Mira Micheilis
Meraviglia und der verrückte Erfinder
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Inhaltsverzeichnis
Titel Mira Micheilis Meraviglia und der verrückte Erfinder Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Die Stadt und das Meer
2. Der tanzende Frosch
3. Zwei dunkle Gestalten
4. Die Gilde der Erfinder
5. Irrungen und Wirrungen
6. Nach Mitternacht
7. Das Fliegenpilzhaus
8. Landpiraten
9. Der Schlaf der Toten
10. Ein Dritter im Reigen
11. Ein Schiff auf dem Trockenen
12. Für zwei Silberlinge
13. Zum verrückt werden!
14. Des Rätsels Lösung
15. Gefahren in der Nacht
16. Der gerechte Lohn
17. Das Vögelchen im Käfig
18. Ein großes Spektakel
19. Michaelisfeuer
20. Das Ende
Impressum neobooks
1. Die Stadt und das Meer
Es war ein schöner und strahlender Morgen, als Chaos und Zerstörung an Steg Nummer Vier von Bord des Piratenschiffes Levanta gingen und zum ersten Mal den Boden der alten und ehrwürdigen Stadt Braccio betraten. Die unzähligen Matrosen und Hafenarbeiter, die zu dieser Stunde am Hafen ihrer schweren Arbeit nachgingen, ahnten davon natürlich nichts. Alles, was sie sahen, war ein gewöhnliches Mädchen in sonderbarer Kleidung.
Hätten sie aber schon an jenem Morgen gewusst, welche desaströsen Ereignisse diese kleine Person verursachen würde, sie hätten sie sofort ins Meer geworfen oder zurück auf ihr Schiff gejagt. Da sie jedoch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, entging ihnen an diesem unscheinbaren Tag diese nicht sehr unscheinbare Person.
Meraviglia Barbanero, so hieß die kleine Piratin nämlich, war das ganz recht. Unbekümmert bahnte sie sich ihren Weg durchs Getümmel, das Herz erfüllt mit Vorfreude. Wie genoss sie den Trubel, den sie auf dem Piratenschiff hatte entbehren müssen!
Hafenarbeiter mit kräftigen, tätowierten Armen riefen sich die Namen ihrer Leibgerichte zu. Tagelöhner trieben munter wehrlose Schafe und Ziegen umher. Unterfütterte Sekretäre liefen vornehmen Herrn hinterher und taten so, als schrieben sie jedes gesagte Wort mit. Dabei hatten sie nur Augen für die zahlreichen Waren, die von den dutzenden Schiffen abgeladen wurden.
Meraviglia sog die Luft der tausend Gerüche und Düfte tief in sich ein. Es roch nach altem Wein und frischem Fisch. Nach Feldtieren, die man in die Stadt geführt hatte. Nach Menschen in unterschiedlichsten Stadien der Sauberkeit. Es roch nach Meer und von der Sonne erwärmtem Staub. Eigentlich roch es genauso wie in der Schiffsküche der Levanta.
Barbanero, Kapitän dieses gefürchteten Piratenschiffes, stand an der Reling seines Dreimasters und sah seiner Ziehtochter nach. Sechs Jahre hatte er sie bei sich gehabt. Hatte sie gelehrt, was ein rechtschaffener Pirat zu lehren wusste und ließ sie nun gehen, da es nichts mehr zu lehren gab.
Der Kapitän hatte Meraviglia damals in Damaskus einem Tischler abgekauft. Sein hölzerner Arm war im Kampf gebrochen und ein neuer musste her. Das war eine heikle Angelegenheit, denn gute Handreplikate waren schwer zu finden. Besonders Splitter waren ein Problem.
Wie hatte er sich damals in der Werkstatt des Tischlers abgemüht! Dieser sprach kein Italienisch und der Pirat kannte nur wenige Worte des Arabischen. Mit Händen und Füßen hatte er versucht sich verständlich zu machen. Da holte der Tischler lachend einen Knirps unter der Werkbank hervor: Ein Mädchen, das beide Sprachen wundervoll beherrschte und den Handel dadurch viel angenehmer gestaltete.
So ein kleiner Übersetzer könnte sich als nützlich erweisen , dachte der Kapitän, mit Gedanken an die Beute, die er in dieser fremden Stadt noch unter die Leute bringen wollte.
Eine peinliche Situation entstand, als der Pirat dem Tischler das Mädchen abkaufen wollte. Wie furchtbar unangenehm es war, den eigenen Verkauf zu übersetzen.
„Der Herr Pirat möchte mich kaufen, Meister“, sprach das Kind verwundert, mit einer Stimme, die der eines Kanarienvogels damals noch sehr ähnlich war.
„Meister sagt, das Mädchen, also äh… ich… ich stehe nicht zum Verkauf.“
Barbanero wollte sich nicht so schnell abspeisen lassen und ließ das Mädchen ausrichten: „Du bekommst einen sehr guten Preis für sie, also für mich.“
So ging das eine Weile hin und her, doch der Tischlermeister wollte sich nicht erweichen lassen. Barbanero war gezwungen zu tun, was er immer tat, wenn jemand schwer von Begriff war: Er zog sein Schwert. Der Meister wurde sofort einsichtig und Meraviglia wechselte für den Preis zweier Holzbeine und eines Schuhs den Besitzer.
Der Pirat war damals sehr froh über seinen Kauf gewesen. Ursprünglich nur als Übersetzerin an Bord gebracht, wuchs ihm das kleine Mädchen schnell ans Herz. Selbst die anderen Piraten, die nicht für ihren Sanftmut bekannt waren, wurden in der Gegenwart des Mädchens zu ihrem besten Selbst.
Sie fluchten weniger. Schlossen ihre Hemdknöpfe. Sagten sogar Bitte und Danke . Auch wenn sie die Bedeutung der Worte nicht ganz zu verstehen schienen. So hieß es oft:
„Bitte wasche den Boden, bevor ich dir die Haut abziehe, du Sohn einer Wasserratte.“ Oder: „Danke für den Fraß!“
Die Zeit flog dahin, bis das Mädchen eines Tages, mit strahlendem Gesicht und einer verrückten Idee, vor Barbanero stand und er wusste, dass er sie gehen lassen musste.
Der alte Pirat strich sich durch den schwarzen Bart und seufzte. Wer würde ihm jetzt die verrücktesten Tagträume erzählen? Und wer seine Kajüte mit allerlei Werkzeug und Hölzchen in Unordnung bringen? Mit wem würde er jetzt Tee aus chinesischen Porzellantassen trinken? Was würde er ohne sie machen, allein unter diesen Rabauken?
Aber nein! Sie war jetzt alt genug und ein Piratenschiff war kein Ort für junge Frauen.
Außerdem hatte sie sich einen Floh so tief in ihr Ohr gesetzt, dass keine Vernunft sie dort erreichen konnte.
Was für eine fixe Idee sie da hat , dachte der Kapitän nicht zum ersten Mal.
Wie bei Piraten üblich, war der Abschied ohne viele Tränen verlaufen. Er hatte ihr die Heuer ausgezahlt, viel Glück gewünscht und den Ratschlag gegeben, ihren Plan nicht gleich der ganzen Welt zu erzählen. Man würde sie für verrückt halten und das konnte gefährlich werden.
Meraviglia hatte aber nur genickt. Da er nicht mehr für sie tun konnte, hatte er, nach altem Brauch, einen Wischmob gepackt und sie damit von Bord getrieben. Die Mannschaft kroch, kaum da die Zeremonie vorbei war, zurück in ihre Kajüten. Niemand mochte einen Abschied mit Tränen. Besonders nicht, wenn sie aus den eigenen Augen kamen.
„Meinst du, wir sehen sie wieder, Kapitän?“ Der Steuermann durchstreifte mit seinem Auge (er hatte nur eines) die Menge, um vielleicht doch noch irgendwo den Hut, den er so gut kannte, zu entdecken.
„Ich hoffe nicht“, antwortete der Kapitän vielsagend.
Der alte Steuermann paffte wissend an seiner Pfeife. „Es wäre nicht das erste Mal, dass sie zurückkommt.“
„Dieses Mal ist es anders“, antwortete Barbanero überzeugt. „Sie wird das schaffen.“
Der Steuermann wollte etwas erwidern, ließ es jedoch, nach einem Blick zu seinem Kapitän, lieber bleiben. Seine Brauen waren in Furchen gelegt, wie Barbanero es zu tun pflegte, wenn er Wolken am Horizont beobachtete, um heraus-zufinden, ob sie Sturm oder Sonne bedeuteten.
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