Reinhard Henkel - Flüchtlingsjunge Kahn

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Tagebuch eines 16-Jährigen Flüchtlings, der neue Eltern bekam.
(Name ist selbstverständlich geändert)
Ein 16-jähriger Vollwaise flieht aus den Wirrnissen Afghanistans und erzählt,
wie er zwischen die Räder der Taliban und der Sippenhaftung gerät. Er berichtet über seine Flucht und den lebensgefährlichen Erlebnissen, die er unterwegs aushalten musste. Es ist ein Bericht eines Jugendlichen, der alles aufgegeben hat, um leben zu können. Seine Ängste und seine immer wieder aufflammenden Bedrohungen, seine Alpträume, die ihn verfolgen und immer wieder psychisch zusammenbrechen lassen, aber auch seine riesige Anerkennung, seine Strebsamkeit und Wissbegierde, die ihn zu einem der bekanntesten und beliebtesten Schüler werden lässt.
Aber trotzdem schwebte das Damoklesschwert der Ausweisung über ihn schwebt. Eine Geschichte, die manchmal zu Tränen rührt und ein anderes Mal einen begeistern lässt, wie viel Humor in diesem Jungen steckt, trotz härtester und bitterster Erfahrungen.

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Flüchtlinge willkommen und unerwünscht

Ich erinnere mich, wie bei uns 1945 Flüchtlingen aus Köln einquartiert wurden. Die Stadt Köln war ja in den letzten Kriegstagen so zerstört worden, dass Tausende von Bewohnern flohen, um wenigstens auch wieder ein Dach über dem Kopf zu haben. Eine 5-köpfige Familie, die ausgebombt war, kam nach Göttingen. Wir mussten ihnen eine Bleibe geben. Damals per Befehl von oben, mussten wir sie aufnehmen. Wir lebten in einer 4 Zimmerwohnung, einschließlich Küche. Es war eine kleine Wohnung in der wir, meine Eltern und zwei Jungens, wohnten.

Wir hatten drei Schlafzimmer, eins für unsere Eltern und für uns zwei Jungens die anderen, aber sehr kleinen Zimmer. Unsere Nachbarn hatten nur einen Sohn, sodass sie mit Widerwillen die Eltern und einen Jungen der geflüchteten Familie aufnehmen mussten.

Die Flüchtlinge kamen so, wie sie geflohen waren, bei uns an. Voller Flöhe und Läuse, die erst einmal beseitigt werden mussten. Die Stadt war überfordert mit dem Ansturm und so hat meine Mutter die Entlausung mit Spiritus übernommen. Wir bekamen zwei Jungens. Die Zimmer waren bei uns so klein, so dass die beiden Jungens in einem Bett schlafen mussten.

Der jüngere war durch die Flucht so psychisch gebrochen, dass er regelmäßig ins Bett machte. Es war aber für meine Eltern eine Pflicht der Nächstenliebe, sie doch, obwohl es unter Zwang geschah, gerne aufgenommen haben. Als sie später dann wieder zurück nach Köln fuhren, schenkte meine Mutter ihnen noch reichlich Bettwäsche für die erste Zeit, denn sie hatten ja gar nichts was sie ihr Eigentum nennen konnten. Sie waren so gekommen, wie sie waren und was sie auf ihrem Körper trugen.

Jetzt kommt noch etwas sehr Ärgerliches: Als meine Mutti den Wäscheschrank inspizierte, stellte sie fest, dass die Leute, die wir wirklich gerne aufgenommen hatten und die uns sehr leidtaten, einiges mitgehen ließen.

So benahmen sich leider auch viele deutsche Landsleute. Es tut weh, wenn man mit Hilfsbereitschaft und Mitleid Menschen hilft und dann zeigen sie sich auf diese Art undankbar.

So war das damals. Nicht nur aus dem Westen, auch aus dem Osten kamen Millionen von Flüchtlingen. Da sprach aber niemand von einer Katastrophe. Die Katastrophe lag nicht an den Hilfesuchenden, sondern an einem verbrecherischen Krieg. Bis heute haben Regierungen nicht gelernt, dass es in erster Linie um Menschen geht. Überall ist heute Krieg und Unmenschlichkeit. In vielen Ländern fliehen Menschen vor brutalstem Abschlachten, ja Abschlachten. Ich will nicht behaupten, dass Krieg human ist, ganz im Gegenteil, Krieg ist immer ein Verbrechen, aber was im scheinbar religiösen Wahn heute geschieht, ist wirklich ein Abschlachten, der unmenschlichsten Art.

Menschlich ist ein Krieg nie, auch im 2. Weltkrieg nicht, aber früher wurde den Verfolgten nicht die Köpfe abgeschlagen oder totgeschlagen, wie man Robben auf schändlichste Weise erschlägt. Selbst das ist eine Grausamkeit, die für Menschen unwürdig ist.

Diese Fluchtwelle wurde damals nicht als Katastrophe bezeichnet, sondern man rückte zusammen, um zu helfen, auch wenn die Enge oft unerträglich war.

Damals wäre keiner auf die Idee gekommen, diese Flüchtlinge zurückzuschicken. Sie konnten mit Hilfsbereitschaft und Sicherheit rechnen.

Viele zogen nach dem Krieg wieder in ihre Heimat, andere bekamen Land, Höfe, Ausbildung und Arbeit. Leider wurden auch sie oft angefeindet. Sie bekamen oft schneller Arbeit, als die einheimische Bevölkerung. Von besonders freundlicher Willkommenskultur war da auf längere Sicht auch nichts zu spüren. Der Krieg, der von wahnsinnigen Diktatoren angeheizt wurde, mit einem Rassismus der schon einer religiösen und fanatischen Glaubensrichtung ähnelte, hat uns alle in die Knie gezwungen. Es gab Hungerlager oder Massenhinrichtungen, aber die bestialische Art und Weise, in der heute Menschen verfolgt und vor Kindern zerstückelt und erschlagen werden, ist eine Perversität, die nicht zu überbieten ist. Dass Menschen davor fliehen und schwerstens traumatisiert sind, ist doch nur zu verständlich.

Heute sieht es bei uns aber anders aus. Eine Lawine von Hilfsbereitschaft überrollte Deutschland. Als dann die ersten Stimmen sich erhoben, dass es zu viele sind, obwohl es längst nicht zu viele waren, benutzen seitdem Menschen, die von dem unseligen Geist der Nazis getrieben werden, fremdenfeindliche Parolen. Neue Parteien werden salonfähig und versuchen Hass und sozialen Unfrieden zu schüren.

Die Politiker, die, seit der Gründung, der Bundesrepublik Deutschland, sich um demokratische Werte bemühen, bekommen Angst, Wählerstimmen an die wieder aufkommenden Nationalisten zu verlieren. Um Stimmen bei der nächsten Wahl den ewig Gestrigen abzuringen, werden ganz einfach Länder, in denen jeden Tag feige Anschläge und unvorstellbare Verbrechen begangen werden, als sichere Länder deklariert. Was in den Menschen vorgeht, die aus diesen Höllen geflohen sind, scheint unwichtig zu sein. Viele Kinder, die teilweise ganz alleine fliehen konnten und mussten, sind traumatisiert. Jeder Nachricht, die sie hören müssen, wenn Menschen in ihre Heimat abgeschoben werden, erfüllt sie mit wahnsinniger Angst, und sie erleiden immer wieder nervliche und psychische Zusammenbrüche. Wer kümmert sich um solche jungen Menschen? Der Staat nicht. Es ist sehr traurig, wie die Menschen sich ändern, sobald sie meinen, ihre eigene Sicherheit und Macht schwinden zusehe, da ist die Hilfsbereitschaft und die Einstellung, helfen zu müssen, zweitrangig. Da kommen selbst Aussagen über Islamisierung und der Untergang des Abendlandes zum Vorschein. Auf was kann man denn, bei so einem Verhalten, stolz sein? Auf ein Abendland, dass die Grundwerte eines christlichen Glaubens verleugnet? Gerade sogenannte christliche Länder, wie Bayern und Österreich, verhalten sich wie der Priester und der Levit, die von Jericho nach Jerusalem gingen, gegenüber dem armen Menschen, der unter die Räuber fiel und geschlagen und verwundet dalag. Die Gleichnisse Jesu sind scheinbar nur für den Sonntag zum frömmeln da.

Hier die Geschichte eines Jungen, der im Alter von 15 Jahren aus Afghanistan geflohen ist. Einem Land, welches jeden Tag von Bombenattentaten aufgerüttelt wird. Einem Land, in dem Menschen zu Tode geprügelt werden und der Staat hilflos zusieht, oder sich teilweise mitschuldig macht an solchen Verbrechen. Wo Regierungsangehörige, die als Provinzkommandeure die Bevölkerung ausplündern, eigene Armee aufstellen und eigene Gesetze machen. Ein Land, das aus Schwäche, von der Armee nicht geschützt werden kann, wenn die Taliban oder der IS Krankenhäuser überfallen und unter den Patienten Blutbäder anrichten, Schwerkranke, Frauen und Kinder umbringen. Ein Land, wo Kinder um ihr Leben bangen, ohne geschützt zu werden, stattdessen von der Polizei verraten werden, wenn sie sich hilfesuchend an sie wenden. Ein Land, in dem Korruption der Antrieb der Politik und der vermeintlichen Ordnungsmacht ist. In so einem Land gibt es keine Ordnung, wo die Polizei und selbst der Präsident mit den Verbrechern gemeinsame Geschäfte machen.

Als 2015 die große Flut von Flüchtlingen, aus unterschiedlichen Ländern, aus Kriegsgebieten, geflohen vor Terror und unerbittlich grausamen Krieg, gab es eine überwältigende Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung.

in jeder Stadt, in jedem Land kamen die Menschen, um den Flüchtlingen zu helfen, ihnen das Notwendigste an Kleidung und Nahrung zu geben. Es wurden

Brote geschmiert, Obst und Wasser verteilt. Millionen, die erschöpft und überglücklich in Deutschland ankamen. Tausende, die strahlten, weil sie helfen konnten. Jeder wollte dabei sein, nur um zu helfen. Da konnte der Deutsche auf sich stolz sein, alle eigenen Probleme vergessen und ganz für diese Menschen da sein. Es war beinahe wie ein Rausch, dem die Bevölkerung unterlag. Es war wirklich unvorstellbar, wie die Bevölkerung im Grunde ihrer Seele war, wo im normalen Alltag oft Missgunst und Neid die Oberhand haben

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