“Oje, aber stell dir vor, Rebecca, nur einmal von ihm therapiert werden”, haucht Bettina weich.
“Da musst du dich in eine ziemlich lange Schlange hyperventilierender bedeutungsschwerer Upperclass-Gattinnen stellen.”
“Wie?”
“Der Mann ist ein Nobel-Accessoire und macht auf sozialverträglich”, sagt Rebecca.
“Wie kommst du darauf?”, erkundigt sich Bettina.
“Ich habe vor 5 Minuten bei ihm angerufen. Die Mailbox seines Handys ist voll, in seiner Praxis bewacht eine Löwin sein Walhalla während er, wie sie freundlich lispelt, auf einem Exklusivtermin tanzt. Zu Hause meldet sich ein super junges Ding und erklärt dir, er hätte sich schon am frühen Morgen aus dem Haus bewegt und er bleibt sicher lange weg, denn er hat ihr zum Vertreib der Langeweile seine Kreditkarte hinterlassen.”
Berthold grüßt kopfnickend, grient verdächtig.
“Morgen Berthold. Verdammt was riecht denn hier so?”, fragt Rebecca, “reiß doch wenigstens Einer die Fenster auf! Weißt du wie ich das nenne?”
“Was?”
“Einer Frau die Kreditkarte aushändigen”, sagt Berthold quengelig.
“Leichtsinnig!”, antwortet Elisa.
Rebecca katapultiert mit einem Ruck den Ledersessel rum. “Herr Emilian, Ihre Art in mein Leben zu platzen ist nicht gerade sehr loyal!”
“Ich habe ihm die Pfeife erlaubt”, wirft Berthold rasch ein.
Bettina stöhnt, “oh Mist!”
“Weißer Rauch wäre mir lieber”, meint Rebecca. Aus lässiger Position, ein Fuß weit auf den Oberschenkel gezogen sieht Elisa sie an, lacht stillvergnügt in sich hinein. Sie grübelt über sein Dresscod. Am Sonntag erschien ihr sein irisches Auftreten normal, heute jedoch hätte sie einen Mann im Anzug erwartet.
Elisa schiebt den Strickbund tiefer, dann klopft er die Pfeife penibel und mit voller Aufmerksamkeit im Aschenbecher aus. “Pardon, es ist ein öffentlicher Raum, ich habe mir die Wartezeit vertrieben. Übrigens, aus Norwegen.”
“Wie bitte?”
“Sie wollten doch wissen woher der Pullover stammt”, sagt Elisa.
“Hat Sie nichts im Bett gehalten?”, fragt Rebecca.
“Haben Sie schon einmal auf der Bank im Hof genächtigt?”
“Über die Vorzüge eines Hofes verfüge ich nicht.”
“Schade. Der Mörder ist Bachmann.”
Das sorgt für einiges an Verblüffung im Raum die von Rebecca unterbrochen wird, “hätten Sie nicht zur Vorwarnung ihr rostiges Erkennungsmerkmal draußen abstellen können?”
“Das war ein Leihwagen und außerdem hat mich die Bulldogge nicht auf das Gelände gelassen, ich musste mir draußen einen Parkplatz suchen. Jetzt möchte ich diese Kati sehen”, sagt Elisa.
“Kati? Kathleen!”, präzisiert Rebecca.
“Kati!”, wiederholt Elisa energisch, “oder ist das ein Tippfehler?” Elisa hat den Bericht aufgeschlagen und zeigt auf einen Absatz. “Ein einziges Mal kommt der Name Kati vor. Ist es nun ein Tippfehler?”
Berthold zuckt mit den Schultern während Bettina ratlos die Lippen verschürzt.
“Also, ich denke es ist ein Tippfehler”, meint Rebecca, wenngleich sie irritiert ist. “Kommen Sie!”
“Wohin?” Elisa schluckt unweigerlich, “muss ich wieder in die Gerichtsmedizin?”
“Schlimmer, Tatort!”
Da sind schon wieder die deutlichen Beschwerden mit dem Speichelfluss bei Elisa. “Wollen Sie damit sagen...”
“Ich will damit sagen, dass uns die Spurensicherung ein Video aufbereitet hat und wir nach Nebenan gehen. Es ist eine Amateuraufnahme von dem Tagesausflug bei dem der Mord geschah.”
“Ich liebe Ihre Durchsetzungsstrategien die das Klima beherrschen”, sagt Elisa, als er sich erhebt und nicht vergießt beim vorübergehen noch Kaffee von Bettina zu kassieren. Einen Moment sieht es nach einer persönlichen Ansprache von ihm aus und Bettina kämpft mit feuchten Händen.
Bernd im Nebenraum hat alles vorbereitet, aber er dämpft gleich die Erwartungen. “Nichts Brauchbares drauf. Eben ein Ausflug mit albernem pubertärem Mädchengehabe. Die Einstellungen sind viel zu kurz, als dass sie etwas aussagen können. Licht aus Film ab!”
Der Streifen läuft: Herausgestreckte Zungen, Kichern, Rutschbahnen auf umgekehrten Wege genommen, Getränkedosen speien unkontrolliert durch die Gegend, Grimassen werden gezogen, lange Nasen ausgestreckt. Der Laser wandert von Rebecca geführt auf einen gezeigten Vogel. “Das ist Kathleen!” Der Film summt weiter. Der Finger vor der Linse verdunkelt die Aufnahme, dann ein Stück rotierender Rasen...
Unzufriedenes Gemurmel in der Runde und eine allgemeine Bewegung aus den Stühlen. Nur Elisa rutscht gebannt tief, verlangt nach Wiederholung, nochmals und nochmals...
“Und Herr Emilian?”, fragt Bettina als erste.
“Ich weiß nicht”, antwortet er.
“Das war nichts anderes als diese nichtssagenden Videoclips vor denen die Kids neuerdings sitzen”, sagt Karsten, “da kann doch auch kein Mensch was drauf erkennen. Das bringt uns nicht einen Millimeter weiter.”
Auf der Stelle kontert Elisa, “die filmischen Kommunikatoren der Musik-Clips tragen mit Sicherheit eine Botschaft. Es ist nur für eingeübte Fernsehkucker nicht mehr sichtbar. Die Bilder sind auf die Musik gesetzt, das verstehen junge Leute sehr wohl. Wer nur an Wahrnehmungen von Krimis und Tageschau gewöhnt ist und sich da eingesehen hat rafft das nicht mehr. Ab dem 30-ten wird es da schon verdammt schwierig, ab 40 ist es fast vorbei. Frau Eden, kann ich mit Kati sprechen, Kathleen?”
“Kathleen, ja sicher. Wir fahren hin”, antwortet Rebecca, “können wir Ihren Wagen nehmen?”
“Bedingt”, sagt Elisa.
“Bedingt?”
“Ja, das bedingt einiger glücklicher Umstände.”
Rebecca schüttelt den Kopf, denkt, der Mann ist ein merkwürdiges Unikat. Sie geht mit ihm aus dem Zimmer Richtung Ausgang, überquert an seiner Seite den Jürgensplatz, biegt nach rechts in die Herzogstraße, gleich links in die Wasserstraße. Elisa bleibt wie angewurzelt stehen.
“Verraten Sie mir wie sie auf den Täter Bachmann gekommen sind!”, fordert sie.
“Auch an mir geht der Zufall Treffer nicht vorbei! Beim Poker kommt es vor, dass man gewinnt. Es war doch ein Spiel oder?”
“Zugegeben - ja.”
“Sie haben die Karten nicht richtig gemischt. Ich zitiere: Der Fall des unbekannten Toten an der A 46 konnte mit Hilfe der hervorragenden Leistungen von Kommissar Eden gelöst werden... Rheinische Post am Montag. Aber kann sie meinen Wagen finden? Ich bin sicher ihn hier abgestellt zu haben. Genau hier!”
Elisa steht in einer verwaisten Parkbucht.
“Sie meinen gestohlen, das ist nicht mein Gebiet.”
“Den Wagen klaut keiner. Er springt nicht an, also ich meine eher selten.”
“Mm... mm..., kann sie! Abgeschleppt! Das ist ein Behindertenparkplatz! Behindert sind Sie doch sicher nicht.”
“Doch, mein Kleinhirn ist nicht voll ausgebildet, sonst wüsste ich wo der Plastikbomber steht. Die Bedingungen sind heute schlecht.”
“Abgeschleppt, sagte ich bereits. Haben Sie das Schild nicht gesehen?”
“Es stand vorhin nicht hier!”, mault er, “ich bin von gegenüber die Straße lang gekommen, habe gewendet und bin in den freien Platz gefahren, da schau ich nicht mehr hoch.”
“Besser ist das!”
“Die werden doch die Pappe anständig behandeln”, jammert Elisa.
“Rennpappe? Sie fahren einen Trabi?”
“Trabi in bleu, Plaste und Elaste, Bakelit-Kunst, der Propaganda-Duft über dem Kombinat mit Zielerreichung, nö.” Elisa lacht.
“Sie sind ein...”
“Ein Ossi, aus einem winzigen Kaff in der Nähe von Schwerin”, sagt Elisa.
“Und sind mit ihrem Trabi in die Freiheit aufgebrochen, als die Grenze offen war...”
“Nein, ich habe meine Eltern in Angst und Sorge hinterlassen und bin mit 18 getürmt, weil ich wusste, dass ich nie eine offizielle Ausreise bekommen hätte und weil ich nie hätte studieren dürfen.”
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