Christian Brückner
Déjà Vu
Kriminalroman
Ich widme dieses Buch meiner wahrhaft besseren Hälfte und unserem Sohn, der eine einzige Werbung für das Kinderhaben ist.
Ohne mein "Basislager" geht Nichts …
Brandstetter hatte intensiv geplant. Großen Zeitaufwand benötigte er dafür nicht. Er wusste wie so oft schon lange, was zu tun war. Er hatte seine Legionen ausgeschickt und sie leisteten ganze Arbeit. Dabei gaben sie sich keine Mühe, diskret zu sein. Im Gegenteil. Es sollte ein weithin sichtbares Fanal für alle diejenigen sein, die insgeheim hofften, zu einem passenden Zeitpunkt losschlagen zu können. Es würde erstens keinen passenden Zeitpunkt geben, da das Regime keine offensichtliche Schwäche zeigen würde. Und wenn doch, würde zweitens die charakterliche Elite ein für alle Mal ausgeschaltet sein. Keine wahrnehmbaren Persönlichkeiten einer Opposition bedeutete keine Opposition. Die Massen sollten sich mit einer einzigen Führerfigur bis zur Selbstaufgabe identifizieren. Und dieser für alle Zeiten entscheidende Schlag wurde jetzt mit solchem Getöse geführt, dass jeder Gegner konsequent beseitigt sein und für den Rest die Einschüchterung grenzenlos und vollkommen sein würde.
Natürlich gehörte nicht nur körperliche Gewalt zu dieser Aktion. Auch trat wieder einmal ein Phänomen zutage, das zunächst weithin unterschätzt wurde: der psychische Druck, beginnend mit ausgeklügelter Propaganda für die Massen, über alle bekannten Formen von Erpressung und Kompromittierung bis hin zu konsequenter Gehirnwäsche bei politisch Andersdenkenden. So begann die groß angelegte Säuberung mit der offiziellen und zugleich allgemein akzeptierten Begründung, dass es während der Machtergreifung und deren Stabilisierung zu unerwünschten Exzessen gekommen sei, deren Ursache mit der Wurzel beseitigt werden müsse. Diese Exzesse hätten sich zu sehr handfesten Plänen eines Staatsstreichs ausgewachsen. Der Führer der Regierung sähe sich mit aller Strenge zum Handeln gezwungen und wäre jetzt Deutschlands oberster Gerichtsherr.
Weite Teile der Bevölkerung verbanden damit die Hoffnung, die Willkür und Gewalt auf den Straßen würde unterbunden sowie Rechtssicherheit wieder hergestellt. Diese Hoffnungen wurden wenigstens teilweise erfüllt, war Rechtssicherheit für alle ab sofort oberstes Gut und einfach zu überschauen, denn es genügte der Blick auf eine einzige Person, deren Daumen sich hob oder senkte: die Vollendung des Führerprinzips. Das war auch das eigentliche Ziel der neuen Machthaber. Die Gewalt auf allen Ebenen blieb, erst recht die deutlich sichtbare auf der Straße.
So nahmen die Dinge ihren Lauf. Nicht nur offensichtliche politische Gegner wurden einfach ermordet, sondern ganze Personenkreise, die im Verdacht standen, irgendwann einmal in das oppositionelle Lager wechseln zu können, einfach "ausgerottet", so der immer wieder zu hörende Terminus technicus. Auch gab es einige Verwechslungen. Diese waren natürlich bedauerlich. Es gab in diesem Zusammenhang aber nur wenige Hundert Tote, eine Zahl, die sich in der Summe fast verschwindend ausnahm. Es fanden gewiss auch zahlreiche Verhaftungen statt, deren Opfer meist in Lagern enden würden und damit auf Raten starben, nachdem sie für die Volkswirtschaft noch eine Weile Frondienste leisten durften. So machten sie sich wenigstens nützlich.
Auf den ersten Blick gab es keinen wirklichen Schwerpunkt. Die Raserei sparte keine gesellschaftliche Strömung aus. National-Gesinnte, Bürgerlich-Konservative, Kirchenvertreter, Liberale, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und natürlich alle noch weiter links stehenden Gruppierungen waren ohne Ausnahme vertreten. Doch bei genauem Hinsehen war das nur Tarnung, so hart diese Tatsache für die Opfer und insbesondere deren Hinterbliebene klang. Zum zentralen Ziel, der Vollendung des Führerprinzips gehörte vor allem, unterschiedliche Strömungen und deren Galionsfiguren innerhalb der eigenen Bewegung auszumerzen. Das hieß für Mitstreiter und Steigbügelhalter der neuen Machthaber in Deckung gehen und erst wieder das Fähnlein in den Wind hängen, wenn der ärgste Sturm vorüber war. Dann wehte es vielleicht auch gleich in die richtige Richtung und wurde einem nicht von dem Sturm aus der Hand gerissen. Denn niemand wusste, wen es treffen konnte und sollte.
Heinrich Burger traf es in seiner Villa. Er vergnügte sich gerade mit einem der jungen Dinger, die entweder für Geld oder auch für noch mehr Geld alles machten und sich selbst dann noch mit einem Mann einließen, wenn er sich in jeder Beziehung gehen ließ, fraß, soff, wie ein Schlot rauchte, dementsprechend verfettet aussah und natürlich noch weniger Manieren besaß. Doch das interessierte jetzt keinen mehr. Die Herren in den schwarzen Ledermänteln packen das kleine, blonde Flittchen und schafften sie - spärlich bekleidet, wie sie war - wortlos und entsprechend roh nach draußen. Zeugen sollte es nicht geben. Das würde sie bald merken. Nach ihr würde sowieso kein Hahn mehr krähen.
Sie schleppten Burger in das zur Villa gehörende Schwimmbad. Seine anfängliche Verstörung wich langsam. Die protzige Ausstattung seines Hauses tat ein Übriges. Sein Selbstbewusstsein kehrte Stück für Stück wieder. Er verstieg sich sogar ansatzweise zu der Arroganz, die seinen Freundeskreis auf das Engste hatte schrumpfen lassen. Überflüssig war die Klärung der Frage, ob es daran lag, dass er es gewohnt war, arrogant zu sein, stets überzeugt war, sich dies leisten zu können und einfach nicht anders konnte oder ob ihm bewusst war, dass er einfach nichts mehr zu verlieren hatte und er das tat, was er schon immer tat, sich nämlich nach allen Regeln der Kunst gehen zu lassen. Letzteres – sprich, dass er nichts mehr zu verlieren hatte – stimmte mit der Realität überein. Alle anderen möglichen Beweggründe interessierten jetzt nicht und würden in wenigen Minuten samt seiner Person unrühmliche Geschichte sein.
Burger war klar, woher der Wind wehte. Als Vorsitzender einer der großen Parteien war er ein entschiedener Gönner Brandstetters gewesen. Frühzeitig hatte er seine Skrupellosigkeit und absolute Gefühlskälte bemerkt, schon zu Zeiten, als ein kaum der Schulbank entwachsener Brandstetter bei Regionalkonferenzen immer wieder versuchte, das Wort für forsch vorgetragene Beiträge an sich zu reißen. Holprig formuliert, zu Beginn ohne klare Struktur, aber forsch. So etwas beeindruckte. Inhalte waren wie so oft nicht relevant. Die Außenwirkung war das Entscheidende. Burger hatte ihn im Auge behalten, zunächst auf regionaler Ebene verstohlen gefördert, um ihn dann nach und nach an sich zu binden. Der Vorsitz einer großen Partei konnte anstrengend sein. Die ganzen unterschiedlichen Strömungen, die alle zusammen angeblich für eine ach so große Wertegemeinschaft standen, Strömungen, aus denen doch immer wieder der eine oder andere hartnäckige Widerstand kam. Und Hartnäckigkeit war Burgers Sache nicht. Das war einfach nur lästig. Und alles, was ihm lästig war, mussten Andere erledigen. Und dazu brauchte er Charaktere wie Brandstetter. Er hatte die Widersacher auszuspionieren, nach allem nur denkbaren Dreck zu suchen und - wenn es keinen gab – welchen zu machen. Dieser wurde dann in der üblichen Art und Weise genutzt und es gab keinen lautstarken Kritiker, der nicht eher über kurz als über lang nachhaltig verstummt wäre. Ohne Ausnahme. Genau dafür hatte er Brandstetter an seine Seite geholt. Und es hatte sich zunächst bezahlt gemacht. Brandstetter leistete ganze Arbeit.
Was Burger – wie alle Anderen – unterschätzte, war die Tatsache, dass sich Brandstetter verselbstständigte und sehr rasch lernte, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Falls er sich überhaupt jemals hatte wirklich einspannen lassen. Möglicherweise war es sogar ganz anders und die Honoratioren hatten es nur nicht bemerkt.
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