Ganz so, als würden die Pferde wissen, dass ich mich nach meiner Heimat sehnte, liefen sie in einem kräftigen Schritt, dass uns die Kutsche ordentlich durchrüttelte. Doch der Gleichklang der Hufe verfehlte erneut seine einschläfernde Wirkung nicht. Mit geschlossenen Augen saß Tiu Gang Bao auf seinem Platz und sein Oberkörper pendelte im Rhythmus der Stöße, die durch das Gefährt gingen. Herr Long tat es ihm gleich, und auch meine Augen fielen immer wieder zu, bis ein kräftiger Stoß die Kutsche erschütterte.
Hellwach saßen wir nun in dem heftig schwankenden Gefährt, welches sich langsam auf eine Seite neigte, um schließlich ganz darauf liegenzubleiben. Wir purzelten durcheinander. Von draußen drangen die erregten Rufe von Wa Dong und Liu Hang an unsere Ohren, ebenso wie das erschrockene Wiehern der Rösser.
Der Dashi fasste sich als Erster und stieß mit dem Fuß die Kutschtür auf, die nun zum Himmel ragte. Geschickt und flink zog er sich hoch und sprang aus der umgestürzten Karosse. Unter die lautstarken Stimmen unserer beiden Kutscher und dem nun kläglich erschallendem Wiehern der Pferde, mischte sich nun fremdes Geschrei und Gejohle.
Herr Long und ich, wir lagen noch benommen herum, da blickte von oben der Dashi auf uns herab und fingerte dabei nach seinem Stecken, den er stets mit sich führte. Es war ein Bambusstock, dick wie der Daumen eines Mannes und in etwa so lang wie ein Bein. Indem er den Stock zu sich zog rief er uns zu: „Wegelagerer, verhaltet euch ruhig in der Kutsche.“
Ich vernahm das Aufeinanderschlagen von Klingen; doch so sehr auch die Angst von mir Besitz ergriff, trieb mich die Neugier dazu mich nach oben zu ziehen, um sehen zu können, was sich da draußen tat.
Sechs abgerissene Gestalten konnte ich ausmachen, die sich mit langen Messern, Stock und Mistgabel bewaffnet, Wa Dong, Liu Hang und dem Dashi entgegenstellten. So kam dann wohl auch der Baumstamm nicht von ungefähr, der sich in der Biegung des Weges befand und unsere Kutsche zum Umstürzen brachte. Beide Pferde lagen auf dem Boden; ihre Körper zitterten während sie krampfhaft versuchten auf die Beine zu kommen.
Ohne den Blick abwenden zu können, informierte ich Herrn Long über das Gesehene.
„Komm zurück in die Kutsche, Friedrich, zieh den Kopf ein“, kam es von diesem im Befehlston zurück. Doch ich konnte meinen Blick nicht lösen und missachtete den gut gemeinten Rat. Am ganzen Körper zitternd suchte ich nach besserem Halt und schaute dem wüsten Treiben fasziniert zu.
Wa Dong und Liu Hang wehrten sich mit ihren breiten Schwertern gegen jeweils zwei der fremden Männer, denen sie körperlich weit überlegen waren. So dauerte es auch nicht lange, bis ein wuchtiger Streif von Wa Dong einen der Fremden traf, der wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzte. Der Zweite suchte daraufhin sein Heil in der Flucht, so dass Wa Dong seinem Freund zur Hilfe eilen konnte. Dann sah ich den Dashi, der sich ebenfalls gegen zwei der Wegelagerer erwehren musste. Einer mit einem Messer ausgerüstet, der andere versuchte derweil, Tiu Gang Bao mit der Mistgabel zu erwischen. Angespannt, aber sichtlich unaufgeregt, wich dieser geschickt wie eine Katze den Stößen aus. Gerade wollte ich ihm zurufen, dass sich der Zweite mit dem Messer von der Seite her nähert, da wandte sich der Dashi ihm bereits zu und stieß ihm derart kraftvoll seinen Stock mitten auf die Stirn, woraufhin der Angreifer, ohne noch einen Laut von sich zu geben, zu Boden sank. Der mit der Mistgabel Bewaffnete wollte diesen Moment nutzen und stieß wie mit einer Lanze zu. Doch geschmeidig wich der Dashi nicht nur aus, sondern packte dabei den hölzernen Schaft und zog ihn zu sich heran. Dermaßen abrupt, dass der Mann, der das andere Ende des Holzes nicht loslassen wollte, dem Dashi nahekam. Dieser trat nun mit seinem Fuß mitten in das Gesicht seines Gegners, worauf dieser ebenfalls zu Boden ging. Angesichts der schlimmen Erfahrungen machten sich nun auch die beiden übriggebliebenen Wegelagerer aus dem Staub und verschwanden im Unterholz, ohne sich um die am Boden liegenden Männer zu kümmern.
Wären da nicht die beiden Pferde, die immer noch fest im Geschirr der Kutsche hingen, somit nicht vom Boden hochkamen und angstvoll oder auch scherzhaft wieherten, die nach dem Kampf einkehrende Ruhe wäre erdrückend gewesen. In mir herrschte ein seltsames Gefühl vor, Angst und Erregung hielten sich im Gleichklang. Angesichts der Überlegenheit der mir bekannten Männer, hätte ich diesem unschönen Spektakel durchaus noch weiter zuschauen können.
„Habe ich Dir nicht gesagt, Du sollst im Innern der Kutsche bleiben?“, rügte mich der Dashi, um mir jedoch sogleich seine Hand zu reichen, damit ich dem Gefährt entsteigen konnte. Gleich darauf war er auch Herrn Long beim Ausstieg behilflich. Derweil machten sich Wa Dong und Liu Hang daran, die beiden Rösser aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Doch nur einem Pferd gelang es danach, aus eigener Kraft auf seine Beine zu kommen. Das andere Tier mühte sich, aber der gebrochene Hinterlauf vereitelte dies. Liu Hang führte das allem Anschein nach unversehrte Pferd einige Schritte fort und band es an einem Ast fest, wo es, immer noch aufgeregt, mit seinen Hufen auf den Boden stampfte. Wa Dong indes ging zu dem verletzten Tier und bat uns einige Schritte beiseite zu gehen.
Zunächst streichelte Wa Dong mehrmals liebevoll den Hals des wimmernden Tieres. Dann erlöste er mit einem wuchtigen Schlag des breiten Schwertes das Geschöpf von seinen Leiden. Bei dem Anblick wurden meine Beine schwach und ich setzte mich rasch auf den Boden und wandte mich ab, um nicht sehen zu müssen, wie das austretende Blut die Erde rot verfärbte.
„Seid ihr unversehrt?“, fragte der Dashi in Richtung der beiden Kräftigen, „was ist mir Dir, Liu Hang?“ deutete er auf den muskulösen Oberarm des Mannes, wo sich auf dem Stoff seiner Jacke ebenfalls einer roter Fleck abzeichnete.
„Nur ein Kratzer, Dashi, wo mich das Messer einer der Halunken einwenig ritzte“, entgegnete Liu Hang und setzte ein Lächeln auf.
„Dann wollen wir versuchen, die Kutsche wieder aufzurichten“, gab der Dashi seine Anweisung und auch der schmächtige Herr Long trat hinzu, um behilflich zu sein. Gemeinsam schafften sie es, die Kutsche auf die Räder zu stellen.
„Wir haben Glück im Unglück“, merkte Wa Dong an, „wie es ausschaut sind die Räder heilgeblieben und bis auf wenige Blessuren hat unser gutes Stück den Sturz gut überstanden.“
Nachdem der den Weg versperrende Baumstamm beiseite geräumt und das immer noch aufgeregt schnaubende Pferd von Liu Hang eingespannt war, setzten wir die Reise fort. Nun, mit nur einem Zugtier ausgestattet, ging die Reise erheblich langsamer vonstatten.
„Auch wenn die Kutsche den Sturz schadlos überstanden hat, Shanghai werden wir heute wohl nicht mehr erreichen“, schimpfte Herr Long in Richtung Tiu Gang Bao. „Und dies alles nur wegen dieser Halunken. Wir hätten nachschauen sollen was die verdammten Kerle in den Taschen hatten, um wenigstens einen Ausgleich für unser verlorenes Pferd vorzufinden.“
„Das hätte uns auch nicht schneller vorangebracht“, erwiderte der Dashi in seiner stets gelassenen Art, und zuckte lediglich mit den Schultern.
Schweigsam saß ich derweil auf meinem Platz und meine verstohlenen Blicke wanderten vom Dashi hinüber zu dem Bambusstab, den er scheinbar achtlos in eine Ecke gestellt hatte. Dass Wa Dong oder Liu Hang sich mit ihren gewaltigen Schwertern Respekt verschaffen konnten, das leuchtete mir durchaus ein. Wie jedoch ein Mann, nur mit einem Stock bewehrt, sich furchtlos zwei Männern in den Weg stellt, die zudem mit einem großen Messer und einer, mit scharfen Zinken versehenen, Mistgabel gerüstet daherkamen, soetwas sah ich nie zuvor. Während meines Aufenthaltes bei der Familie Tiu bekam ich natürlich mit, dass dieses Bambusgewächs in vielfältiger Weise genutzt wurde; sei es zum Bau von Häusern oder auch zum Transport von Flüssigkeiten. Doch dies waren Stämme, die ich mit zwei Händen kaum umfassen konnte und nicht nur daumendick, wie der Stab, den der Dashi so kunstvoll nutzte. Es mussten magische Kräfte in diesem besonderen Holz wohnen.
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