Rahff pfiff anerkennend. »Ich habe die alte Witwe mal auf einem Bankett getroffen. Ihr Hals war schon immer zu fett für Schmuck gewesen.«
Desiderius lachte schmutzig. »Und du bist wirklich ein Adeliger?«
Rahff sah ihm in die Augen, schmunzelte belustigt. »Nicht alle Blaublüter haben einen Stock im Arsch.«
»Nein, aber ich dachte, ihr würdet untereinander eine gewisse … Loyalität hegen, wenn es sich um Diebe allgemein handelt.«
»Ist doch nur Schmuck«, winkte Rahff gleichgültig ab. »Und im Grabe wird sie ihn nicht mehr brauchen.«
»Sie ist tot?« Das überraschte Desiderius. Erst im Frühjahr hatten Zeck und er ihre Kutsche überfallen, als sie auf dem Weg von ihrer Villa in den fruchtbaren Hügeln zur Hauptstadt in die Ebenen reiste. Sie war immer ein beliebtes Ziel, schlecht bewacht und reich an Beute. Man munkelte bereits unter den Dieben, sie läge es darauf an, überfallen zu werden, in der Hoffnung, einer der Diebe würde sich an ihr vergreifen. Doch selbst der hungrigste Halunke wäre bei ihrer Leibesfülle und ihrer starken Gesichtsbehaarung lieber einem Maultier zu Willen, als die Herzogin Derish zu schänden.
Rahff nickte bestätigend. »Ihre Ländereien fielen der Kirche zu. In ihrer Villa leben jetzt Mönche. Du solltest da lieber nicht noch einmal einbrechen. Die Kirche holt sich ihre Reichtümer immer zurück.«
»Von Abteien und dergleichen halte ich mich ohnehin fern«, versicherte Desiderius nachdenklich. Er würde um das ehemalige Herzogtum einen sehr weiten Bogen schlagen, so viel stand fest. Es war gut, dass Rahff ihm davon berichtet hatte. Er sollte ihn weiter aushorchen, um in Erfahrung zu bringen, wo er zukünftig einbrechen konnte. »Außerdem hängen selbst Diebe an ihren Göttern. Markesh würde nie die Kirche berauben – ein Grund mehr, ihn zu verlassen.« Desiderius hielt nicht viel von den Göttern, sie hatten ihm immer nur Schlechtes gewollt. Er zweifelte ohnehin an ihrer Existenz.
Nebelkralle gähnte, und Rahff kraulte ihn mit einem dicken Finger hinter den kleinen, abgerundeten Ohren. Desiderius beobachtete ihn wieder mit Herzklopfen dabei. Erneut bewunderte er die plötzliche Zagheit, die der Gigant aufbrachte, um dieses kleine Wesen zu umsorgen.
»Hast du ein Weib?« Die Frage rutschte ihm unversehens heraus, als er sich Rahff gänzlich ungewollt mit einer Frau vorstellte. Ob er sie genauso liebevoll und sanft nehmen würde, wie er das Tier auf seinem Arm behandelte, oder doch wild und brutal, wie der ungezähmte Bär, der am Morgen furchtlos in die Räuber hineingerannt war. Legte er sich behutsam zu seinem Eheweib auf die Felle im Schein eines Kaminfeuers, beide nackt, und wiegte langsam seine kräftigen Hüften zwischen ihren zarten Schenkeln? Oder warf er sie auf den Bauch und nahm sie von hinten wie ein Tier, schnell und hart, als sei er wütend auf sie und wollte sie bestrafen?
Willst du nicht warten, bis er schläft, bevor du diesen Gedanken nachhängst?
Es wäre wohl klüger.
Rahff blickte auf, suchte seinen Blick. »Nein«, sagte er bedächtig, als sich ihre Augen trafen.
Es fühlte sich für einen Moment so an, als habe er mit diesem einem Wort eine Tür aufgestoßen. Weit aufgestoßen. Sodass ein Sturm frischer Luft durch eine große Öffnung in ein zuvor dunkles, stickiges Haus zog.
»Du bist etwas alt, um ohne Gattin zu sein.« Desiderius schlug die Tür schnell wieder zu.
Rahff schmunzelte über diese Frechheit. »Ich war vermählt«, gestand er dann, »zweimal.«
»Oh.« Die Tür war plötzlich verriegelt. »Was ist mit ihnen geschehen?«
»Meine erste Frau starb während der Geburt meiner Tochter, beide haben es nicht überlebt.« Er sprach derart sachlich und nüchtern darüber, dass Desiderius annahm, dass es eine arrangierte Ehe gewesen war, keine Liebe. »Die zweite Frau ließ unsere Vermählung lösen, um ein Leben im Kloster zu führen. Soweit ich weiß, starb sie vor zwei Jahren an der Pest.«
Verwundert darüber schüttelte Desiderius den Kopf. »Sie konnte eure Ehe lösen?«
»In der Nacht unserer Vermählung, als es darauf ankam … ich konnte die Ehe nicht vollziehen.« Es schien ihm nicht peinlich zu sein.
»War sie so unansehnlich?«, fragte Desiderius dreist.
Rahff schmunzelte ihm lediglich zu.
»Du hast also keine legitimen Nachkommen«, stellte Desiderius ernst fest, »und auch kein Weib. Wenn es deinem Onkel gelingt, dich tötet zu lassen, ist er demnach auch rechtmäßig der Erbe deiner Burg und Ländereien.«
Rahff nickte mit leerem Blick. Dieses Thema schlug ihm sichtlich auf das Gemüt. Wer könnte es ihm verübeln? Sein Leben schien auch nicht rosig verlaufen zu sein. Desiderius musste wenigstens seine Familienehre nicht wahren. Im Gegenteil, würde er nach Hause zurückkehren wollen, würde er sie mit seiner bloßen Existenz beschmutzen.
»Es geht nicht nur um die Burg, es geht um Gerechtigkeit«, raunte Rahff plötzlich. Noch immer starrte er auf einen Punkt in der rotglühenden Kohle. »Was wäre ich für ein Feigling, würde ich nicht mein Leben in Gefahr bringen, um einen Verräter seiner gerechten Strafe zuzuführen? Er ermordete meinen Vater!«
»Ehre.« Desiderius schnaubte. »Aber die meisten Männer sind ehrenvoll. Was bringt dir Heldenruhm, wenn du im Grabe liegst? Solltest du nicht lieber einen Meuchler suchen, der deinen Onkel im Schlaf die Kehle aufschlitzt?«
»Damit rechnet er gewiss.« Rahff sah ihn wissend von unten herauf an. »Auch wenn ich dir die Tat durchaus zutraue, vergiss nicht, dass Ehre die Größe eines Mannes bestimmt!«
Letzteres nagte sehr an Desiderius, weshalb er diese philosophischen Gedanken über Ehre und Männer beiseiteschob. »Er wird auch damit rechnen, dass du den König um seine Hilfe bittest.«
Schwer seufzend verlagerte Rahff sein Gewicht von der einen strammen Gesäßbacke auf die andere und drückte das breite Kreuz durch. »Ich weiß. Aber mir fällt nichts besseres ein! Ich sollte Verbündete aufsuchen, Herzöge an ihre Eide erinnern und eine Armee aufstellen. Aber mir läuft die Zeit davon!«
Das Drängen in Rahffs Stimme, und die Verzweiflung in seinem Blick, ließen Desiderius die Augen verengen. »Was meinst du damit?«
Rahff fuhr sich durch sein kinnlanges Haar, die Strähnen fielen sofort wieder zurück. »Mein Onkel stahl nicht meinem Vater, sondern viel mehr mir die Burg, Desi.«
Desiderius blinzelte überrascht. Nicht wegen der Worte, sondern wegen des seltsamen Spitznamens, der ihm gegeben wurde. »Nenn mich nicht so!« Es fühlte sich ungewohnt an.
»Mein Vater«, sprach Rahff unbeirrt weiter, schüttelte bedauernd den Kopf, »war schon seit Jahren nicht mehr in der Lage, seine Ländereien zu verwalten. Er war nur noch des Titels wegen Lord, ich traf alle wichtigen Entscheidungen. Unserm Volk ging es gut, während ich herrschte!«
»Ich verstehe nicht. War dein Vater krank?«
»Er war verflucht.« Rahff hob den Blick, als hätte er ein gut gehütetes Geheimnis offenbart. »Alle meine Vorväter waren mit einem Fluch belegt, der ihre guten Seiten nach innen und ihre schlechten nach außen kehrte. So wurden aus guten Männern, herrschsüchtige Tyrannen, die ihre Wut nicht mehr beherrschen konnten! Aus Hoffnung wird Mutlosigkeit. Aus Liebe wird Hass…«
Desiderius schmunzelte belustigt. »Natürlich. Verflucht. Hm. Was sonst.«
»Warum machst du das?«, fragte Rahff ärgerlich. »Alles ins Lächerliche ziehen?«
»Flüche gibt es nicht.« Lachend breitete Desiderius die Arme aus. »Das ist Humbug!«
»Oh doch, es gibt sie!« Rahff klang sehr ernst, ihn konnte nichts von seiner Überzeugung abbringen. Armer Narr! »Glaub mir. Es ist leicht, über etwas zu lachen, das man nicht kennt, aber ich habe es gesehen!«
Er wäre ein guter Geschichtenerzähler, so dramatisch wie er die Stimme senkte.
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