Als wir uns etwas erholt haben, wird die Miene meiner Freundin gleich wieder ernst, als sie meine sichtbaren Verletzungen betrachtet.
„Du hast mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Weisst du das?“
„Ich kann mich leider an nichts mehr erinnern. An rein gar nichts.“
„Das ist vielleicht auch besser so. Du hast wirklich übel ausgesehen und ich dachte schon, dass ...“ Pams Stimme bricht und als ich ihr in die Augen sehe, bemerke ich Tränen, die sich einen Weg über ihr Gesicht bahnen.
Mir wird ganz flau im Magen, wenn ich daran denke, was sie soeben aussprechen wollte. Ich bin froh, dass ihr die Stimme für einen Moment versagt hat und kämpfe gegen die Tränen an, die sich in mir aufstauen.
Pam wischt sich mit einer energischen Bewegung die Tränen fort und streicht über meine bandagierte Hand.
„Ich möchte so etwas nie mehr erleben. Hörst du?“
Wir sitzen einige Minuten stumm da, was ich geniesse. Ich fühle mich immer noch müde und niedergeschlagen. Sowas kenne ich gar nicht von mir. Ich schliesse meine Augen und dämmere vor mich hin, bis Pams Stimme mich aus meinen wirren Gedanken reisst.
„Was wollte Noah hier? Du hast doch Schluss gemacht oder ist das schon nicht mehr der Fall?“
„Er will es nicht wahrhaben, dass wir keine gemeinsame Zukunft haben werden. Sieh dir die vielen Rosensträusse an.“ Ich bewege langsam den Kopf Richtung Fenster. „Anscheinend sind die meisten von ihm.“
„Es gefällt mir nicht, dass er dich besuchen kommt. Er hat irgendwas an sich, dass mir nicht geheuer ist.“
„Du darfst nicht so streng zu ihm sein. Er ist manchmal ein etwas aufgebrachter Typ und stur, aber ansonsten total lieb.“
„Gibst du ihm eine zweite Chance?“
„Eine zweite Chance? Er hatte schon einiges mehr als zwei Chancen und nichts hat sich seit unserer Trennung geändert. Ich habe ihn wirklich von ganzem Herzen geliebt, aber seine ständige Eifersucht und seine Kontrollen, haben alles kaputt gemacht. Mein Leben bestand nur noch aus uns beiden. Wenn ich mit dir ausgehen wollte, hatten wir jedes Mal einen fürchterlichen Streit. Ich kann von Glück reden, dass ich nicht mit ihm zusammenzog, als er mich darum bat.“
„Davon hast du mir ja gar nichts erzählt.“
„Das war auch erst vor ein paar Tagen."
„Wie hat er darauf reagiert?“
„Nicht so angenehm. Er hat mich angeschrien, geriet völlig ausser sich und hat meine Sachen um sich geschleudert.“
„Der gehört doch in die Klapse.“
„Jetzt bist du etwas unfair.“
„Warum? Weil er dir Angst eingejagt hat oder...?“
„Du weisst, dass er ein ganz liebevoller Mann sein kann." schneide ich ihr das Wort ab. „Er ist zärtlich und kann gut zuhören. Er hat mir sehr über die Zeit hinweggeholfen, als das mit meiner Schwester war.“
„Aber das ist nun schon über zwei Jahre her und sie hat sich ausgezeichnet erholt. Was ich jedoch sehe, ist dass du in letzter Zeit nicht so glücklich gewesen bist, wie du es eigentlich sein solltest.“
„Ich habe nicht gesagt, dass ich zu ihm zurück gehe. Ich wollte nur, dass du verstehst, dass er auch gute Seiten an sich hat. Sonst wäre ich doch wohl nicht so lange mit ihm zusammen geblieben.“
„Ich möchte dich glücklich sehen. Das ist alles.“
„So wie du mit Ayden?“
Ich sehe, wie sich die Röte in Pams Wangen ausbreitet. Nur schon den Namen ihres Angebeteten verleiht ihr ein kleines Schamgefühl.
„Ja genau.“
„Ich freue mich, dass ihr endlich zueinander gefunden habt. Hat ja eine halbe Ewigkeit gedauert.“
„Ich liebe ihn.“
„Ich weiss.“
Wir lächeln uns an, während sie sich von ihrem Stuhl erhebt.
„Ich lasse dich jetzt alleine, damit du dich ausruhen kannst.“
„Pam.“
Sie dreht sich zu mir um und sieht mich mit einem fragenden Blick an. „Ja?“
„Ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt.“
Pams Stirne erhält ein paar Falten. „Für was?“
„Das du mich gefunden und den Krankenwagen gerufen hast.“
„Dafür brauchst du dich gar nicht zu bedanken. Ich bin heilfroh, dass ich zur rechten Zeit gekommen bin und du mehr oder weniger wohlauf bist.“
Sie beugt sich zu mir herunter und gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Ich komme morgen wieder.“
„Grüss Ayden von mir.“
Ich bemerke gerade noch, wie sich ein Lächeln auf Pams Gesicht stiehlt, bevor sich die Tür hinter ihr schliesst.
Erschöpft bleibe ich im Bett liegen. Die Auseinandersetzung mit Noah hat mir mehr zugesetzt, als ich mir wirklich eingestehen will. Wie konnte es nur soweit kommen? Ich schliesse meine Augen und versuche auf andere Gedanken zu kommen. Vom vielen Nachdenken erhalte ich noch mehr Kopfschmerzen, als dass ich schon habe. Plötzlich spüre ich einen Drang zur Toilette zu gehen. Zum einen, weil ich dringend meine Blase entleeren muss und zum anderen will ich wissen, wie mein Gesicht aussieht. Ich habe den mitleidigen Blick von Mam und Pam nicht übersehen, als sie mich ansahen.
Langsam versuche ich aus meiner Lagerstätte zu steigen. Was mir wahrlich nicht leicht fällt, denn mein Körper zuckt mehrmals vor Schmerz zusammen. Doch irgendwie gelange ich, indem ich mich auf den Infusionsständer stütze, von dem verschiedene Schläuche zu meinem Arm führen und mit einer Nadel darin verschwinden, auf die Toilette, die sich rechts von meinem Bett befindet. Einen kurzen Blick in den Spiegel genügt, um mein zerschundenes Gesicht zu betrachten. Mein linkes Auge ist total zugeschwollen und blau. Etliche Schürfungen durchkreuzen meine Stirn und meine Wangen. Ich getraue mich kaum, mich zu berühren, aber streiche trotzdem vorsichtig über die Verletzungen, die ich mir beim Sturz zugezogen habe. Als ich mich weiter zum Klosett begebe, wird mir wieder klar, dass die Wunden in meinem Gesicht die kleineren Übel sind. Ich schiebe meine Unterhose nach unten und bemerke erst jetzt, dass sich eine grosse Nachtbinde, die voller Blut ist, daran befindet. Verwirrt starre ich darauf und lasse mich auf die WC-Schüssel fallen. Ich starre auf einen Kalender, der vor mir an der Tür hängt, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Mein Gedächtnis versucht sich daran zu erinnern, wann ich meine letzte Menstruation hatte. Ich glaube fast, dass es schon länger her war. Nur möchte es mir nicht einfallen. Aber ich habe sie ja sowieso nie regelmässig. Muss das tatsächlich so sein, dass ich gerade jetzt diese bekloppte Monatsblutung erhalten musste? Aber warum habe ich dieses Mal solche Unterleibsschmerzen? Das hatte ich bis anhin noch nie. Irgendwas stimmt hier nicht.
In einem gewissen Trancezustand wechsle ich die Binde aus und erhebe mich von der Schüssel. Konzentriert mache ich mich auf den Weg zurück zum Bett, der mich sehr viel Kraft kostet. Zum Glück bin ich zur Zeit die einzige Patientin in diesem Zimmer, da ich mich sonst für meine ungelenken Bewegungen schämen müsste. Gekrümmt und wankend mache ich einen Schritt nach dem anderen. Endlich wieder unter der Bettdecke schliesse ich sofort meine Augen und schlafe im selben Moment ein.
„Frau Berner. Sind sie wach?“
„Hmm.“ Mehr als ein Gemurmel bringe ich nicht zustande.
„Ich habe hier ihr Abendessen.“
Irgendwie habe ich Schwierigkeiten meine Traumwelt mit der Realität auseinander zu halten. Schlafe ich noch oder sollte ich meine Augen öffnen? Als ein köstlicher Duft in meine Nase steigt, fängt mein Magen sofort an zu rebellieren. Ich zwinge meine Augen sich zu öffnen und erkenne sogleich eine Frau in einem weissen Kittel, die mir ein Tablett mit Essen auf die schwenkbare Tischplatte stellt.
„Benötigen Sie noch etwas? Vielleicht eine Tasse Kaffee?“
Ich betrachte mein Abendessen und stelle fest, dass alles, was auf dem Tablett steht, meinem Geschmack entspricht. Wie zum Beispiel das Erdbeerjoghurt und ein Glas Orangensaft, das ich meistens am Abend zu mir nehme.
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