Sven machte sich Frühstück und lief kauend durch seine Wohnung. Er sah aus dem Fenster auf den Park und die Stadt, die dahinter lag. Seine Geschäfte waren einträglich gewesen, und so hatte er sich im letzten Jahr diese Wohnung mit Dachterrasse gekauft, die in einem alten Kasernengebäude lag, das von Grund auf saniert worden war. Seine Nachbarn waren ähnliche Gestalten wie er, wohlhabend, dabei aber stets bedacht, es nicht zu sehr zu zeigen. Es gab einen Hausmeisterservice, einmal in der Woche kamen zwei freundliche, fleißige und dabei auch noch verschwiegene Putzkräfte ins Haus, das Gelände wurde von einer Art Wachservice patrouilliert, und wenn jemand klingelte, konnte dieser vorher über einen Bildschirm in Augenschein genommen werden. Sven hatte der Ausblick sofort gefallen, seine Wohnung lag im fünften Stock, über ihm kam nichts mehr, niemand konnte auf seine Terrasse oder in seine Zimmer blicken, die Ausstattung war protzig, dabei aber noch gediegen. Er hatte die Altbauwohnungen satt und wollte endlich ein wenig Komfort, ein modernes Bad, eine Klimaanlage und automatische Jalousien vor den Fenstern. Seine Nachbarn kannte er kaum, bis auf wenige Ausnahmen arbeiteten sie viel oder verschanzten sich, so wie er, die meiste Zeit in ihren Wohnungen, was Sven nur recht war. Er dachte: Wer sich eine Wohnung dieser Art leistete, der war bestimmt ein blöder Yuppie, ein geldfixierter Idiot, der über nichts anderes reden konnte und sich seinen Wein vom Winzer aus Spanien persönlich auf dem silbernen Tablett zur Verkostung ins Haus bringen ließ. Mit solchen Trotteln wollte er nichts zu tun haben, auch wenn er mit ihnen unter einem Dach wohnte. Sven ging immer noch in die alten Kneipen, kaufte nach wie vor in den billigen Supermärkten und trug von Zeit zu Zeit Klamotten, die er schon jahrelang in seinem Schrank hatte und denen man das auch ansah. Aber es bereitete ihm eine geradezu diebische Freude, die Blicke der anderen zu spüren, sobald er die Treppe hochkam oder aus dem Aufzug stieg, und seine Nachbarn in diesem Moment überlegen mussten, ob sie nicht lieber den Wachdienst informieren sollten. Er grüßte dann immer besonders freundlich, nannte sein Gegenüber beim Namen (sofern er ihn kannte) und lachte sich innerlich kaputt über diese Spinner mit ihren lächerlichen Statussymbolen. „Wenn die wüssten“, dachte er. „Die Hälfte von euch Arschgeigen habe ich bestimmt auch schon fotografiert.“ Und er ließ seine Tür laut ins Schloss krachen.
Ein weiterer Anruf stand noch an, und dazu benutzte Sven ein anderes Telefon, für das er sich eine Prepaid-Karte besorgt hatte, damit die gewählte Nummer im Falle eines Falles nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden konnte. Bei der Nummer handelte es sich um die einer Briefkastenfirma in Tschechien, die er durch einen Strohmann hatte eröffnen lassen und zu der ein Konto gehörte, auf das die Gelder flossen, die ihm seine Kunden so wenig bereitwillig übereigneten. Bisher hatte keiner seiner Kunden Stress gemacht, es hatte den ein oder anderen gegeben, der sich zunächst etwas geziert hatte, aber die Erwähnung seiner künftigen Popularität, die er zweifellos genießen würde, sobald seine Fotos erst einmal im Schaukasten der Kirchengemeinde hingen, hatte bisher noch jeden überzeugt. Das Konto im Ausland war nur eine weitere Vorsichtsmaßnahme, deretwegen sich Sven bereits mehr als einmal gefragt hatte, ob er eigentlich paranoid sei oder ob er sich noch im Bereich geistiger Gesundheit aufhielt. Aber die Gedanken an glühende Eisen und herausgerissene Fingernägel hatten ihn schnell eines Besseren belehrt, dabei wäre bestimmt jeder schwach geworden und hätte sich noch eine weitere Hürde, eine zusätzliche Schutzmauer ausgedacht, um zu verhindern, dass diese grausamen Bilder Wirklichkeit wurden.
„Irgendwelche Überweisungen?“, fragte er jetzt in den Hörer. „Gut, sonst noch etwas? Ok, danke, ich melde mich in ein paar Tagen wieder.“ Das Telefon erschien Sven immer noch sicherer als die Überprüfung seines Kontos über das Internet. Die Berichte über Überwachungen, Ausspähungen und die Speicherung von Verbindungsdaten auf Vorrat hatten ihm einen gehörigen Schrecken eingejagt, und da er nicht genügend technisches Wissen besaß, um sich in diesem Medium ausreichend zu schützen, musste er eben auf das Telefon ausweichen. „Man kann ja nicht in allen Bereichen ganz vorne mitmischen“, war seine Weisheit zu diesem Thema.
Er vermerkte die Zahlungseingänge und verglich die Daten seiner Forderungen bis zum Eingang der Beträge. Einige waren sehr schnell bereit gewesen, sich von ihrem Geld zu trennen, überlegte er und nahm sich vor, über eine Preiserhöhung nachzudenken. Wenn seine Kunden so schnell zahlten, waren seine Gebühren vielleicht einfach zu niedrig.
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