„Bitte fahre vorsichtig, sonst bin ich hier für immer der Hausgeist.“
„Mach dir keine Sorgen. Tschüss, im Kühlschrank ist noch was zum Essen. Für den Fall, dass du dich befreien kannst.“
Ich höre wie sie die Treppe hinabsteigt.
Kurz darauf kann ich noch vernehmen, wie sie ihr Entchen startet. Das große Schiebetor wird geöffnet, „quietsch-quietsch“.
Kurz darauf höre ich einen Knall, es wird doch nicht die Speichertüre gewesen sein?
Aufgeregt beginne ich an dem Seil zu ziehen. Irgendwie wird es sich doch lösen lassen. Umso fester ich ziehe, umso mehr zieht sich das Seil an den Handgelenken zusammen. Ich versuche das Seil durch anheben der Beine etwas zu entspannen, aber das scheint nicht die Lösung zu sein. Barbara hat wohl das Seilende an der Unterseite des Stuhles verknotet.
Ein entkommen, erscheint völlig aussichtslos. Ich erinnere mich an meine Pfadfinderzeit und beginne mit verschiedenen Übungen.
Zuerst muss ich meine Aufregung zügeln, sonst mach ich noch mehr Fehler und das Seil wird sich niemals lösen lassen. Das dicke Tuch um mein Gesicht tut sein Übriges. Barbara muss es dreimal über mein Gesicht gebunden haben. Die Luft lässt sich nur schwierig ein und ausatmen. Ausgerechnet über meiner Nase und meinem Mund ist es extrem fest verschlungen. Ich muss mich entspannen, sonst droht mir eine Panikattacke. Ich rede mit mir und beruhige mich auf diese Art. „Es wird sich gleich lösen!“ Diesen Satz sag ich mir immer wieder und so taste ich nach den Seilenden.
Dann hab ich das Gefühl, dass sich etwas löst. Vorsichtig ziehe ich an einem Seilende und tatsächlich, es beginnt sich zu lockern. Nach einer weiteren halben Stunde, bin ich frei.
Ich streife das Tuch von den Augen und dann fällt mir die zugeschlagene Türe ein.
Ich laufe durch die Abteile und blicke die Treppe hinab, es war die Speichertüre.
Wo hat sie denn den Schlüssel gelassen? Ich gehe die Treppe hinunter und muss feststellen, dass von der Innenseite kein Griff angebracht ist.
Der Schlüssel steckt von außen. Frauen! Sie hätte sich doch denken können, dass ich den Schlüssel innen benötige. Jetzt bist du in einer blöden Lage, denke ich so bei mir. Ich versuche mich gegen die Türe zu werfen, aber die Qualität ist besser, als ich vermutete.
Ach was, die vier Stunden gehen im Nu vorüber. Wenigstens konnte ich mich befreien. So begebe ich mich wieder an meine Arbeit. Mein größtes Interesse weckt der Raum mit den Kisten.
Jetzt fehlt nur ein Stemmeisen. Wie soll ich die sonst aufbekommen, mit den Fingernägeln bestimmt nicht. Meine Spannung steigt ins Unermessliche.
Ich finde eine halbe Dachschindel, damit müsste es gelingen, den Deckel aufzustemmen. Ich glaub es nicht, der Inhalt ist eine alte Schreibmaschine und zwei alte Telefone. Jetzt bin ich aber enttäuscht. Nun die nächste Kiste, sie ist erheblich schwerer. Der Deckel wieder mit Nägeln gesichert. Muss das ein Idiot gewesen sein, fluche ich. Aber auch dieses Hindernis kann überwunden werden. Wieder finde ich nur technische Geräte, scheint ein Funkgerät zu sein.
Okay, packen wir es noch mal an, aber nach dieser Kiste mache ich erstmal eine Pause.
Vorsichtig taste ich mich voran. Eine Stahltüre, dahinter ist es Stockdunkel, absolute Schwärze kommt mir entgegen. Ich taste nach einem Lichtschalter, aha, da ist einer. Ein – Aus, nichts geht. Jetzt wäre eine Taschenlampe recht hilfreich.
Da breche ich in ein Brett ein. „Scheiße!“ Ich taste herum. Das könnte ein Deckel sein. Ein Vorhängeschloss am Boden. Irgendein Schlüssel wird doch wohl zu finden sein. Ich bin völlig außer mir, dass Wasser läuft nur so von meiner Stirn. Na endlich, es geht. Ich kann den Deckel anheben. Aber was wird darunter sein? Vorsichtig lege ich den Deckel oder besser die Falltüre um. „Scheiße!“, jetzt fluche ich schon wieder. Nur nicht in das Loch fallen. Ich setze mich auf den Rand und denke nebenbei an meine Jeans. Rutsche Stück für Stück am Rand entlang. Aha, dies muss eine Stufe sein. Keine Falltüre ohne Treppe. Alte Pfadfinderregel. Nach der ersten Stufe finde ich auch die zweite und dritte. Langsam komme ich voran. Dann eine Holzwand. „Scheiße!“ Dieses Wort verwende ich ab sofort öfter. Die Holzwand wird eine Türe sein. Ich taste alles ab, da ein Lichtschalter, klick, Licht an. Pah, so was Blödes, oben haben sie den Schalter wohl vergessen anzuschließen.
An der Holzwand angekommen klopfe ich die Wand ab, klingt irgendwie hohl. Ich versuche die aufgesetzten Leisten zu entfernen. Eine Leiste scheint locker zu sein, nein, es ist eine Geheimtüre, drehen der Leiste, offen. Aber was ist jetzt? Ein modriger Geruch, es riecht nach alter Wäsche. Es graust mir schon ziemlich. Alte Mäntel, Umhänge, es kann alles sein. Ich muss mich überwinden, hineinzugehen. In diesem Moment, wo mein Fuß den Boden berührt, geht eine weitere Türe auf.
Ich bin erstaunt. Eine Kapelle. Sehr gepflegt, viele Figuren sind mit weißen Tüchern abgedeckt. Eine soeben gelöschte Kerze, ich gehe sofort darauf zu, sie ist noch warm, das Wachs butterweich. Was wird hier gespielt? Mein Blick geht automatisch zur Eingangstüre, sie steht noch halb offen. Ich stürze darauf zu, aber niemand ist zu sehen. Ich betrachte mir die Kapellentüre von draußen.
Nun steh ich im Innenhof und möchte zu gerne wissen, was das alles bedeutet. Vielleicht ist ja Barbara zurück. Ich gehe zum Salon, kann aber nirgends jemand entdecken.
In meinen Gedanken taucht immer wieder die Person auf, die ich zu sehen glaubte, am ersten Morgen, im Innenhof. Die Person mit Kapuze. Ich will mir die Mäntel in der Kapelle nochmals ansehen.
Als ich zur Kapellentüre komme ist diese verschlossen. Meine klare Meinung, hier geht es nicht mit rechten Dingen zu, aber ich bin nun ganz sicher, dass eine weitere Person im Gebäude leben muss. Mein Bedürfnis mich zu duschen, kann nicht länger auf sich warten. Im Badezimmer entschließe ich mich zu einem Vollbad. Ach, ist das angenehm.
Wie spät ist es denn eigentlich schon? Ich erschrecke, sechs Uhr. Nun ist Barbara ja schon mindestens drei Stunden überfällig. Na ja, vielleicht hat sie ja ihre Freundin getroffen, dann ist eine Verspätung selbstverständlich. Ich ziehe nur noch den Bademantel über und verzichte auf großes Tamtam. Im Salon drehe ich noch eine Kurve über die kleine Küche, mal sehen, was noch zu essen und trinken da ist. Ich schnappe mir ein Bierchen und zwei Scheiben Wurst. Ich schalte den Fernseher ein. Es dauert nur wenige Minuten und ich schlafe davor ein. Irgendwann um Mitternacht, schleiche ich mich in mein Schlafzimmer. Noch einen Blick in den Hof. Ich sehe Licht in der Wohnung von Barbara. Völlig verschlafen, denke ich, sie ist aber spät gekommen.
Wie immer wache ich gegen sechs Uhr auf. Ich döse ein wenig vor mich hin.
Werfe einen Blick in den Hof und siehe da, die Kapellentüre steht offen. Ich ziehe mir meine Trainingssachen an, ab in den Hof. Vorsichtig gehe ich auf die Türe zu. Ich kann Kerzenlicht erkennen. Eine Person steht oder kniet, genau erkennen kann ich es nicht. Vorsichtig gehe ich hinein. Die Person erschreckt furchtbar. „O Gott, wie können sie mir das antun.“ Trotzdem bin ich überrascht, sie ist keineswegs erstaunt mich hier zu sehen. „Darf ich mich vorstellen?“
„Ich kenne sie schon, meine Tochter hat mir von ihnen erzählt, so konnte ich sie mehrmals im Hof beobachten.“
„Ihre Tochter hat sie mal erwähnt. Sie sind also Barbaras Mutter?“
„Ihre Tochter ist wohl noch nicht zurückgekommen?“
Kapitel: 6 Sie hatte einen Unfall
„Sie hatte einen Unfall.“
„Ist sie verletzt?“
„Sie hat nur am Telefon gesagt, sie wird ein paar Tage im Krankenhaus sein.“
„Sie haben hier also Telefon.“
„Ja selbstverständlich, wir sind hier doch nicht hinter dem Mond.“
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