Die Ritter schauten sich prüfend in der Gaststube um. Guntrol sah sich von scharfen Blicken gemustert. Der erste Ritter begab sich sogleich zum Hinterausgang, der andere warf einen Blick in die Küche und der dritte stieg die Treppe zum Obergeschoß hinauf. Hemmo, der Wirt war ganz aufgeregt. Er lief hin und her, brachte Lampen, trug Weinkelche herbei, wischte Tisch und Stühle ab. Dabei gab er unablässig Anweisungen an seine Frau und die Magd.
»Bitte sehr, Edle Herrschaften! Nehmt Platz.« Ich will Euch gleich einschenken. Meine Frau wird Euch etwas zu essen bringen. Leider sind wir auf so hohe Gäste nicht eingerichtet, und noch dazu zu solch später Stunde. Aber eine gute heiße Suppe und Schinken und Käse sollt Ihr haben. Oder möchtet Ihr lieber einen Eierkuchen?«
»Bemüht Euch nicht weiter, Herr Wirt!« sagte der Herold. Er hatte eine leise Stimme, doch seine Aussprache war klar und präzise. »Wir brauchen nur ein Lager für die Nacht und ein einfaches Mahl. Morgen werden wir in aller Frühe weiter reisen.«
Die drei Ritter kehrten fast gleichzeitig von ihrer Inspektion zurück. »Alles in Ordnung«, sagte der Anführer leise. »Wie viele Personen gehören zu Eurer Wirtschaft?« fragte er den Wirt. Dieser machte ein leicht verlegenes Gesicht und antwortete: »Wir haben nicht viele Gäste hier. Zur Zeit sind meine Frau und ich allein, außerdem haben wir noch die Magd und einen Knecht, der den Stall versorgt und die grobe Arbeit verrichtet. Wir haben auch einen Sohn, aber der ist mit unserem Vieh auf den Markt in die Stadt gefahren. Wir erwarten ihn erst in ein oder zwei Tagen zurück.«
»Das ist gut so. Schlafen der Knecht und die Magd auch hier im Haus?«
»Ja, sie haben ihre Kammern ganz oben unter dem Dach.«
»Gut. Heute Nacht soll keiner das Haus verlassen. Und niemand soll etwas von unserer Anwesenheit hier erfahren. Wir sind im Auftrag der Regierung unterwegs. Habt ihr verstanden?« Der Wirt nickte ehrfürchtig. Der Ritter setzte sich auf einen Schemel und sah zu Guntrol herüber. »Wer ist das?«
»Nur ein reisender Handwerksgeselle.« Die Wirtin, die gerade die Treppe herunter kam, unterbrach ihn: »Was soll ich machen? Wir haben doch nur drei Kammern. Und in der dritten schläft bereits der junge Mann.« Der Wirt machte ein säuerliches Gesicht und kratzte sich am Kopf. »Ei, was machen wir da?«
»Das ist kein Problem. Es macht mir nichts aus, das Zimmer mit dem Burschen zu teilen«, sagte der Schamane, der bislang schweigend neben der Tür im Schatten gestanden war. Guntrol konnte sein Gesicht nicht erkennen, da er den Kopf zur Seite gewandt hielt und das Gesicht obendrein durch die Kapuze des Mantels verhüllt wurde. Unter dem offenen Mantel trug der Mann ein langes blaues Gewand und darüber eine gelbe Weste, die mit allerlei magischen Symbolen und Schriftzeichen bestickt war. Außer dem Stab trug er einen Beutel und eine Reisetasche an einem ledernen Schulterriemen. Ein kleines Ledersäckchen, ähnlich einem Geldbeutel, hing an seinem Gürtel, ebenso wie ein kleines Messer mit Hirschhorngriff in einer Lederscheide.
Irgendwie kam ihm der Mann bekannt vor, was eigentlich nicht sein konnte. Vielleicht war es seine Stimme, die ihn unbewußt an jemanden aus seiner Heimat erinnerte. Doch im Augenblick konnte er sie keiner ihm bekannten Person zuordnen.
Der Wirt warf stumm einen fragenden Blick auf Guntrol. Dieser nickte und sagte: »Mir soll es recht sein. Mit einem Heiligen Mann im Zimmer und königlichen Rittern unter einem Dach fühle ich mich sicher und geborgen, wie sonst nicht.«
Der erste Ritter – er war ein wenig älter als die anderen beiden und schien der Anführer der Truppe zu sein – trat zu dem Schamanen und sprach ihm flüsternd einige Worte ins Ohr. Der andere nickte schweigend.
»Nun, Ihr seid bestimmt müde von eurer Reise und wollt Euch zur Ruhe begeben«, sagte der erste Ritter; und das war nicht als Frage ausgesprochen. Guntrol nickte stumm. Was hätte er auch einem Ritter des Königs entgegnen sollen? Er nahm seine Sachen und ging zur Treppe. Bevor er die Schankstube verließ, verbeugte er sich ehrerbietig vor dem Herold.
In der kleinen Schlafkammer, die ganz am Ende des Ganges lag, brannte bereits eine kleine Öllampe. Sie stand auf einem niedrigen Tisch vor dem Fenster und tauchte den Raum in ein mildes gelbliches Licht. Außer dem kleinen Tisch befanden sich zwei einfache schmale Betten, nebst Nachtkästlein, sowie zwei schlichte Stühle mit gerader Rückenlehne als einzige Möblierung in dem Raum. Die Betten waren frisch bezogen und aufgedeckt. Sie sahen sauber und einladend aus.
Guntrol setzte sich auf das Bett, das in der Nähe des Fensters stand. Es war angenehm weich, viel weicher, als er es erwartet hatte und es für einen billigen Dorfgasthof wie diesen üblich war. Er schnürte seinen Rucksack auf und holte sein Waschzeug hervor. Von dem versprochenen warmen Wasser war nichts zu sehen. Wahrscheinlich hatte die Wirtin es in dem Trubel vergessen. So würde er sich eben im Hof mit kaltem Wasser aus der Quelle waschen müssen. Doch das war er gewöhnt.
Die Sonne war inzwischen ganz untergegangen, aber es war noch nicht ganz dunkel geworden; noch glühte ein blasser Schimmer am Himmel. Guntrol nahm die schmale Holzstiege, die am Ende des Ganges hinunter führte. Sie endete in einem kleinen Gang zwischen Küche und Gaststube. Gegenüber der Küche lag die Wohnstube der Wirtsleute, daneben befand sich die Hintertür zum Hof. Die Tür zur Gaststube war nur angelehnt. Durch den Spalt fiel ein Streifen Licht auf den Gang. Guntrol blieb einen Augenblick davor stehen. Er vernahm einige gedämpfte Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was drinnen gesprochen wurde. Das leise Klappern von Besteck und Geschirr verriet ihm jedoch, daß die Herrschaften gerade ihr Abendbrot einnahmen.
Auf einmal wurde unversehens die Küchentür aufgestoßen. Guntrol sprang erschrocken zur Seite. Beinahe wäre die Wirtin in ihn hinein gelaufen. Sie trug ein großes Tablett, auf dem dicke Scheiben von saftigem Schinken, Speck und verschiedenen Sorten Käse angerichtet waren. »Wah! Ihr habt mich vielleicht erschreckt!« rief sie.
»Entschuldigt, ich wollte mich gerade auf dem Hof waschen gehen.«
»Ach so. Ich habe auf dem Herd einen großen Kessel mit kochendem Wasser stehen. Ihr könnt Euch gerne davon nehmen, wenn es Euch nichts ausmacht, Euch selbst zu behelfen. Aber ich habe gerade mit den Herrschaften zu tun.«
»Kümmert Euch nicht um mich. Ich komme schon zurecht«, meinte Guntrol. Er nahm sich einen Eimer und betrat die Küche. Auf einem großen gußeisernen Herd, größer als er je einen gesehen hatte – was nichts heißen mochte, denn in viele Küchen hatte er zuvor nicht hinein geschaut – stand ein großer Topf. Guntrol schöpfte etwas von dem brodelnden Wasser in seinen Eimer. Dann ging er hinaus auf den Hof, wo er Brunnenwasser hinzu fügte, bis sich eine angenehme Temperatur einstellte. Mit dem warmen Wasser wusch er sich und putzte die Zähne.
Während er sich abtrocknete, durchzuckte ihn auf einmal ein Gedanke. »Lagrange!« sagte er halblaut zu sich.
»Du hast mich also erkannt«, sagte eine Stimme hinter ihm. Erschrocken fuhr er herum. In der Tür stand der Schamane, der kein anderer war, als Lagrange, Guntrols Freund und Spielgefährte aus Kindertagen.
»Mensch, dich hätte ich wirklich nicht erkannt. Schon gar nicht in dieser Verkleidung«, rief Guntrol.
»Das ist keine Verkleidung«, erwiderte Lagrange sanft.
»Du… du bist also wirklich ein Zauberer geworden?« Guntrol runzelte die Stirn. »Erinnerst du dich noch, wie wir damals gewerweißt haben, ob du vielleicht ein Lehrer oder ein Magier werden würdest?«
»Ja, das ist so lange her. Und du wolltest entweder ein Ritter oder ein Seefahrer werden. Und wie ich sehe, bist du keines von beiden, sondern ein biederer, ehrlicher Zimmermann geworden. »Komm, laß uns reingehen und zusammen etwas trinken. Wir haben so viel zu bereden«, schlug Guntrol vor. Lagrange aber schüttelte den Kopf. »Nein, gehen wir lieber hinauf. Da sind wir ungestört.«
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