„Weil er nicht gefunden werden möchte.“
„Meinen Sie ich mache das Richtige, wenn ich ihn trotzdem aufsuchen werde?“
„Obwohl er nie über seine Eltern gesprochen hat, kann ich mir beileibe nicht vorstellen, dass er sie wirklich nie mehr sehen möchte.“
„Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre Hilfe, Herr Kampmann.“
„Da wäre noch was, das Sie vielleicht wissen sollten.“
„Ja?“
„Ian Kyssen lebt nicht mehr.“
Erschüttert sehe ich von meinen Notizen auf, die ich in aller Eile mitgeschrieben habe. „Wann? Warum? Was ist passiert?“ Die Fragen rutschen mir nur so aus dem Mund.
„Er ist nicht wirklich gestorben, aber Ian Kyssen existiert nicht mehr, denn er hat in seinem dreizehnten Lebensjahr seinen Namen geändert. Er heisst nun Oliver Falk.“
Meine Bestürzung, über die Wendung meines neusten Falles, hat sich noch immer nicht gelegt, als ich unterwegs in die Zentralschweiz bin. Mit einem mulmigen Gefühl fahre ich über die Autobahn und komme immer näher an mein Ziel.
Wie soll ich dem momentan begehrtesten Fussballer der Welt erklären, dass mich seine Mutter beauftragt hat ihn zu finden, weil sie sich bei ihm entschuldigen möchte? Ich habe keinen Plan, wie ich ihn dazu bringen kann, dass er mich anhört und das entmutigt mich immer mehr, mit jedem Kilometer den ich fahre.
Bis zum heutigen Tag hatte ich keinen so komplizierten Fall, wie es dieser werden wird. Auch hatte ich bis jetzt mit keiner Berühmtheit zu tun. Aber diese Angelegenheit sprengt deutlich den Rahmen. Nur ein kurzes Gespräch mit einer Mutter, die verzweifelt versucht ein letztes Mal ihren Sohn zu sehen, bevor der Krebs sie von dieser Erde holt, hat dies alles ausgelöst.
Langsam lenke ich mein Auto auf den Besucherparkplatz der Fussballarena von Weggis, die Thermoplan-Arena. Es ist bereits nach fünf Uhr, als ich aus dem Auto steige und auf das grosse Fussballstadion zugehe.
Wie ich gleich feststellen werde, bin ich gerade zur rechten Zeit gekommen, um den Fussballern beim Spielen zuzusehen.
Kaum bin ich auf der Zuschauertribüne, entdecke ich den gut aussehenden, muskulösen Oliver Falk, wie er über den Rasen sprintet und den Ball mühelos an sich reisst.
Er sieht in Wirklichkeit noch viel besser aus, als auf den Bildschirmen oder in den Zeitungen, in denen er ständig zu sehen oder abgebildet ist.
Oliver Falk strahlt eine Kraft von Entschlossenheit aus, die niemand daran zweifeln lässt, dass er sein Ziel erreichen wird, das er sich gesetzt hat.
Mit einer für mich aussergewöhnlichen Faszination verfolge ich das Trainingsspiel und lasse den Mann, den ich bereits seit bald drei Wochen suche, nicht mehr aus den Augen.
Als der Trainer das Spiel mit dem Schlusspfiff beendet, gehe ich so locker wie möglich bis zur Abschrankung, die die Tribüne vom Spielfeld trennt.
Alle ausser Oliver, der noch ein paar Runden joggt, gehen in Richtung Umkleidekabinen, um sich unter die Duschen zu stellen. Die Reporter rufen ihnen zu, woraufhin der eine oder andere stehen bleibt und ein kurzes Interview gibt.
Ich schenke den Fragen der Journalisten kein Gehör, sondern konzentriere mich voll und ganz auf meine Zielperson. Fasziniert sehe ich ihm zu, wie er mit einer Leichtigkeit über den Rasen rennt, als würde er schweben. Nur der Schweiss, der ihm über den Rücken läuft und sein rot, weisses Trikot nass werden lässt, verrät dass die sportliche Aktivität nicht ohne Mühe an ihm vorbeigeht. Geduldig warte ich, bis Oliver Falk in meine Nähe kommt und gerade als er in den Katakomben, die zu den Umkleidekabinen führen, verschwinden möchte, rufe ich laut und mit starker Stimme seinen Namen. Dabei winke ich ihm mit heftigen Bewegungen zu, damit er mich bemerkt. Nach dem dritten Mal dreht er sich endlich zu mir. Er sieht mich argwöhnisch an und geht ungerührt weiter.
Ich versuche die Reporter und Fotografen, die um mich stehen, zu ignorieren und all die anderen Menschen, die sich hier befinden, auszublenden.
„Oliver Falk!“ rufe ich abermals lauthals. „Könnte ich kurz mit Ihnen sprechen? Bitte!“
Doch er macht keine Anstalten, mir zuhören zu wollen und weg ist er. Deprimiert nehme ich auf dem nächsten freien Stuhl Platz. Mein Blick schweift über das Spielfeld, wobei ich angestrengt überlege, wie ich den weltberühmten Fussballspieler dazu bringen kann, dass er mir einige Minuten seiner Zeit schenkt.
Plötzlich erscheint ein Schatten neben mir und eine tiefe Stimme spricht mich anklagend an. „Sie sind keine Reporterin und auch keine Fotografin.“ Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung. „Sind Sie ein Fan von Oliver?“
Erschrocken sehe ich auf und sehe einen Mann neben mir stehen, den ich vorhin auf der Seite des Spielfeldes schon gesehen habe. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, nur kann ich ihn momentan nicht zuordnen. Auch wenn ich mich noch so sehr bemühe, die hinterste Ecke meines Gehirns zu durchkämmen, fällt mir nicht ein, mit wem ich es hier zu tun habe.
„Darf ich fragen, wer Sie sind?“
„Ich bin sein Manager. Und Sie?.“
Jens Gudet. Mit einem Mal fällt mir der Groschen, woher ich diesen Mann kenne. Er weicht kaum von Olivers Seite und verteidigt den Fussballer, wo er nur kann.
„Ich habe etwas Privates mit ihm zu besprechen.“ sage ich schlicht.
„Und das wäre?“
„Darüber kann ich nur mit Herr Falk sprechen. Können Sie ihm bitte mitteilen, dass ich auf ihn warte? Es ist wirklich sehr wichtig.“
„Es tut mir leid, aber ich kann Sie nicht zu ihm lassen.“
So komme ich nicht weiter. Ich fingere in meiner Handtasche herum und nehme eine von meinen Visitenkarten hervor. „Könnten Sie ihm wenigstens diese hier geben?“ und strecke ihm die Karte hin.
„Personensuchdienst, Verena Rapone.“ liest Olivers Manager leise vor, so dass es niemand hören kann und verengt dabei seine Augen. „Was soll das bedeuten?“
„Ich kann Ihnen leider nicht mehr verraten. Geben Sie ihm die Karte? Er soll mich anrufen. Es ist wichtig.“ beteuere ich ein zweites Mal. „Ich werde noch bis Morgen Mittag im Hotel Seesicht sein.“
„Ich werde es ihm ausrichten. Aber ich kann Ihnen nichts versprechen.“
„Danke.“
Der hochgewachsene Mann, Mitte vierzig, nickt mir kurz zu und geht ebenfalls auf den Tunnel zu, in dem Oliver zuvor verschwand.
Enttäuscht erhebe ich mich und verlasse die Hotelbar. Es ist bereits nach zehn Uhr und dunkel draussen, als ich mich entschliesse auf mein Zimmer zu gehen und mir einräumen muss, dass er nicht daran interessiert ist, zu wissen, was ich ihm zu sagen habe und dass er nicht kommen wird.
In meinem Zimmer mache ich es mir auf meinem Doppelbett bequem und nehme die Unterlagen, die ich über Oliver Falk gesammelt habe, zur Hand, um sie zum wiederholten Mal durchzulesen, obwohl ich alle Details auswendig weiss.
Viel mehr, als mich auf meine Akte zu konzentrieren, überlege ich mir, wie ich ihn dazu bringen kann, mich anzuhören. Es muss doch irgendeinen Weg geben, um ihn genug neugierig zu machen, so dass er Kontakt zu mir aufnimmt?
Nach langem grübeln, nehme ich ein Stück Papier in die Hand und kritzle ein paar Stichworte darauf. Nur so viel, dass er erahnen kann, über was ich mit ihm reden möchte, aber dass es für einen Aussenstehenden keinen Sinn ergibt.
Bis morgen Mittag werde ich in der Hotellobby auf ihn warten. Falls er bis zu jenem Zeitpunkt nicht erscheint, werde ich noch einen einzigen Versuch starten, um ihn zu einem Gespräch zu bewegen. Andernfalls muss ich mich geschlagen geben.
Jetzt werde ich mich erst einmal unter die Dusche begeben und danach ein paar Stunden Schlaf gönnen.
Ich sitze nun schon seit über zwei Stunden in der Lobby und warte wahrscheinlich vergeblich auf den gut aussehenden, schwarzhaarigen Fussballer, den ich ständig vor meinen Augen sehe, wie er über das Spielfeld sprintet. Er ist wirklich unverschämt attraktiv, was mich etwas aus der Bahn zu werfen droht.
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