" Buongiorno Commissario, Sie wollen mir sicher verkünden, dass Sie die Täter dingfest gemacht haben. Und lassen Sie mich raten, der lange Arm der Tifosi von Spoleto Calcio war verantwortlich, richtig? Als ob ich es geahnt hätte. Tifosi di Calcio vergessen nie etwas."
Köster knurrte, er solle seine Scherze lassen. Er hätte Besseres zu tun. Eine Begrüßung gab es wie immer nicht. Longari verlegte sich nach der ersten Begegnung mit Köster auf den ihm eigenen Spott. Natürlich war ihm klar, dass er es auch hier zu weit treiben konnte. Aber angesichts der Tatsache, dass er den Kommissar nicht kannte, schien ihm dies die vorläufig beste Vorgehensweise, um sich nicht in Widersprüche zu verstricken, so sehr er auch auf der Hut sein würde.
"Natürlich, natürlich. Auch was jetzt wieder passiert ist, mit dem glücklicherweise misslungenen Putschversuch. Da wundert es mich schon ein bisschen, dass Sie sich mit meinem kleinen Einbruch beschäftigen. Aber ich fühle mich geehrt".
Longari versuchte, letztere Äußerung glaubhaft klingen zu lassen. Denn er wollte Köster ja loswerden und nicht misstrauisch machen, eine Aufgabe, die bei dem alten Fuchs schwierig würde, wenn er nicht aufpasste.
Der Kommissar versuchte seinerseits, das übliche Misstrauen im Keim zu ersticken. Ihm war klar, dass Longari mit anderen Wassern gewaschen war, als seine üblichen Kunden. Er wollte zum Ziel, ohne sich und seine Familie zu gefährden, der Burger-Affäre auf den Grund gehen. Und ihm war keineswegs entgangen, dass Longari das in Burgers Kalender vermerkte Zusammentreffen hatte wahrnehmen wollen, hätte sich Burger nicht so ungeschickt verhalten und wäre in die Havel gefallen. Dennoch konnte er kaum aus seiner Haut. Er war es gewohnt, ohne Umschweife auf sein Ziel loszusteuern. So auch diesmal.
"Herr Longari, natürlich ist mir Ihr Termin mit Heinrich Burger aufgefallen."
Er warf dem Italiener einen Brocken hin, gespannt, wie er damit umgehen würde. Die Reaktion Longaris war professionell.
"Jaja, natürlich, Heinrich Burger. Es kam leider nicht mehr dazu".
Alessandro versuchte Köster auf der gleichen Ebene zu antworten, kurze, abgehackte Sätze und wie beim besten Catenaccio den Gegner kommen lassen. Köster, der Terrier setzte nach.
"Ist mir klar, dass es nicht mehr dazu kam. Das hatte wohl technische Gründe".
Wenn Longari ihn mit seiner Art aufzog, er konnte sich auch des Sarkasmus seines Gegenübers bedienen.
"Was war der Grund für Ihren Termin bei Burger?"
Er blieb dran, ohne seine kurze, trockene Art der Befragung aufzugeben. Longari registrierte sehr wohl, dass Köster auf seine Weise darauf reagierte, dass er nichts preisgeben wollte und dafür ansatzweise seine spöttische Art aufnahm. Er gewann dem Spiel sympathische Züge ab.
" Commissario, ich erhielt vor ein paar Tagen einen Anruf von Burger." Er spielte weiter Catenaccio.
"Ach, wirklich? Und er lud Sie zu Kaffee und Kuchen ein? Womöglich noch selber gebacken. Wie rührend," entgegnete Köster.
"Nein, nein, wie Sie sicher wissen, wollten wir gemeinsam joggen."
Der Kommissar musste ehrlich grinsen. Er stellte sich Burger gerade bildlich beim Waldlauf vor, nicht ohne am anderen Ende der Welt wegen der durch Burger und dessen Gewicht ausgelösten Erschütterungen einen ausgewachsenen Tsunami zu befürchten.
Das gegenseitige und versteckte Aufziehen hatte seine Wirkung auf beide. Die Atmosphäre löste sich etwas, und Köster fragte, wie oft sie denn zusammen Sport trieben. Alessandro gab sich einen Ruck, denn im Grunde genommen wusste er nichts, jedenfalls nichts, was ihn hätte gefährden können. Er hatte Burger ja nicht gesprochen.
" Commissario, ich bekam einen Anruf, mit der Bitte ihn heute zu treffen. Viel hat er dazu nicht gesagt. Er tat sehr geheimnisvoll. Und um ehrlich zu sein, ich wunderte mich über seinen Anruf. Ich habe mir nicht viel davon versprochen."
"Aber Sie sind trotzdem hingefahren."
Köster war dran und Alessandro passte auf. Er verlegte sich wieder auf Catenaccio.
"Ja."
Diesmal war die Reihe an Köster, aufzumachen.
"Longari, Burger ist heute Nacht ums Leben gekommen. Soviel steht fest, er ist ertrunken und bei Ihnen wird eingebrochen. Zufall, möglich, aber vielleicht gibt es einen Zusammenhang."
Longari wurde hellhörig. Ein offizieller Ermittler der Behörden hatte unabhängig von ihm den gleichen Gedanken. Ungewöhnlich, sehr ungewöhnlich. Auf der einen Seite gab ihm das Zuversicht, dass er selbst offensichtlich noch nicht so sehr an Verfolgungswahn litt, wie er das manchmal selbst befürchtete. Zudem erweckte es auch den Eindruck, dass nicht alle Funktionsträger des Regimes - und zu denen war Köster zweifelsfrei zu rechnen - so borniert waren, um die vorgefertigten Deutungen der Realität durch die politische Kaste so einfach und vorbehaltlos zu übernehmen. Doch es stellte sich in diesen Zeiten die drängende Frage, war das vielleicht eine Falle? Natürlich hatte er nicht die ganze Wahrheit erzählt. Natürlich hatte er verschwiegen, dass ihm Burger brisantes Material zur Machtergreifung angeboten hatte, ohne selbst zu wissen, ob das fragliche Material überhaupt die notwendige Qualität besaß, wenn es denn existierte. Der offensichtlichen Gefahr, der er sich damit aussetzte, musste er sich so lange wie möglich entziehen. Allein die Tatsache, auf die Ankündigung, Brisantes zum Thema Machtergreifung erfahren zu können, losgefahren zu sein, hieß, dass er das Thema interessant fand und sich damit beschäftigen wollte. Soviel stand fest. Vielleicht war Köster nicht verkehrt. Aber Alessandro konnte sich irren. Und das wäre aller Voraussicht nach sein letzter Irrtum gewesen.
So verlegte er sich darauf, Köster abzuwimmeln. Er könne sich keinen Zusammenhang vorstellen. Was hätte Burger denn schon für Botschaften verkünden können? Seine Persönlichkeitsstruktur war doch allgemein bekannt. Außer Dekadenz und Wichtigtuerei war da nichts. Nicht einmal die Intelligenz, die bei einem hochrangigen Politiker hätte vorausgesetzt werden dürfen, zumal er ja mehr als einmal seinen Führungsanspruch kundtat, bis zuletzt. Er wäre immer noch auf dem Trip mit Spoleto Calcio , Köster solle sich an die Spur halten, meinte er grinsend.
Der Kommissar war im allerersten Augenblick enttäuscht, hatte er doch zwischenzeitlich für einen kurzen Moment geglaubt, Longari knacken zu können. Ihm war natürlich jetzt bereits bewusst, dass selbst wenn der Italiener nicht alles gesagt hatte, es tatsächlich zu viel verlangt gewesen wäre. Köster war geradlinig - insbesondere gegenüber sich selbst - und konstatierte, dass seine Art, Longari zu befragen, nicht unbedingt zur Vertrauensbildung beitragen konnte. Und unterschwellig schwang der Gedanke mit, dass niemand mit brisanten Fakten rausrücken konnte, wenn er seinen Gegenüber nicht wirklich kannte. Auch da war Köster durch und durch Realist, obwohl er aufseiten des Systems stand. Und es gab noch eine weitere Möglichkeit. Longari könnte einfach Recht haben, es gab keinen Zusammenhang und es war Zufall. Vielleicht irrte er sich diesmal und sein Bauchgefühl leitete ihn auf eine falsche Fährte. Möglich, dass Burger einfach zu viel Alkohol getrunken hatte und deswegen in die Havel gefallen war.
Er signalisierte Alessandro, dass es natürlich die Möglichkeit gab und kein Zusammenhang existierte. Das sei er sich, dem Vorfall und nicht zuletzt Longari schuldig, dass er genau nachfrage und alle möglichen Facetten betrachte. Mit diesen Worten machte er sich auf den Weg ins Präsidium. Und ausnahmsweise hatte er sich verabschiedet.
Alessandro hat sehr wohl registriert, dass Köster zum ersten Mal ihm gegenüber mitteleuropäische Höflichkeitsformen gepflegt hatte. Diese Normalität nahm er - so paradox es klang - mit einer gewissen Verwunderung auf. Was sollte er von diesem kauzigen, verschrobenen Polizisten halten? Er war Vertreter des Systems. Damit war automatisch größte Vorsicht geboten. Dennoch war Longari bereit, kein abschließendes Urteil über Köster zu fällen. Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt vernichtend ausgefallen. Gleichwohl musste er ihm Intelligenz attestieren. Und er schien nicht der zu sein, der er dem ersten Anschein nach war. Zumindest hatte er entgegen aller Erwartung eine gewisse Portion Humor. Trotzdem, dass Köster ähnlich skeptisch über den Tod Burgers nachzudenken schien, konnte eine ganz hinterhältige Falle sein. Doch wie hätte er darauf kommen sollen, hatte Alessandro doch mit niemandem über seine Vorbehalte gesprochen? Nicht einmal mit Sonja, die er ja kaum besser kannte als Köster. Zudem hatte er sie seit ihrer gemeinsamen Nacht ja nicht mehr gesehen.
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