Endlich schniefte sie: „Warum muss alles immer so kompliziert sein?“
Ich legte meinen Arm um sie. „Wir finden einen Weg. Irgendwie wird es schon werden.“
Dabei war mir ganz und gar nicht klar, wie wir aus dieser Zwickmühle herauskommen sollten.
Kat wischte sich die Tränen aus den Augen und stand auf. „Na gut, dann eben nicht. Aber wir beide machen es uns hier gemütlich, nicht wahr?“
Ich streifte meine Mokassins von den Füßen, hob die Beine aufs Bett und lehnte mich in die Kissen. Erschöpfung überkam mich. Neben dem Bett packte Kat ihren Rucksack aus. Sie faltete ihre drei Kleider und mehrere Leinenhemden auseinander und hängte sie rings herum an die Vorhangstangen des Himmelbetts.
„Die Sachen müssen lüften. Ein Glück, dass ich im Bergdorf zum Waschen gekommen bin, sonst hätte ich nur noch Dreckwäsche im Rucksack.“
Binnen kurzem hatte sie ihre Sachen im Zimmer verteilt. Auf dem Tisch, auf dem Fensterbrett, an den Bettstangen, über den Stuhllehnen: es gab nicht einen Platz mehr, der nicht von ihren Sachen belegt war.
Ob es das ist, was sie mit „gemütlich machen“ meint? Ich werde um eine Ecke kämpfen müssen, in die ich meinen Rucksack stellen kann.
Kat beschwerte sich, dass es in diesem „nur von Kerlen bewirtschafteten Gemäuer“ keine Kleidertruhen gäbe. Schließlich nahm sie sich ein Kleid und ein Hemd, holte ein Handtuch, Seife, einen Kamm und einen kleinen Messingspiegel hervor -
was Frauen auf Reisen auch alles dabei haben!
- und meinte, sie wolle Lyana überreden, mit ihr nach unten zu gehen und den Koch dazu zu bringen, zwei Eimer heißes Wasser in den Brunnenraum zu stellen.
„Macht das,“ meinte ich. „Ich ruh' mich einen Moment aus. Ich bin entsetzlich müde.“
Bevor sie aus dem Zimmer ging, schaute sie zu mir zurück, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, kam zum Bett und küsste mich lange und zärtlich. Dann ging sie hinaus und schloss leise die Tür hinter sich.
***
„Leif, du Schlafmütze! Willst du nicht zum Abendessen kommen? Unser Koch hat sich mächtig ins Zeug gelegt!“
Kat schüttelte mich sanft an den Schultern. Gähnend setzte ich mich auf. Vor dem Fenster war es dunkel. Heulender Wind rüttelte an den Scheiben. Auf dem Tisch brannte eine Kerze. Sie flackerte heftig im Luftzug.
„Schon Abend?“ Ich fühlte mich müde und zerschlagen.
Kat hatte Kleid und Schuhe an und trug die silbernen Ohrringe, die ich ihr auf dem Markt in Grobenfelde geschenkt hatte. Ihr flachsblondes Haar floss offen um ihre Schultern.
„Komm, wir feiern unsere Rückkehr!“ Sie sah mich munter an.
Kein Wunder: Sie, Sven und Lyana hatten letzte Nacht tief geschlafen. Ich selbst hatte alle letzten Nächte unruhig im Halbschlaf zugebracht. Seit unserem Aufbruch aus dem Bergdorf Kammar hatte ich keine Nacht mehr richtig geschlafen. Und die vergangene Nacht hatte mich bis an die Grenze erschöpft.
Ich muss von Ligeia loskommen . Selbst wenn sie mich nicht verwundet, saugt sie mich aus bis aufs Letzte .
Seufzend stand ich auf. Kat ging voraus zur Wendeltreppe. Sie ließ die Zimmertür offen.
Im Saal saßen Kat, Lyana und Sven am festlich gedeckten Tisch. Ein weißes Tischtuch war über die Tischplatte gebreitet, silbernes Geschirr glänzte im Schein eines mehrarmigen Kerzenhalters. Der für den Burgherrn eingedeckte Platz war leer. Über dem Tisch flackerten die Kerzen des eisernen Deckenleuchters. Sie tauchten den Saal in fahles Licht. Zwischen den Bogendurchgängen tanzten Säulenschatten an der Wand.
Kat goss sich Wein in ihren Becher. Dabei plauderte sie fröhlich mit Lyana. Auf dem Tisch war eine gebratene Gans mit Kohl und Klößen angerichtet, eine Suppenterrine und Schüsseln mit Pudding und Obstgrütze. Zwei große Kannen Wein standen bereit. Sven hatte sich bereits bedient und kaute mürrisch an einer Gänsekeule. Er starrte auf seinen Teller.
Beim Hinsetzen unterdrückte ich ein Gähnen. Ich versuchte, mir die Müdigkeit aus den Augen zu blinzeln und einen munteren Gesichtsausdruck aufzusetzen.
Kat musste lachen. „Leif, du siehst aus, wie eben aus dem Tiefschlaf gerissen.“
Ich goss mir Wein ein. „Die letzten Tage haben mich ganz schön mitgenommen.“
Lyana sah mich still an.
Kat erklärte, Zosimo habe sich entschuldigen lassen, er sei damit beschäftigt, das „Heilige Buch der Historien Karrakadars“ zu studieren.
„Ohne den ollen Zwerg ist es sowieso entspannter,“ meinte sie fröhlich. „Sven, komm, hab dich nicht so. Wir wollen feiern!“
Sven schaute nicht auf. „Du vielleicht. Ich hab keine Lust zum Feiern.“
Kat stellte ihren Becher ab und seufzte. „Sven! Jetzt hör doch auf, den Beleidigten zu spielen. Was hab ich dir denn getan?“
Auch Sven legte seine Gänsekeule weg.
Er sah sie wütend an. „Ich... zufällig liebe ich dich nämlich, verstehst du?“
Kat sah ihn mit komischer Verzweiflung an. „Ich - dich - auch - Sven.“ Sie betonte jedes Wort zärtlich.
Lyana und ich tauschten einen Blick. Ich fühlte mich ungemütlich.
„Ach,“ schnaubte Sven. „Aber... und...“
Ärgerlich blickte er zwischen Kat und mir hin und her.
„Ja, und?“ rief Kat. „Ist das so schlimm, dass ich euch beide mag - das ich euch beide liebe?“
„Aber ich liebe dich ! Nur dich!“ tobte Sven los. „ Nicht euch beide! Nichts gegen dich, Leif, aber Kat, Himmeldonnerwetter nochmal! Liebe ist was zwischen zwei Menschen, zwischen einem Mann und einer Frau, falls du das noch nicht begriffen hast, nicht zwischen zwei Männern und einer Frau. Das geht nicht! So was gibt's nicht!“
Kat war blass geworden. Tränen sickerten in ihre Augen.
„Warum nicht?“ flüsterte sie. „Sei doch nicht so stur. Lass es uns doch wenigstens versuchen.“
Ich holte tief Luft.
„Sven,“ sagte ich in einem hilflosen Versuch, die Katastrophe abzuwenden. „Hör mal...“
Aber er sprang auf.
„Nein!“ brüllte er. „Ich will das nicht hören! Ihr habt in dem Durcheinander der letzten Wochen wohl einen Dachschaden bekommen! Nimm ihn doch zum Mann, wenn du nicht von ihm lassen kannst. Ich kann damit umgehen, glaub' nicht, dass deswegen die Welt für mich untergeht! Wenn du nicht meine Frau sein willst, bitte sehr, dann eben nicht! Ich kann damit leben! Aber lasst mich aus eurem blöden Spiel 'raus!“
„Sven!“ rief ich, aber er trampelte aus der Halle nach oben.
„Oh, ist das gemein von dir!“ schrie Kat ihm nach. „Du bist so was von ungerecht!“
Hinter ihm fiel die Tür zur Wendeltreppe ins Schloss.
Wir saßen stumm am Tisch und blickten auf unsere Teller. Nach einer Weile griff Kat ihren Weinbecher und trank ihn in einem Zug aus. Sie setzte den Becher ab, wischte sich die Nase und griff nach der Fleischgabel.
„Will jemand Gänsebraten?“ fragte sie trotzig.
Trübe gestimmt aßen wir unseren Braten. Obwohl Lyana und ich ein paar Mal ein Gespräch anzuknüpfen versuchten, kam keine Unterhaltung auf. Den Pudding mochte keiner mehr anrühren.
Als wir gegessen hatten, stand Lyana auf und meinte: „Ich will noch ein wenig lesen in der Bibliothek. Gute Nacht, ihr beiden.“
Kat sah mich mit Zorn sprühenden Augen an. „Gehen wir ins Bett?“
Wir gingen hinauf in unser Zimmer. Ich zündete die Kerze an. Sie blakte im Luftzug. Kat schloss die Zimmertür. Wir zogen uns aus und krochen unter den schweren Decken zueinander. Kat presste sich an mich und bedeckte mein Gesicht und meinen Nacken mit Küssen. Ich spürte ihre Erregung, doch ich fühlte mich schwach und erschöpft. Es wurde nichts.
„Kat,“ sagte ich kläglich, „ich bin hundemüde. Ich glaub', ich brauch' erst mal 'ne Mütze voll Schlaf.“
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