Purini war nicht beeindruckt. „Äh“, meinte er abschätzig.
Es klopfte. Eine Frau steckte den Kopf durch die Tür. „Herr Konsul, wir hätten einen Termin bei der Polizei für Herrn Römer. Kommissar Martinić, Saša Martinić, leitet die Ermittlungen und könnte ihn heute noch treffen, wenn wir uns beeilen.“
„Danke, Tanja.“ Purini wandte sich Tull Römer zu. „Ist es in Ordnung, wenn Frau Bilić Dich zu Martinić begleitet? Sie hat den besten Draht zur Polizei, kümmert sich immer, wenn einer von Euren deutschen Staatsangehörigen mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Und von denen gibt es mehr als genug.“
Tull versuchte, das Angebot abzuwehren – er sollte ja nicht als Vertreter der deutschen Botschaft, sondern als Privatperson auftreten: „Ich kann auch alleine zur Polizei finden.“ Purini ließ das nicht gelten. „Kommt nicht in Frage. Frau Bilić geht da mit Dir hin.“
Es war keinen Widerstand wert. Tullius stand auf und bot Purinis Mitarbeiterin die Hand. „Markus Römer. Aber alle nennen mich Tullius oder Tull“. Sie ergriff die Hand und schüttelte sie kurz, ohne den Eindruck zu erwecken, dass sie ihn sympathisch fände. „Tanja Bilić“, sagte sie überflüssigerweise, ohne hinzuzufügen, dass sie mit Vornahmen angeredet werden dürfe. Die Frau war klein – Tull schätzte sie auf einen Meter sechzig – und schlank. Ihr Gesicht blickte streng, die braunen Haare hatte sie hochgesteckt. Sie trug lange, dunkelblaue Hosen, eine helle Bluse und ungeachtet der Spätsommerhitze ein Tuch um die Schultern. Geschmackvoll und sehr geschäftsmäßig. Tull hatte den Verdacht, dass Purini sie in sein Konsulbüro aus dem mittleren Management einer seiner Firmen übernommen hatte.
Sie gingen nebeneinander die Stiege hinab. „Wie kommen wir zur Polizei?“ fragte er. „Eine Fensterscheibe einwerfen und auf ein Polizeiauto warten?“ Bilić schien den flachen Witz nicht wahrgenommen zu haben. Sie verzog keine Miene. „Am besten nehmen wir Ihr Auto“, erwiderte sie todernst. „Zum Laufen ist es zu weit, bei den Temperaturen.“ Sie sprach Deutsch wie eine Muttersprachlerin, nur dass sie das „r“ ein wenig rollte.
„Wo haben Sie Deutsch gelernt?“ wollte Tull wissen. Die Frage konnte sensibel sein: Viele Kroaten, die gut Deutsch sprachen, gaben nicht gerne zu, dass sie als sogenannte Gastarbeiterkinder in Deutschland gelebt hatten, was sie als Aufenthalt zweiter Klasse empfunden hatten; anderen war es unangenehm, dass sie während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflohen waren. Nicht so Bilić. „Auf der deutschen Schule“, antworte sie. „Und später habe ich in Zagreb Germanistik studiert.“
„Längere Aufenthalte in Deutschland?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ein Gastsemester in Mainz. Die Universitäten arbeiten zusammen.“
„Sie sprechen wirklich gut. Ich hätte Sie für eine Muttersprachlerin gehalten.“ Bilić antwortete nicht.
Tull versuchte, die Unterhaltung wiederzubeleben. „Wenn Sie aus Zagreb kommen, was machen Sie dann in Split?“
„Arbeiten.“
„Wow, das war jetzt eine ausführliche Antwort!“
Die Frau drehte den Kopf zu ihm und schaute grimmig. „Wollen Sie mich verhören? Ich dachte, wir seien erst auf dem Weg zur Polizei.“
„Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“ Zu seinem Erstaunen lächelte Bilić jetzt, wenn auch nur ganz schwach. „Tut mir leid. Ich habe es nicht böse gemeint.“
Trotzdem war die Stimmung gespannt, als sie durch die Außenbezirke zur Polizeistation fuhren. Tull hatte innerhalb weniger Minuten vollständig die Orientierung verloren – Bilić wies ihn abwechselnd durch breite, baumbestandene Alleen und enge Einbahnstraßen – bis sie auf einmal am Ziel waren. Ein schmuckloses, mehrstöckiges Gebäude; helle Fassade – postsozialistische Nüchternheit.
Am Empfang saß ein älterer Mann in Zivil, verrichtete Pförtnerdienste. „Wir suchen Kommissar Martinić“, fragte Bilić nach dem Weg. Der Pförtner schaute wenig interessiert. „Zweiter Stock, Zimmer 23 b.“
Sie stiefelten die mit Linoleum ausgelegten, etwas düsteren, nach Reinigungsmittel riechenden und lindgrün gestrichenen Flure entlang, stiegen eine Treppe mit ausgetreten Stufen empor. Es herrschte wenig Betrieb in dieser Behörde. Zimmer 23 fanden sie ohne Probleme; 23 b gab es nicht. Tull klopfte an Nummer 23, öffnete. Ein leeres Vorzimmer führte in ein weiteres Büro; die Tür war offen. Vor einem Büroschrank stand eine zierliche junge Frau mit langen blonden Haaren, suchte dort offenbar irgendetwas. „Entschuldigung“, sagte Römer. „Wir haben einen Termin mit Kommissar Martinić.“
Die junge Frau wandte sich um und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Ähnlich wir Bilić trug sie eine helle Bluse und ein Tuch, aber statt der strengen blauen Hose hatte sie einen mittellangen Rock an. Eine Kostümjacke hing vom Bügel an einem Garderobenständer in der Ecke. In einer Fensterbank verstaubte eine Topfpflanze. Behördenatmosphäre. „Na, dann kommen Sie mal rein“, erwiderte die junge Frau. „Konsul Purini hat sie ankündigen lassen. Ich nehme jedenfalls an, Sie sind Herr Römer von der deutschen Botschaft in Zagreb.“
Dieses Entrée entsprach jetzt nicht ganz dem, was Botschaftsrat Abraham angestrebt hatte: Dass Römer nicht wie eine Art deutscher Oberkommissar gegenüber der kroatischen Polizei auftrat. Offenbar war etwas in der Kommunikation zwischen der Botschaft in Zagreb und dem Honorarkonsul in Split verloren gegangen. Tullius hielt es dennoch für weise, sich nicht in Einzelheiten über seine eher dünne Beziehung zur deutschen Botschaft zu verlieren. „Entschuldigung“, meinte er stattdessen mit fester Stimme, „Wo ist denn der Kommissar?“ Er hatte keine Absicht, sich hier von einer Sekretärin bescheiden zu lassen, egal wie jung und hübsch.
Halb verdeckt hinter ihm gab Bilić ein undefinierbares Geräusch wie ein Schnauben von sich, während die junge Frau keine Mine verzog. „Das bin ich“, stellte sie nüchtern fest. „Kriminalkommissarin Saša Martinić.“
Tull spürte, dass er rot wurde. Puterrot wahrscheinlich. „Das ist ja eine tolle Einführung“, versuchte er, seinem Faux-pas etwas Leichtigkeit zu geben. „Entschuldigen Sie bitte, Frau Kommissarin. Ich hatte einen Aleksandar Martinić erwartet. Natürlich kann Saša auch für… auch für Aleksandra stehen...“
Das Gesicht der Polizistin blieb unbewegt. „Kann es“, gab sie zu. „Tut es auch.“ Ihre Stimme hatte die Temperatur eines Eisbachs. Wahrscheinlich war sie hinsichtlich derartiger Verwechselungen empfindlich.
Die Kommissarin ging voran in das angrenzende Büro, wies den Besuchern zwei Stühle zu, setzte sich selbst hinter den Schreibtisch, der zu groß für wirkte für ihre Erscheinung. Ein paar Akten lagen darauf; ein Computerbildschirm und eine ziemlich abgegriffene Tastatur vervollständigten das Bild. Anders als in Kroatien üblich, bot Martinić weder Kaffee noch Mineralwasser an. Das lief nicht gut.
Martinić musterte Tull ein paar Sekunden. Er hatte den Eindruck, dass er ihr ungefähr genauso sympathisch sei wie Kopfläuse. Kein Wunder, dass Purini zu diesem Termin nicht mitgekommen war! „Also: Was kann ich für Sie tun?“ fragte die Kommissarin schließlich.
„Ich nehme an, Frau Bilić hat Ihnen schon am Telefon gesagt, worum es geht.“
„Ja, aber ich möchte es gerne von Ihnen hören. Auf die Vorlage eines Ausweises verzichte ich hingegen. Frau Bilić ist hier persönlich bekannt, und Ihr Akzent macht klar, dass Sie Deutscher sind. Tourist sind sie nicht – die können nicht so gut Kroatisch. Es ist glaubwürdig, dass die Botschaft sie geschickt hat.“
„Elementar, lieber Watson“, warf Bilić ein. Sie hatte ebenso wie Tull verstanden, dass Martinić mit diesen Ausführungen sowohl ihre Machtposition als auch ihre Kompetenz belegen wollte – und offensichtlich mochte Bilić solche Spielchen nicht: Sie passten wohl nicht zu ihrer betont nüchternen Art.
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