keine Meisterschaft im Paddeln gewinnen, und wir fanden auch einen Platz, der
geradezu zum Zelten einlud.
Das Ufer war flach und kiesig. Über eine kleine Böschung gelangte man auf eine
von Bäumen nicht bewachsene Fläche, auf der wir unser Lager errichteten.
Am Waldesrand stellten wir unser Zelt auf und ich begann sogleich damit, eine
Feuerstelle zu errichten. Das war immer mein Part. Wir waren mittlerweile schon
ein eingespieltes Team, so dass jeder wusste, was er zu tun hatte. Außerdem liebte
ich Lagerfeuer.
Ein kluger Kopf sagte einmal: „Ein Lagerfeuer macht die größte Wildnis zum Heim.“
Womit der Mann völlig Recht hatte. Wenn erst das Feuer prasselt und der Kaffee in
der Kanne brodelt, ist die Welt in Ordnung - egal wie das Wetter ist. Und eigentlich
war das Wetter nicht so schlecht. Ein paar dunkle Wolken, durch die immer wieder
die Sonne schien. Ab und an ein wenig Nieselregen, das war´s.
Doch die Sturmböen waren das Problem. Sie fegten im Minutentakt über den See
und bauten sofort hohe Wellen auf.
Also richteten wir uns an diesem schönen Plätzchen erst mal häuslich ein.
Schnell war das Feuer entfacht und verbreitete wohlige Wärme. Jetzt hatten wir
auch Gelegenheit unsere nassen Sachen zum Trocknen aufzuhängen. Einiges war
bei dem Wetter doch feucht und klamm geworden.
Auch unsere Küche war schnell aufgebaut. Unsere wasserdichten Kisten und
Tonnen dienten dabei als Schränke und Arbeitsplatte.
Und wo ich schon mal dabei war, grub ich auch gleich dreißig Meter vom Lager
entfernt ein Loch; um später unsere nicht verbrennbaren Abfälle zu entsorgen.
Das ist auch eine der wichtigen Tätigkeiten beim Zelten in der Wildnis. Man kann
nicht einfach seine Abfälle achtlos in der Landschaft herumliegen lassen.
Außerdem verhindert man damit, dass Bären und andere Raubtiere zu Besuch
kamen.
Als diese Arbeiten nun verrichtet waren, war es mal Zeit für Körperpflege. Obwohl
das Wasser im See nur etwa 8-10 Grad hatte, musste diese Maßnahme sein.
Jürgen, der einige Kilo mehr auf den Rippen hatte wie ich, fackelte nicht lange und
stürzte sich nackt in die Fluten. Alleine dieser Anblick erzeugte eine Gänsehaut bei
mir. Obwohl ich noch völlig angezogen war.
Ich zögerte noch und entschied dann, dass ich nicht unbedingt baden müsste. Eine
Wäsche reichte vollkommen aus. Ich bin beileibe nicht zimperlich. Doch Baden,
und dazu noch im eiskalten Wasser, war nicht mein Ding. Bei meinen 65 Kilogramm
schlug die Kälte sowieso schon blitzartig bis auf die Knochen durch.
Ach nein, das lassen wir doch lieber!
Ich zog meine Schuhe und Strümpfe aus, entledigte mich meiner Weste und des
Hemdes und krempelte mir die Hosenbeine hoch. Dermaßen entblößt stieg ich
tapfer in die Fluten. Wie befürchtet bekam meine Haut eine komische, unebene
Oberfläche und ich beeilte mich mit der Wäsche, um schnell wieder ans warme
Feuer zu kommen. Doch der Kreislauf wurde auf wundersame Weise angeregt.
Nach einer Weile im Windschutz meines Mantels sitzend, fühlte ich mich wieder
sauwohl und genoss den heißen Kaffee und die Röstkartoffeln.
Es war, wie es kommen musste ...
Das Wetter war regnerisch. Nur vereinzelt blinzelte die Sonne durch die Regen
verhangenen, schwarzen Wolken. Der See war durch den starken Wind
aufgewühlt. Weiße Schaumkronen ritten auf den hohen, sich immer mehr
aufbauenden Wellen.
Wir standen am Ufer. Mit düsteren Mienen blickten wir auf den See. Vor uns, im
groben Kies des Ufers, lag unser Kanu, vollgepackt mit Ausrüstung, die wir für drei
Tage auf unserer Kanu-Tour brauchten.
Wir waren auf dem Rückweg, als wieder dieser Wind auffrischte, der uns in den
Tagen zuvor immer wieder zu schaffen machte.
Doch noch einen Tag länger wollten wir nicht bleiben. Das Wetter schien sich nicht
bessern zu wollen und aus Erfahrung wussten wir, dass es besser wäre, jetzt
aufzubrechen, bevor es ganz und gar unmöglich wurde, von hier wegzukommen.
Die Seen in Kanada können tückisch sein.
An einem Tag liegen sie ruhig und flach vor einem, so als würde es nie anders sein.
Am nächsten waren sie aufgewühlt und wild wie ein tobendes Meer. Besonders in
den bergigen Regionen blies der Wind vom Pazifik her und verwandelte die Seen in
Minutenschnelle in brausende, aufgewühlte Gewässer. Man kam sich dann vor wie
am Meer, wo die Brandung mit Urgewalt an die Ufer rollte.
Nun waren wir schon den dritten Tag auf dem See und waren auf dem Weg zurück.
Schon einige Male hatten der Wind und der hohe Seegang uns gezwungen früher
als geplant an Land zu gehen.
Man muss sich eben hier auf das Wetter einstellen. In der Wildnis Kanadas, wie
auch anderswo, muss man mit der Natur und seinen Gegebenheiten leben.
Wir hofften, dass wir es vielleicht an diesem Tag schaffen würden, bis zu unserem
Ziel durch zu paddeln. Doch wie so manches Mal zeigte uns die Natur auch jetzt
wieder ihre Macht.
Wir schätzten die Wellen auf bis zu sechzig Zentimeter hoch. Das hört sich nicht
viel an. Doch für ein kielloses Kanu, wie das unsrige, konnten solche Wellen zum
Verhängnis werden. Auch mit Schwimmweste und warmer Kleidung konnte man in
diesen kalten Gewässern nicht lange überleben.
Auf der anderen Seite der Landzunge, wo wir standen, war in Ufernähe der
Wellengang um einiges schwächer, so dass man dort ohne Schwierigkeiten
paddeln konnte.
Auch mit einiger Erfahrung, die wir im Laufe der Jahre gesammelt hatten, war es
doch eine große Herausforderung, bei diesem Wellengang auf den See
hinauszufahren. So eine Situation hatten auch wir noch nie erlebt.
Wir machten uns einen Plan. Wir mussten zuerst etwa 50-80 Meter gegen die
Wellen anpaddeln, um nicht sofort wieder durch die Brandung ans Ufer getrieben
zu werden. Dann das Boot so schnell es ging wenden und mit dem Wellen um die
Landzunge herumfahren, um in die ruhige Zone zu kommen. Die Schwierigkeit
bestand darin, das Kanu zwischen den einzelnen Wellen zu wenden. Schafften wir
das nicht und eine Welle erfasste uns breitseits, würden wir unweigerlich kentern.
Dieser Gedanke erweckte Unbehagen in mir. Da ich sowieso lieber auf dem
Wasser statt in ihm war, war es für mich eine Horrorvorstellung in diesem kalten
See baden zu gehen. Doch wir hatten keine Wahl, wollten wir nicht noch eine Nacht
an dieser steinigen Uferregion unsere Zelte aufschlagen.
Jürgen sah meine Unentschlossenheit und Skepsis und meinte: „Wir können auch
den ganzen Krempel und das Kanu durch den Busch auf die andere Seite
schleppen. Dann sind wir gleich in ruhigem Gewässer.“
Doch dazu hatte ich auch keine große Lust. Immerhin waren es einige hundert
Meter dichtes Gestrüpp und Unterholz, wo wir uns durchquälen mussten. Und
außerdem ließ es mein Stolz nicht zu, der Herausforderung aus dem Weg zu
gehen. Und so entschieden wir uns für Surfen mit dem Kanu.
Und immer wenn man vor so einer schwierigen Entscheidung steht, geht es nur
darum, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen und mit klarem Verstand zu
handeln.
So war es auch diesmal.
Wir stießen uns vom Ufer ab und paddelten mit Leibeskräften auf den See hinaus.
Das Kanu wurde mit dem Bug bei jeder Welle hoch aus dem Wasser gehoben - so
dass ich kaum noch mit dem Paddel einstechen konnte - und fiel dann klatschend
in das Wasser zurück.
Gischt übersprühte mich. Ich kniete mich vorne hin, um den Schwerpunkt möglichst
tief zu halten.
Mein Freund als Steuermann saß hinten und hielt das Kanu auf Kurs. Ich konnte
Читать дальше