Schon kurz drauf sah ich Carola, freudestrahlend über alle vier Backen grinsend, mit ihrer Tochter in meine Richtung laufen. Man sah ihr an, dass sie mich vermisst hat, auch wenn sie selbst noch am Mittwoch gelästert hatte, dass wir uns doch schon in zwei Tagen wieder sehen würden. Die Begrüßung war stürmisch. – Wow, es ging also doch. Carolas Tochter verdrehte die Augen, als Carola und ich uns gegenseitig die Zunge in den Mund steckten. Ich nahm meinen Rucksack, den ich vor dem Telefongespräch abgesetzt hatte, und wir bummelten Hand in Hand zu ihrem Wagen.
Bei ihr zu Hause stellte Carola mich ihrer Mitbewohnerin und Partnerin, der im Werden befindlichen Praxis, Britta vor. Wir verbrachten einen gemütlichen Küchen-Rotwein-Abend, der aber nicht bis in die Puppen ging, da am nächsten Tag noch in der Praxis gearbeitet werden musste.
Carola wollte mir unbedingt, voller Stolz die Praxis zeigen, die ich na klar auch sehen wollte. Außerdem musste an Nachmittag noch für das Wochenende eingekauft werden. Die Wände der Praxis waren bereits frisch tapeziert und angemalt. Jetzt hieß es, die Räume ihrer Bestimmung entsprechend einzurichten.
Auch wenn ich das alles ganz toll fand, irritierte mich Carolas Verhalten. Sie war völlig anders als in Lübeck, oder wie sie es auch noch gestern, bei der Begrüßung im Bahnhof gewesen war. In Lübeck war sie nicht nur für jede Zärtlichkeit, die ich ihr gegenüber zeigte, zu haben gewesen. Sie selbst hatte oft von sich aus, auch in kleinen Gesten, Zärtlichkeit gezeigt und gesucht. Wollte meine Hand halten, streichelte mit geschlossenen Augen, nur um ihn zu spüren, meinen Kopf, gab Küsschen. Oft kleine „zufällige“ Berührungen, wollte oft in den Arm genommen werden. Hier in der Praxis, wie auch bereits in ihrer Wohnung war sie sehr zurückhaltend. Ich hatte das gleich gespürt, als wir gestern in der Wohnung eingetroffen waren. Am Bahnhof und auf der Fahrt zur Wohnung war Carola richtig aufgekratzt gewesen. Sobald wir in der Wohnung angekommen waren, wurde sie zurückhaltend, ja richtig distanziert. Wobei auch schon in Lübeck Carola immer so distanziert gewesen war, wenn Bekannte von ihr sich in Sichtweite aufhielten. Als ob Carola sich scheute, vor ihnen ihre Gefühle mir gegenüber zu zeigen, sie sich ihrer Gefühle schämte.
Am Abend gab es wieder einen gemütlichen Küchenabend mit Rotwein. Zum Ausgehen hatte niemand Geld über, und wir wollten außerdem auch früh ins Bett. Am nächsten Tag feierte Britta Geburtstag, da musste noch einiges vorbereitet werden, und wer weiß, wie lange die Feier dann dauern würde. Etwas vorschlafen war da gar nicht so falsch.
Den Samstagvormittag verbrachten wir hauptsächlich damit Brittas Geburtstagsfeier vorzubereiten, bis dann am Nachmittag die ersten Gäste kamen. Das erste Paar war, wie ich erfuhr, auch erst relativ kurz zusammen. Sie war von Britta und Carola eine nähere Freundin, die die beiden in den letzten Monaten hier gefunden haben, er war sozusagen, wie ich, ein Anhängsel, der, außer seiner eigenen Freundin, niemand kannte. Sobald die beiden eingetroffen waren, wurde Carola mir gegenüber noch zurückhaltender, als sie es sowieso schon gewesen war. Jetzt verhielt sie sich mir gegenüber, als ob ich nur ein entfernter Bekannter von ihr wäre, den sie, da ich nun einmal zufällig in der Nähe gewesen war, einfach mal so kurz, weil die Kaffeemaschine sowieso gerade lief, auf einen Kaffee eingeladen hat. Da hatte es der neu Angekommene besser. Auch wenn die drei Frauen miteinander quatschten, bekam er seine regelmäßigen Streicheleinheiten und leicht angedeutete Zuneigung von seiner neuen Freundin, während Carola mich kaum beachtete, ja meine Anwesenheit fast schon ignorierte.
Zum späten Nachmittag füllte sich dann die Wohnung mit noch mehr Freunden von Carola und Petra. Auch wenn es ein gemütlicher Abend wurde, fühlte ich mich ausgeschlossen. Wenn man einmal davon absah, dass zwei Leute Gitarre spielten und die Leute, zumindest die, die die Lieder kannten, dazu sangen, war es eine reine Klickenfeier. Es war keine große Gruppe, in der jeder jeden kannte, sondern es waren einzelne Klicken, jeweils mit zwei bis vier Leuten, die sich untereinander kannten und sich entsprechend unterhielten. Im Stillen beneidete ich den jungen Mann, der mit seiner Freundin als Erstes hier als Gast erschienen war. Er kannte, wie ich auch, niemanden, hatte aber das Glück, dass sich seine Freundin, selbst wenn sie sich mit anderen unterhielt, ihn mit einbezog und zärtliche Gesten ihm gegenüber zeigte, so wie man es bei frisch verliebten oft sah. Ich dagegen fühlte mich nicht von der Gruppe, auch ich quatschte mit einigen von denen, sondern von Carola ausgeschlossen. Sie beachtete mich fast den ganzen Abend gar nicht. Erst als die Gäste gegangen waren, taute sie wieder etwas auf. Allerdings längst nicht so, wie in Lübeck.
Es war schon komisch mit ihr. Immer wenn Bekannte und Freunde von ihr in Sichtweite waren, scheute sie sich Gefühle zu zeigen.
Nach der langen Feier schliefen wir am nächsten Morgen bis in die Puppen, bevor wir aus dem Bett krochen. Während Carola und ich alleine im Badezimmer waren, war Carola wieder so, wie ich sie mochte. Wir duschten gemeinsam seiften und brausten uns gegenseitig ab, trockneten uns ab, putzten nebeneinander vorm Spiegel die Zähne. Erst als wir wieder mit den anderen zusammen am Frühstückstisch saßen, war sie wieder richtig distanziert.
Es war Sonntag und die Sonne schien. Carola und ich ließen die anderen alleine in der Wohnung zurück, und machten uns auf zu einem Stadtbummel. Obwohl Carola schon fast ein Jahr in Hannover wohnte, hatte sie selbst bis jetzt kaum Gelegenheit gehabt, sich hier umzuschauen. Somit erkundigten wir beide gemeinsam ihre neue Heimatstadt, die auch bald meine werden sollte.
Das Rathaus, die Altstadt, den Fluss Leine, an dem man wunderbar spazieren gehen konnte, die Grünanlagen. Wir waren mit der Straßenbahn in die Innenstadt gefahren, und bummelten nach der Stadtbesichtigung gemütlich zu Fuß zurück zu ihrer Wohnung. Während dieses Stadtbummels war Carola wieder so, wie ich sie aus Lübeck kannte. Es war ein toller Tag mit ihr.
Wir kamen an einem Zirkuszelt, einer sehr berühmten Artistengruppe vorbei, der hier gastierte. Britta hatte zum Geburtstag zwei Karten für eine Vorstellung der Gruppe geschenkt bekommen, und wollte mit Carola in den nächsten Tagen in die Show gehen. Ein Plakat hing am Zaun, mit schönen muskulösen Männern, in eng anliegenden Artistenkostümen, die an verschiedenen Geräten durch die Luft flogen.
„Es gibt zwei Arten von Männern“, kam es auf einmal von Carola, als wir uns das Plakat anschauten. „Welche zum Anschauen und welche zum Heiraten.“
Dabei grinste sie mich an, gab mir einen Kuss, und ging mit mir Hand in Hand weiter. Ich schaute sie auch grinsend an, und schwenkte voller Übermut ihren Arm.
Das Leben kann wirklich toll sein.
Kaum aber waren wir wieder in Carolas Wohnung, war sie so zurückhaltend, wie am Tag zuvor. Am folgenden Tag fuhren wir alle wieder in ihre Praxis, um diese weiter einzurichten. Carola und Britta mussten so schnell wie möglich mit der Einrichtung fertig werden. Sie mussten endlich Geld verdienen. Das ersparte und geliehene Geld zerrann zwischen ihren Fingern. Ich fand es toll, auch wenn Carola wieder sehr zurückhaltend war, mit ihr zusammen zu sein, und kümmerte mich unter anderem um die Telefonanlage, die sich lange weigerte so zu funktionieren, wie sie es laut Beschreibung tun sollte.
Als ich, weil etwas nicht funktionierte, leise zu mir selbst fluchte, reagierte Carola richtig aggressiv. „Wenn du das nicht machen willst, lass es doch sein“, kam es von ihr sauer.
„Was ist denn mit dir los“, lachte ich sie an und auch leicht schelmisch aus „Fluchst du nicht vor dich hin, wenn etwas nicht so funktioniert, wie du es willst? Wieso hast du denn schlechte Laune?“
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