„Haben Sie denn überhaupt keine Moral?“
„Wissen Sie was? Sagen Sie Ihrem Kameramann da, er soll das Ding in Gang setzen, und dann sage ich ganz laut und deutlich: Lecken Sie mich im Arsche. Korrekte Wiedergabe.“
*
Und am Abend knispelt der Regen noch immer an der Scheibe. Ihre Leiber so warm, und das Bett so eng.
„Sei mir nicht bös, aber ich hab’ drüben im Schrank noch eine Luftmatratze.“
„Wie könnte ich dir böse sein. Nein, aufpusten kann ich sie auch selbst. Ärgert mich eigentlich nur, dass ich auch für heute Nacht das Zimmer bezahlen muss.“
„Das schenke ich dir.“
„Du bist bekloppt.“
Christine Bellinger lacht schallend auf.
„Verteilst du immer solche Komplimente?“
Nun muss auch Peter Piechowiak lachen.
„Viel lieber würde ich sagen: Du bist die intelligenteste, schönste, liebste Frau, die ich je in meinem Leben getroffen habe.“
„Ja, aber auch die intelligenteste, schönste, liebste Frau, die du je in deinem Leben getroffen hast, muss morgen früh wieder aufstehen und zur Arbeit gehen. Also puste schön, bitte.“
Nun in der Dunkelheit: „Also, weißt du, Christine, dieses Gefangensein bei dir ist die größte Freiheit, die ich mir denken kann.“
„Mm.“
„Das hätte ich niemals erwartet, als ich damals aus Göttingen abfuhr. Man liest ja öfters, dass die Liebe wie ein Blitz einschlagen würde. Darüber habe ich immer gelacht. Und jetzt …“
„Mm.“
Muss er noch einmal aufstehen, aufs Klo gehen. Sieht er im Neonlicht draußen, wie der Regen ganz schräg auf die Straße fällt. Vom Wind gepeitscht. Hört er Christines gleichmäßige Atemzüge, sieht, sie schläft schon. Mund leicht geöffnet. Hände locker neben ihrem Haar, das auf dem Kissen verteilt. Setzt er sich ganz vorsichtig, nackt, auf die Bettkante, sieht Christine an. Weiß er noch so wenig über sie, und zugleich so viel. Zweiundzwanzig Jahre alt, drei Jahre jünger als er selbst. Hätten sie schon immer zusammengelebt.
Hört er von irgendwoher eine Glocke die elfte Stunde schlagen. Rauschen die Autos unten vorüber, als könnten sie nie und nimmermehr anhalten. Dabei ist die nächste Ampel nicht weit entfernt Und der Regen, der Regen flieht vor dem Sturm, wirft sich blindlings vor die Fensterscheibe. Und die Straßenlampen taumeln trunken, und Christine seufzt leise im Traum. Dreht sie sich auf die Seite, rutscht ihr der Träger ihres Nachthemds über die Schulter. Peter Piechowiak schiebt ihn vorsichtig zurück.
*
Alles das also im Café Die Kaiserin von Österreich. Ein neuer Rauchkringel.
Nun Peter Piechowiak geht, stellt der Herr Ober die Frage: „Sie wollen schon gehen?“ Hat er sich mehr als zwei Stunden hier aufgehalten, hätte noch etwas bestellen sollen?
Ist die Kärntnerstraße belebter als am Vormittag, das Wetter wieder sonnig und warm. Peter Piechowiak mag das alte Lied nicht mehr singen, nicht mehr die schauerliche Ballade. Er packt seinen Vorrat an Liebesliedern heraus und verdient sich damit einen neuen Tag. Reißt ihm zwischendurch eine Gitarrensaite, keine Bange, der Kollege zwanzig Meter weiter hilft ihm aus.
„Habe immer Ersatzsaiten dabei, nein, lass, kannst mir ja auch mal aushelfen, wenn ich nix dabei habe.“
Der Greis mit der Fistelstimme setzt sich, holt die Stimmband-Karotten hervor, bietet Peter Piechowiak eine an. Peter Piechowiak nickt, klappt seinen Gitarrenkasten zu und setzt sich für einige Minuten neben den Alten. Der hat die Kaiserin (welche Kaiserin?) noch persönlich gekannt. Das alles viel schönere Zeiten.
Steht der Greis wieder auf und singt: „O sole mio“. Hände zittern über Tasten und Knöpfe. Peter Piechowiak kauft sich im Café ein viel zu teures Bier. Noch ist nicht Zeit. Waluliso geht vorüber, der Mann des Wassers, der Luft, des Lichts und der Sonne, gehüllt in sein weißes Laken und unter seinem Lorbeerkranz heraus, einen Krummstab in der Hand, segnet er die Menschheit. Und besonders Peter Piechowiak, als ob er etwas von ihm wüsste, was dieser noch nicht weiß. Und Peter Piechowiak lächelt. Das Leben in Wien kann schon sehr komisch sein.
Ist Christine damals – damals! Erst zwei Tage her! – aus dem Badezimmer morgens zurückgekommen und hat sie geflucht: „Mist, mir sind die Tampons ausgegangen.“ Als er sie verständnislos angesehen hat (Männer haben keine Ahnung!), hat sie gesagt: „Zwei Tage zu früh.“ Ist er dann in die Drogerie um die Ecke geflitzt und hat welche für sie besorgt. Ist sie ins Bad zurück, hat er sie duschen gehört. Vielleicht ganz recht, sie macht kein großes Getue um den vergangenen Tag, umarmt sie ihn dennoch ganz heftig und sagt: „Ich liebe dich so so so.“
Sie ist verändert, stellt Herr Börries fest. Ernsthafter, zugleich viel zerstreuter. Ein Viertel sieben sieht sie zur Ladentür hinaus, ja, er sitzt schon drüben, auf der Bank sitzt er, den schwarzen Gitarrenkasten neben sich.
Und an der Würstlbude vor der Votivkirche wartet noch immer ein Hot-Dog mit süßem Senf auf sie. Und daraufhin Christine Bellingers Wohnung hoch oben unterm Dach. „Die war eigentlich nie für zwei gedacht.“
Grenzenlose Freiheit in diesem Juli in Wien. Eine der beiden Jeans liegt auf dem Sessel neben Christines Bett. Immer noch ist das Bett zu eng für zwei, wenn sie sich nicht gerade lieben. Ja, er hat das Pensionszimmer verlassen. Schläft jetzt auf einer Luftmatratze neben ihrem Bett.
Das alles, und die Zeit wieder eingeholt.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.