Arnolds »Schachlehrer« Onkel Fritz bei seinem Lieblingsspiel.
Detmold, Donnerstag, den 25.12.1941
Liebe Eltern und Geschwister!
Nun habe ich zum ersten Mal Weihnachten fern von daheim erlebt und gefeiert. Und ich will ehrlich sagen, wenn ich an daheim denke, will mir das Heimwehgefühl aufkommen. Im Geiste sah ich Jürgen vorm Tannenbaum stehen und die Lichterpracht anstaunen, und wie er seine Eisenbahn fest in den Händen hält. Am Abend wart Ihr alle in der gemütlich eingerichteten Wohnstube bei einem Glas Wein versammelt, Fritz war doch sicher auch dabei. Doch ich muss sagen, Weihnachten im Kameradenkreise feiern ist fast ebenso schön wie daheim. Gestern Abend saßen wir auch gemütlich in unserer Stube, in der Mitte der Tische stand ein auf Solddatenart organisierter Tannenbaum, und als Getränk hatten wir – Nahewein. Gelt, da staunt Ihr, für jeden standen zwei Flaschen zur Verfügung – eine habe ich für Neujahr aufgehoben. (Allerdings ist schon wieder Wein nach hier unterwegs). Und dann hatte jeder etwas spendiert. Sei es Gebäck, Kuchen, Äpfel usw. Und so konnte für jeden ein schöner Teller zurechtgemacht werden. Also ich kann Euch sagen, fast wie daheim. Natürlich saß auch in unserer Mitte unser Gruppenführer, ein Unteroffizier. Einen besseren Vorgesetzten könnten wir uns nicht wünschen. Eben kam mit der Post ein Schifferklavier an und nun schreibe ich meinen Brief mit Musikbegleitung weiter. So wird uns Soldaten in unserem Dienst viel Abwechslung geboten. So waren wir vorgestern im Kino. Es lief der Film »Männerwirtschaft« und die Wochenschau und morgen am zweiten Feiertag sehen wir den Film »Carl Peters«. Meinen Brief musste ich heute Mittag unterbrechen, denn wir wurden zum ersten Mal gemeinsam ausgeführt. Allen Kameraden konnte man die Freude darüber im Gesicht ablesen. Denn das ist doch klar, nach vierundzwanzig Tagen Kasernendienst, ist so ein Spaziergang eine schöne Abwechslung und Erholung. Unser Marschziel lautete: »Hermannsdenkmal«. Vorher besichtigten wir noch die schöne Stadt Detmold und dann begann der mühsame Aufstieg zum Denkmal. Wir mussten uns ja beeilen, denn unsere Zeit war knapp bemessen. Unterwegs begann es auf einmal furchtbar an zu schneien und die Wolken hatten das Denkmal ganz verhüllt. Na, das kann ja gut werden da oben, dachten wir, denn wir wollten doch mal die ganze Umgebung ansehen. Doch oben angekommen, war das Wetter plötzlich wie umgewandelt und wir hatten vom Denkmal aus, die schönste Aussicht, die man sich nur denken kann. Zur weiteren Verschönerung des Tages tranken wir noch in dem auf dem Berg stehenden Lokal ordentlich Kaffee und zum Kaffee wird natürlich Kuchen gegessen. Doch zu schnell vergehen diese schönen Stunden und im Sturmschritt ging es wieder der Kaserne zu.
Liebe Eltern, wie ich ja kurz in den paar Zeilen erwähnt hatte, ist Euer Paket rechtzeitig angekommen, und da ich Euch ja aus Dankbarkeit nichts schenken oder sonst was für Euch tun kann, so schreibe ich, als kleine Gegenleistung so oft ich kann. Ihr freut Euch doch ganz bestimmt, wenn von mir Post kommt, und die Freude möchte ich Euch so oft wie möglich geben – leider war das Geleeglas total zerbrochen und somit der Gelee ungenießbar. Nun zum Schluss noch etwas vom Dienst. Allmählich beginnt man schon einen Erfolg unserer Ausbildung zu spüren, denn jetzt können wir doch einigermaßen gehen und strammstehen. Doch unsere Gang- oder Laufart ist unseren Ausbildern noch viel zu langsam. Die langsamste Gangart in der Kurve beim Militär ist folgende: »Das Ohrläppchen berührt den Boden, das Seitengewehr steht waagerecht und die Socken fangen an zu qualmen«.
Also wenn unsere Ausbildung vorbei ist, sind wir alle erstklassige 100-Meter-Läufer. Wir Sportler wollen ja sowieso den Dienst mit unserem Wintertraining vergleichen, ein besseres Training könnten wir uns ohnehin nicht wünschen. Doch nun komme ich zum Schluss, denn jetzt musizieren wir noch etwas auf der Stube.
Viele Grüße sendet Euch, liebe Eltern und Geschwister, lieber Ewald und Onkel Fritz
Euer Arnold
Detmold, Sonntag, den 28.12.1941
Liebe Eltern und Geschwister!
Ihr seid nun wohl bestimmt erstaunt, schon wieder einen Brief von mir zu erhalten. Ich hätte ja früher nie geglaubt, dass ich so oft schreiben würde. Aber Ihr wisst gar nicht, wie gerne ich diese Pflicht erfülle. Denn als das kann ich es ruhig bezeichnen und ich weiß auch, dass Ihr Euch auf jeden meiner Briefe freut.
Wie ich Heiligabend und ersten Feiertag verbracht und erlebt habe, schilderte ich bereits und will nun meine Schilderung fortsetzen. Am zweiten Feiertag war zu unserer gemeinsamen Freude, wieder geschlossen Ausgang. Der Tag war winterlich klar und so recht geschaffen zu einem ausgedehnten Marsch in die weitere Umgebung Detmolds. Nachdem wir uns hungrig und durstig gelaufen hatten, kehrten wir in ein im Wald versteckt liegendes Café ein und tranken dort erst mal ordentlich Kaffee – Kuchen war natürlich auch wieder dabei. Doch zu Hause angekommen, wartete wieder ein neues Vergnügen auf uns. Wir sahen den Film »Carl Peters«. Am Abend zuvor sahen wir den Film »Das Verlegenheitskind« und gestern »Auf Wiedersehen Franziska«. Doch diese Kette reißt nicht ab, denn heute gehts wieder ins Kino zum Film »Links der Isar, rechts der Spree«. Also, Ihr seht, was uns hier für eine Abwechslung geboten wird. Fünfmal in der Woche ins Kino und wahrscheinlich sehen wir diese Woche noch mehr Filme. So oft hatte ich daheim nicht das Vergnügen – höchstens alle zwei Monate einmal. Ich glaube, dass diese schönen Abwechslungen in unserem harten Dienst ihren Zweck erfüllen und etwaige auftauchende trübe Gedanken verscheuchen helfen. Die Zeit geht ja wie im Fluge dahin, nun ist schon bald ein Drittel unserer Ausbildungszeit herum, noch zwei Mal dieselbe Zeit und wir werden wieder auseinandergerissen. Der eine kommt auf eine Flugzeugführerschule, der andere wird Bombenschütze usw. Wir Kameraden müssen uns wieder trennen, um uns vielleicht nicht mehr wiederzusehen. Doch an ihre Stelle treten wieder andere und die Kameradschaft wird genau dieselbe werden, wie sie in unserer ersten Soldatenzeit war.
Mir kommt es manchmal vor, als wäre ich zeitlebens Soldat gewesen und nie Zivilist. Das kommt mir öfters wie ein Traum vor, doch der Gedanke an die Heimat, bleibt immer wach. Bis dahin wird wohl noch eine schöne Zeit vergehen und wenn ich dann mal nach Hause komme, werdet Ihr einen anderen Sohn vor Euch haben, der die Menschen kennengelernt, der eine harte aber lehrreiche Schule hinter sich und viel erlebt hat. Am 2. Weihnachtstag begann bei uns der Winter, auf den wir uns alle gefreut hatten. Denn die ganze Zeit hatte es unaufhörlich geregnet, und es war nicht gerade ein Vergnügen durch den Schlamm gezogen zu werden. Jetzt, da es tüchtig geschneit und gefroren hat, fällt nun das flach, doch dafür geht‘s jetzt rein in den Schnee, sodass wir von einem echten Schneemann kaum zu unterscheiden sind. Man glaubt kaum, auf welche Ideen die Ausbilder kommen, um uns so richtig durch den Schnee zu ziehen. Doch das macht jedem Spaß und jeder fasst es von der heiteren Seite auf. Nur werden die Hände verflucht kalt, besonders wenn mit Gewehr exerziert wird. Also, die Vorteile des Winters werden durch die Nachteile ausgeglichen. Hat bei Euch der Winter auch angefangen und ist dort so klares Wetter mit Sonnenschein? Jetzt müsste ich daheim sein und dann ging es wieder hinaus in den Schnee, in die Natur, um die herrliche Winterpracht zu genießen. Eben gab es eine angenehme Unterbrechung, die Post ist da! Ich erhielt Eure Karte aus Monzingen und ein Weihnachtspäckchen von Tante Manda. Also hatte die Post mich reich beschert. Das konnte ich mir doch denken, dass Ihr über Weihnachten einen heben geht, aber gleich 3 Liter Nahewein? Ja, wenn ich da dabei gewesen wäre … Den Heimweg kann ich mir ja so gut vorstellen! Lieber Papa, darauf kannst Du Dich verlassen, dass wir beide zusammen eine 3-Liter-Flasche knacken werden auf meinen ersten Urlaub, ohne mit der Wimper zu zucken. Ganz so trocken sitzen wir hier auch nicht. Ich habe zum Beispiel zwei Flaschen Nahewein im Spind liegen, sodass ich doch etwas im Training bleibe.
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