. Wie er Zecks Freund gewesen war. Oder noch schlimmer, wie Markesh ihm sowas wie ein Vater gewesen war! Es war ein Trugschluss, sie alle mochten nicht ihn, nicht das, was er war, sondern nur das, wozu er fähig schien.
Genauso wie Rahff. Sobald Desiderius ihn in die Stadt gebracht hatte, würde der Gigant gewiss nie mehr einen Gedanken an ihn verschwenden.
»Nun hab dich nicht so«, Rahff lächelte ihn gewinnend an, »ich will dir nichts Böses. Was geht dir im Kopf herum? Weil ich dich Blut trinken sah? Mir hat es gefallen. Deine rohe, wilde Seite, wie ein Raubtier. Das war …«, er seufzte verträumt, »… ein sehr schöner Anblick.«
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