glauben, was jetzt gerade geschah.
Wenig später kam Bernd wieder aus dem Polizeigebäude und meinte, es gäbe da
eine Autovermietung. Er wolle sich einen Wagen mieten und nach Edmonton, der
Hauptstadt Albertas fahren. Die Polizei hatte mit der deutschen Botschaft
gesprochen und die ermöglichte ihm einen Heimflug. Eilig mietete er den
Leihwagen und nahm nur das Nötigste aus unserem Fahrzeug heraus. Er
entschuldigte sich noch tausendmal bei uns, dass er uns wegen seiner Probleme
den Urlaub nicht versauen wollte und überhaupt, und so weiter, und so fort ...
Dann ein kurzes Händeschütteln, ein letztes Schulterklopfen und in einer
Staubwolke entschwand er unseren erstaunten Blicken. Es war wie eine Flucht.
Tja - drei Tage Kanada Urlaub, das hat schon was!
Auf unserem weiteren Weg dachten wir schweigsam über diese Ereignisse nach.
Wir waren total überrascht von Bernds Entscheidung. Meine Gefühle jedenfalls
waren völlig durcheinander.
Vielleicht war es auch besser so. Das, was wir noch vorhatten, hätte er auf keinen
Fall durchgestanden. Ich muss dazu auch sagen, dass solche Abenteuer nicht für
jeden etwas sind. Ein fernes, fremdes Land, die Einsamkeit und Wildnis, die einen
erwarten. Man muss schon eine gewisse Abenteuerlust mitbringen. Und auch zu
einschätzbaren Risiken bereit sein.
Und Jürgen und ich waren zu dem Zeitpunkt eingefleischte Junggesellen. Was es
uns doch sehr erleichterte, in der Welt herumzureisen. Wir brauchten auf keinen
Rücksicht zu nehmen und waren frei und ungebunden.
So leid es uns auch tat. Aber Theorie und Praxis sind zwei verschiedene Dinge.
Und Bernd war nun mal kein Mensch, der es in der Einsamkeit lange aushielt.
Ohne Dusche. Ohne fließendes Wasser. Ohne Strom und ohne Telefon.
Doch wir mussten darüber hinwegkommen, denn auf uns beide wartete das
Abenteuer. Für uns jedenfalls ging es weiter in Richtung British Columbia. Immer
entlang auf dem Highway 24 in Richtung Clearwater. Vorbei an eindrucksvollen
Landschaften, die uns immer wieder ein Aahhh und Wowww entlockten. Tief
beeindruckt dachten wir über Bernds Verschwinden nicht länger nach.
Schon bald verließen wir die Rocky Mountains und kamen in das Gebiet des Wells
Gray Provinzial Park.
Hier in Clearwater mieteten wir uns eine kleine Cabin. Ein typisch kanadisches
Blockhaus, das man mit zwei, vier oder auch sechs Personen bewohnen konnte.
Es war gemütlich, aber einfach ausgestattet. Zwei Etagenbetten, eine Dusche und
Kochgelegenheit reichten uns vollkommen aus, um zwei Nächte hier zu verbringen.
Denn wir wollten den nächsten Tag in den Wells Gray Park, um einen der
schönsten Wasserfälle zu besuchen. Den Helmcken Fall.
Er ist ein Wasserfall des Murtle River im Wells Gray Provincial Park. Kurz bevor der
Fluss in den Clearwater River mündet, fällt er vom Murtle Plateau 141 Meter in die
Tiefe. Somit ist dieser Wasserfall im südöstlichen British Columbia der vierthöchste
in Kanada.
Unterwegs begegnen uns auch die ersten Tiere. Es waren Wapitis, eine Hirschart,
ähnlich unserem Rotwild. Friedlich grasten sie am Straßenrand und ließen sich von
den vielen Neugierigen nicht stören. Es waren prächtige Tiere, nur um einiges
größer als unsere heimische Tierart.
Wir zählten bei dem Bullen 14 Enden. Was für ein gewaltiges Geweih. Nur noch die
Elche besaßen mächtigere Schaufeln.
Doch wir mussten weiter, wollten wir gegen Abend endlich in Clearwater sein.
Die Nuit Mountains Guestranch
Die Nuit Mountain Guestranch unserer Freunde Brigitte und Manfred liegt inmitten
der Wildnis nahe der Coast Mountains in British Columbias Westen.
Etwa 23 Kilometer südlich von Tatla Lake auf der Route von Williams Lake nach
Bella Coola an der Pazifik Küste. Die Guestranch hat zwei Cabins. Eine für zwei
Personen und die andere für vier Personen. Von hier aus hat man einen
fantastischen Blick auf die Nuit Mountains im Westen. Das Panorama ist wirklich
traumhaft.
Unsere Freunde waren schon oft in Kanada umher gereist und genossen dort ihre
Urlaube. Und später entschlossen sie, sogar dorthin auszuwandern.
In 1993 fingen sie an, ihre Gastranch aufzubauen. Am Anfang wohnten sie noch in
einer Cabin. Einem kleinen Blockhaus, das sie später an Gäste vermieten wollten.
Zwei dieser Blockhäuser wurden als Erstes fertiggestellt.
Manfred arbeitete derweil am großen Wohnhaus. Die Möbel und das ganze
Inventar, das man aus Deutschland mitbrachte, waren erst einmal in einem großen
Zelt untergebracht.
Die Blockhäuser und das große Wohnhaus sind ganz nach deutschem Standard
eingerichtet. Das Wohnhaus hat sogar ein Basement, also eine Unterkellerung, was
nicht grade üblich ist in Kanada.
Alles in allem bieten die Blockhäuser einen guten Komfort, mit Dusche, warmen
und kalten Wasser, der den Urlaubern Erholung und Entspannung bietet.
Das einmal vorne weg.
Wir aber waren erst mal auf dem Wege dorthin.
Wir befanden uns noch in Clearwater und genossen die Nacht in einem bequemen
Bett. Durch das kleine Fenster schien die Morgensonne und ich wurde geweckt
vom Geräusch der Dusche.
Mein Freund Jürgen war - wie fast immer - schon auf gestanden und machte sich
frisch. Nach der langen Fahrt von Jasper hier her hatten wir beide auch eine
Dusche nötig.
Schlaftrunken wand ich mich aus meiner Decke und sah auf meine Uhr. Wow, erst
halb sieben. Na ja, ich kannte das ja schon von unseren anderen gemeinsamen
Touren. Immer wenn wir unterwegs waren zum Camping oder zu einer Kanu-Tour,
schliefen wir nie lange. Außer wir saßen abends noch am Lagerfeuer und die Nacht
wurde etwas zu lang. Bei Bier und geistigen Wässerchen konnte das schon mal
vorkommen. Doch gestern hatten wir keine Lust mehr, herumzulaufen und noch
irgendwo einen Schlummertrunk zu nehmen. Und auf dem Campingplatz, in der
Nähe der Stadt, gab es keinen Alkohol.
Das ist in Kanada anders als bei uns in Deutschland. Wo man an jedem Kiosk oder
einer Tankstelle Bier, Schnaps und Wein kaufen kann. Hier darf nur derjenige
Alkohol verkaufen, der eine staatliche Lizenz dazu hat. Und die bekommt nicht
jeder. Und Liquor Store, also Spirituosen-Läden gibt’s nicht an jeder Ecke.
Zum Thema Alkohol in Kanada muss ich noch was Grundsätzliches dazu sagen:
Nach langläufiger Meinung - nicht nur der Meinung der Gesetzgeber - übersteigen
die potentiellen Gefahren des Alkohols die einer Waffe oder die eines Automobils
um mehrere Größenordnungen. Deshalb ist der Erwerb und Genuss in manchen
Provinzen auch erst gereiften Persönlichkeiten über 21 Jahren gestattet. In dem
Alter kann man in Europa schon eine legale Säuferkarriere hinter sich haben.
Es muss wohl auch strenge Strafen geben, wenn sich ein Verkäufer nicht an diese
Regeln hält. Er kann seine Lizenz verlieren und hat dadurch seine Existenz aufs
Spiel gesetzt. Vielleicht wäre das mal ein Denkanstoß für unsere Politik, um den
Komasaufen in unserem Land Einhalt zu gebieten.
Auch darf man in Kanada nicht in der Öffentlichkeit Alkohol trinken. Also sich´s auf
einer Bank im Park bequem machen und sich zuschütten, ist nicht.
Auch gibt’s in manchen Provinzen Kanadas am Wochenende überhaupt nichts
Alkoholisches zu kaufen.
Und so mussten wir auf unseren Reisen durch das Land immer rechtzeitig an
unsere Verpflegung denken, wenn wir zum Beispiel auf eine Kanu-Tour gingen.
Aber das sei nur am Rande erwähnt.
Froh gelaunt kam Jürgen aus der Dusche, sah mein verschlafenes Gesicht und
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