1 ...6 7 8 10 11 12 ...19 „Das tut mir aber Leid“, entgegne ich spontan. „Sie sind doch ihre Mutter?“ „Ja so ist es.“ „Wohnen Sie schon immer hier?“ „Na ja, ich soll ja nichts sagen, aber meine Tochter hat gesagt, ich könne Ihnen vertrauen. Also will ich Ihnen so viel verraten, wie sie wissen können. Ich lebe hier seit sechzig Jahren, während der Kriege war ich immer die Köchin, so hatte ich wenigstens zu essen. Die Besatzer waren nicht immer höflich, auch teilweise sehr grob, wenn Sie verstehen was ich meine. Aber jetzt bin ich in einem Alter, wo mir die Ruhe gut tut. Mein Wissensdurst hält sich in Grenzen. Aber nun muss ich wieder nach meinem Schwager sehen, es geht ihm sehr schlecht. Aber er ist ja auch schon vierundneunzig Jahre alt. Hier ist Ihr Abendessen, jetzt hätte ich es beinahe wieder mitgenommen.“
„Vielen Dank und ich hoffe, Sie können mir noch ein wenig bei meinen Nachforschungen helfen.“
„Ich darf ihnen einen Tipp geben, aber sagen Sie nicht zu meiner Tochter, dass Sie es von mir wissen. Sehen Sie mal in den Rollschrank am Speicher. Es wird ihnen helfen.“
„Vielen Dank und gute Nacht, grüßen sie bitte ihren Schwager.“
Das war wohl der Tipp, den ich gebraucht habe. Meine Brotzeit verschlang ich, mein Hunger kam erst bei dem Anblick, eines schönen Schnitzels, der Wein gab mir den Rest. Eigentlich war ich viel zu müde, aber einen einzigen Blick wollte ich doch noch werfen. Mit der Taschenlampe unter dem Arm ging in Richtung Speichertüre. Da hörte ich Schritte, die sich aus dieser Richtung schnell entfernten. Ein Schatten, er war nicht mehr zu sehen. Es gibt also noch jemanden, der sich für die alten Dinge interessiert. Ich höre noch entfernt jemanden eine Treppe herunterlaufen. Das gefiel mir weniger. Sofort kontrollierte ich alles in meinem Zimmer. Zuerst mein Handy mit dem Navi. Ich steige in den Speicher. Alles da, er hat es wohl noch nicht entdeckt. Ich muss es besser verstecken. Aber eine SMS ist auf dem Handy. „Sei vorsichtig, es könnte noch einige „Aktive“ in deiner Behausung geben. Bewaffne dich wenn möglich, wenigsten mit einem Knüppel.“ Ich grinste, dies war der Humor von Richard, eigentlich sagen wir nur Richi zu ihm. Wir kennen uns noch aus der
Sturm-und-Drang-Zeit aus München. Okay - das war wenigsten ein Hinweis. Der Schreck in der Abendstunde!
So jetzt aber noch einen Blick in den Rollschrank. Hier muss er gewesen sein, denn beim letzten Mal, als ich den Rollschrank sah, war alles sehr ordentlich. Nun lagen einige Ordner verstreut herum. Ich fing an, in den Ordnern zu blättern. Es sind Personal-Ordner. Da sehe ich doch einfach mal unter „Reinertshagen“ nach.
Wo ist „ R“? Hier liegt ein Ordner, ganz in der Ecke. Ich blättere darin, der Papierstaub lässt mich kräftig niesen. Da, eine richtig fette Personalakte. Mit Hans Georg als Vorname, aber da, eine zweite Akte, Hans Werner. Es waren wohl Brüder. Aber welcher ist nun Barbaras Vater und welcher der Onkel? Ich nehme die Akten einfach mit auf mein Zimmer, das erscheint mir erheblich bequemer, außerdem steht da mein Wein. Ich studierte die beiden Akten, eigentlich ist es seltsam, dass sich der Onkel diese nicht schon längst besorgt hat. Oder war er so ordnungsliebend, das er in seiner eigenen Registratur keine Unordnung duldete? Also, es war wohl so, dass der Onkel das Ekel der Familie war. Er hatte die gesamten Jahre das Kommando. Der Bruder hatte nur untergeordnete Arbeiten zu tun, sich um die Fahrzeuge zu kümmern, er war wohl der Praktische von beiden, und vielleicht nicht so fies veranlagt. Ich blättere einfach mal nach dem Zufallsprinzip und stoße auf den Namen Reinbacher. Hier ist ein Sterbedatum, Moment mal, der war ja gerade mal zweiunddreißig Jahre. Bei Verhör, Herzinfarkt. Na, da kann man sich ja einen Reim darauf machen. Verhört wurde er vom Onkel. Ich lege die Unterlagen bei Seite und nehme einen kräftigen Schluck. So, noch Duschen und ab in die Koje.
Inzwischen ist es bereits halb zwölf. So gut hab ich schon lange nicht mehr geschlafen. Das Frühstück halte ich kurz. Für diesen Tag habe ich mir die andere Seite vorgenommen. Im Speicher angekommen, schlage ich den Weg nach links ein. Wo ist denn hier der Lichtschalter, ich nehme meine Taschenlampe und leuchte den Raum ab. Auf der anderen, gegenüberliegenden Seite entdecke ich gleich mehrere Lichtschalter in einer Reihe. Der Raum ist ziemlich vollgestellt. Wiederum Kisten, aber auch einige Schränke. Die Schränke erscheinen mir am leichtesten zu öffnen. Alles voller Kleidung, Uniformen, Stiefel und Helme. Sieht nach Ausgehuniformen aus. Mein Interesse wird nun durch die verschiedenen Uniformen geweckt. Es sind welche von der SS und auch Polnische Uniformen sind darunter. Die nächste Türe ist nicht verschlossen, das Licht befindet sich an der Türe. wie angenehm.
Dieser Raum hat keine Seitenwände, keine Raumteiler, wie ich sie in den anderen Räumen vorgefunden hab. Diese Seite des Speichers hat also nicht viel gebracht. Ich will nochmals in den alten Teil des Speichers zurückkehren, mir den Rollschrank und noch die verbleibenden Kisten betrachten. Der Rollschrank ist noch wie am Vortage. Es ist immer dasselbe. Protokolle von Vernehmungen, einige endeten mit Herzinfarkt. Andere enthielten Urteile mit Verbringung in ein Lager. Auch sofortige Erschießung kam vor. Die Ausführung der Befehle fand wohl im Innenhof statt. Was muss hier alles passiert sein.
Es folgen Landkarten und Papierrollen, wieder gleiches Bild. So ging ich Rolle für Rolle durch. Ganz unten in der Kiste ein Plan, so etwa einen Meter auf einen Meter fünfzig. Ich breitete ihn aus. Siehe da, verschiedene Anwesen. Sie waren feinsäuberlich verzeichnet. Sie bilden einen Kreis, verteilt über Mecklenburg-Vorpommern. So jetzt wird die Sache ja recht interessant, die Unterlagen stammen aber aus der Zeit der ehemaligen DDR, also zu Zeiten von Honecker.
Diese Anwesen, waren wohl alle mit einem privaten Telefonanschluss vernetzt. Dies geht wenigstens aus dem Plan hervor. Ein Blick auf die Uhr, da werde ich doch noch die zweite Kiste inspizieren. Diese offenbarte das Langersehnte. Endlich Pläne von diesem Anwesen. Die wichtigsten vier Rollen schnappe ich mir unter den Arm und nahm sie mit auf mein Zimmer. Den Speicher verschließe ich gründlich. Jetzt habe ich viel Arbeit vor mir. Bin gespannt, welche Überraschung auf mich warten.
Ich kann es kaum glauben, es muss noch einen Keller geben. Nicht unter dem ganzen Anwesen, aber trotz alledem gewaltig groß. Ein Gewölbe, wenn also die Maße nur annähernd stimmen, wie unter einer Kirche. Ich gehe mit dem Plan auf den Gang und vergleiche mit den verschiedenen Eingängen. Der größte Kellereingang befindet sich also neben Eingang „A“. Dies würde bedeuten, dass ich nur durch die Räume von Barbaras Teil Zugang bekommen könnte.
Bei „F“ hat es wohl auch mal einen Zugang gegeben. Ich muss einen Kellereingang finden. Was wird mich dort erwarten? Ein wenig Gruseln wird es mich sicher. Vielleicht steht einiges unter Wasser. Fragen über Fragen. Ach, da bin doch ganz froh, dass Barbara noch ein wenig verhindert ist. Gerade als ich mich umdrehen will, sehe ich im Hof eine Person. Die alte Dame ist es nicht. Die Person kommt aber aus dem privaten Teil. Ich schätze eher ein „Er“, vielleicht 35 Jahre alt, könnte aber auch jünger sein.
Er hat einen Gehfehler, vielleicht Kinderlähmung, vermute ich. Er zieht deutlich sein rechtes Bein nach. Auch seine Körperhaltung ist nicht gesund. Ich höre ein leises Rufen. Ach, ich hatte es völlig vergessen, die alte Dame bringt das Abendessen. Ich laufe ihr entgegen und bedanke mich. „Haben sie was von Barbara gehört?“
„Ja sie wird wohl morgen kommen. Aber sie wird für sie keine große Hilfe sein. Aber vielleicht kann ihnen ja ihre Freundin Betti zur Hand gehen.“ Da hat mir doch die nette Dame wieder eine Flasche Wein eingepackt. Ein Zettel liegt ebenfalls dabei. „Gehen sie den Gang im Speicher weiter, bis sie in den Westteil kommen.“ Mein morgiges Programm, stand also fest. Speicher ohne Ende. Auch in den unteren Räumen bin ich ja noch nicht wirklich ganz herum.
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