Wohlweislich hatten wir unser Zelt schon vorher auf der großen Wiese vorm Haus
aufgebaut, so dass wir nur noch müde, aber glücklich in unsere Schlafsäcke
krochen.
Traumlos und tief schlief ich diese Nacht durch.
Den nächsten Tag sahen wir uns erst mal das riesige Grundstück unserer Freunde
an. Sogar ein kleiner, kristallklarer Bach floss oberhalb des Grundstücks durch ein
kleines Wäldchen. Das große Haupthaus und eine der Cabins waren noch im Bau.
Manfred machte vieles alleine. Ein paar Freunde kamen ab und an und halfen ihm.
Das Haus und die beiden kleinen Blockhäuser waren ganz aus massiven Stämmen
der Zeder gefertigt. Es roch nach Harz, Holz und Natur rings herum. Eine würzige
Duftmischung, die ich so liebte.
Unser Freund führte uns herum und wir staunten über die gemütliche Atmosphäre,
die man jetzt schon erahnen konnte.
Aus beiden Cabins und der großen umlaufenden Veranda des Haupthauses hatte
man einen wunderschönen Ausblick. Auf die Nuit Mountains, bis hinunter zu dem
kleinen See - der etwa drei Kilometer entfernt liegt - erstreckt sich dichter
Nadelwald, durchzogen von einigen wenigen Laubhölzern.
Und einige hundert Meter hinter dem Anwesen lebt ein Nachbar. Ein Künstler hat
dort sein Domizil errichtet. Aus Hölzern und Baumwurzeln fertigt er schöne und
einzigartige Wohnmöbel.
Heute, am ersten Tag wollen wir die nähere Umgebung erkunden.
Manfred erzählte uns, dass wir - wenn wir Glück hätten - Elche beobachten
könnten. Dafür müssten wir einige Kilometer den Berg hinauf. Oben wäre ein
großer Kahlschlag, wo er schon die Tiere gesehen hatte.
Also machten wir uns auf den Weg. Ohne zu wissen, dass das erste Abenteuer auf
uns wartete.
"Hinter dem Haus, über den Bach und in Richtung Osten den Berg hinauf." So
beschrieb unser Freund uns den Weg.
Da es sehr warm zu werden schien, hatten wir nur unsere kleineren Rucksäcke
umgeschnallt, in denen sich gekühltes Bier in Dosen befand.
(Wasser gibt es nur in Notfällen, lach)
Dann ging es los.
Frohgemut und lachend durchbrachen wir das Unterholz. Es sollte zwar irgendwo
auch einen Waldweg geben, der auf den Berg führte, doch den fanden wir erst mal
nicht. Irgendwann würden wir schon auf ihn stoßen ... Dachten wir!
Manfred erzählte uns, dass es hier einige Schwarzbären gäbe und ab und zu
wurde auch mal ein Puma gesichtet.
Na also - was sollte uns jetzt schon noch passieren.
Krachend arbeiteten wir uns durch das Unterholz. Mit glänzenden Augen immer
vorwärts.
Ja, das war es doch, was wir suchten: Wildnis pur!
Wir waren ja eigentlich erfahrene Wanderer und Kanuten. Doch bei uns zuhause
gab es nichts Vergleichbares. Gegen diese Wildnis hier sehen unsere Wälder aus
wie aufgeräumt und sauber gefegt.
Langsam fingen wir an zu schwitzen und weit und breit kein Waldweg zu sehen. Ab
und an, an einem Baum ein blaues Bändchen. Wir nahmen an, es handelte sich
vielleicht um Markierungen von Waldarbeitern. Dann - nach etwa zwei Stunden
durch das Unterholz kämpfend - mussten wir einsehen, dass wir uns verlaufen
hatten.
Na dann Prost!
Wir sahen den Wald buchstäblich vor lauter Bäumen nicht mehr.
Schnaufend setzten wir uns erst mal hin und nahmen einen Schluck vom schon
langsam warm werdenden Bier.
Dann sahen wir uns um.
So viel Dickicht und Unterholz hatte ich bis jetzt nur in Filmen gesehen. Manchmal
kam es einem vor, als wenn zwischen den Bäumen eine Hütte stand. Doch das
waren die Strukturen der Bäume die - übereinander gefallen - diesen Eindruck
erweckten.
Auch Jürgen sah sich lachend um und meinte: „Wir wollten Wildnis. Jetzt haben wir
Wildnis.“
Wir orientierten uns am Sonnenstand und der Uhrzeit und beschlossen,
zurückzugehen. Wenn wir den Weg auf den Berg nicht finden, war es sinnlos
weiterzugehen. Durch dieses fast undurchdringliche Dickicht würde es Tage
dauern, bis wir vielleicht mal am Ziel ankamen. Es war auch zu gefährlich.
Wir mussten bis zum Einbruch der Dunkelheit auf jeden Fall zurück sein. Und so
machten wir uns auf den Heimweg. Der war genauso mühselig. Über umgestürzte
Bäume durch Dickicht und dichtes Unterholz quälten wir uns Richtung Westen.
Und ich nahm das ganze Geschehen auf Video auf und fluchte leise, weil ich
dauernd stolperte und einmal fast auf meine Kamera gefallen wäre.
Nach ein paar Stunden hatten wir es geschafft und erkannten an der Umgebung,
dass wir Zuhause waren
Wir erkannten, dass es gar nicht so einfach war, sich in der Wildnis
zurechtzufinden. Man kann in der Nähe einer Siedlung sein und sich trotzdem nach
ein paar hundert Metern verlaufen. Doch da wir in Navigation keine Anfänger
waren, ging alles gut.
Ich kann Neulingen nur raten, sich nicht allzu weit von bewohnten Gebieten zu
entfernen. Ohne einen ortskundigen Führer ist man schnell auf dem falschen Weg.
Sogar wenn man sich aus einer Stadt oder einem kleinen Ort entfernt, kann es
passieren, dass man plötzlich mitten in der Wildnis steht und sich verirrt hat. So
nahe liegen Zivilisation und Wildnis in Kanada beisammen.
Als Manfred erfuhr, was wir erlebt hatten, musste er herzlich lachen. Er erklärte uns
nochmal ganz genau den Weg und ein paar Tage später fanden wir auch ohne
Mühe das angegebene Ziel.
Oben auf dem Berg angekommen staunten wir über einen riesigen Kahlschlag.
In Kanada ist es leider so, dass immer noch große Teile der ursprünglichen Wildnis
abgeholzt werden. Gerade in British Columbia ist die Holzwirtschaft stark vertreten.
Es wird zwar wieder aufgeforstet, doch der Baumbestand braucht lange, um seine
ehemalige Größe wieder zu erreichen.
Aus der Luft sehen die Kahlschläge aus, wie große braune Inseln in der sonst
grünen Vegetation.
Ich zog mein Fernglas aus der Tasche und suchte die Umgebung ab. Doch weit
und breit war kein Elch zu sehen.
Nur einige Adler kreisten über unseren Köpfen. Leider zu hoch zum Filmen.
Ich entdeckte eine verfallene Blockhütte am Waldesrand, und wie ich nun mal bin,
musste ich sie untersuchen. Doch außer ein paar leerer Flaschen, alten Stiefeln
und einem rostigen Ofen war nichts zu finden.
Es war wohl schon eine Weile her, dass Holzfäller hier schufteten. Das bemerkte
man auch an dem ersten zarten Grün, das sich zwischen den Wurzeln und dem
Totholz breitmachte. Auch einige kleine Sträucher, Farne und Wildblumen wuchsen
schon wieder und in ein paar Jahren wird der Waldboden wieder von jungen
Bäumen in Besitz genommen sein.
Die gerodete Fläche hatte bestimmt einen Durchmesser von zwei Kilometern.
Wir durchliefen das Gebiet, in der Hoffnung, vielleicht doch noch Elchen zu
begegnen. Doch leider ließ sich keins der Tiere blicken. Also machten wir uns
wieder auf den Heimweg.
Nachmittags wollten wir uns dann von der Wanderung erholen und zu dem kleinen
See in der Nähe fahren.
Manfred hatte dort sein Boot liegen und vielleicht fingen wir ja auch einen Fisch für
das Abendbrot.
Das Wetter war herrlich. Blauer Himmel mit ein paar weißen Wolkenfetzen und eine
Sonne, die uns bis spät am Nachmittag begleitete.
Hier am See wohnen einige Leute. Man sah die weit verstreuten Hütten durch die
Bäume und hörte Lachen und Gesprächsfetzen. Es sind einige Aussteiger dabei,
die das Leben in der Stadt und die Zivilisation satt hatten.
Doch auf dem See waren wir zu der Zeit die Einzigen.
Ich setzte mich nach hinten, nahm das Ruder und steuerte das Motorboot, während
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