„Na wie findest du das? Fragt Barbara.
„Komm lass den Blödsinn.“
„Für heute werden wir Schluss machen.“
„Treffen wir uns später?“ Barbara meint, „wenn du gerne mal allein sein willst, sag es bitte.“
„Vielleicht hast du Recht, dann machen wir heute einfach mal getrenntes Abendessen und wir sehen uns morgen zum Frühstück. Wir sollten unbedingt überlegen, ob wir den kleinen Mercedes für dich richten lassen.“
Plötzlich wird die Türe aufgerissen, „Barbara Dein Onkel liegt im Sterben, hilf bitte! Wir wollen ihn nach Stralsund bringen, da gibt es einen Arzt, oder besser noch in ein Krankenhaus“ meint Barbaras Mutter.
„Ich helfe euch ihn runter zu tragen, so könnt ihr ihn ins Krankenhaus bringen.“
Ich gehe sofort mit, Betti klappte an ihrem Wagen den Sitz um. „Wir legen ihn auf den Beifahrersitz.“
Die Mutter wollte lieber daheimbleiben. „Bitte fahrt jetzt ohne mich los, ich bleibe hier, ich will lieber alleine sein.“
„Wir verstehen das“, meinte Barbara. „Wir rufen dich vom Krankenhaus aus an.“
„Junger Mann, können Sie mal zu mir kommen?“
„Ja sicher, ich komme gleich.“
„Nehmen Sie sich ein Glas aus der Vitrine und setzen sie sich zu mir, ich will Ihnen etwas erzählen. Ich muss Barbara einiges erklären, ich hoffe sie wird mich verstehen und mir verzeihen.“
„Um was geht es denn?“, frage ich neugierig.
„Sie fährt nicht ihren Onkel in Krankenhaus, sondern ihren Vater. Ich musste dies immer geheim halten, aber da ich nun spüre, dass es mit ihm zu Ende geht, muss sie es wissen. Ihr Vater und sein Bruder waren wie ein Ei dem anderen. Sein Bruder jedoch war ein brutaler und unangenehmer Mensch. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht jemanden gequält oder sogar hingerichtet hat. Eines Tages ließ er seinen eigenen Bruder von den Wächtern abholen. Er warf ihm vor, das Land verraten zu haben. Sein Bruder war mein Mann. Sie müssen wissen, ich war mal sehr schön, sehen Sie sich ruhig die Bilder auf dem Kaminsims an.“ Ich stehe auf, und gehe zum Kamin.
„Meinen sie die Bilder hier? Das ist doch Barbara.“
„Nein, das bin ich. Mein Mann sagte auch immer, sie kommt voll nach mir. Na denken sie, mein Mann kam in den Kerker, hier im eigenen Haus. Besuchen konnte ich ihn nicht mehr. Eines Tages kam sein Bruder abends vorbei und meinte, „übrigens morgen früh lasse ich ihn erschießen. Dann ging er mit einem Grinsen im Gesicht. Am selben Abend kam er nochmals zu mir und meinte, es tut mir leid.“
An seiner Stimme merkte ich aber, dass etwas nicht stimmte. „Ich muss dir etwas erklären, bitte erschrecke nicht.“ Ich spürte die Sanftheit in seiner Stimme, als ich plötzlich seine Verletzung an der rechten Hand bemerkte. „Bist du es?“, fragte ich.
„Ja, aber es darf niemand wissen. Gestern Abend kam mein Bruder in Zivil in den Kerker. Er ging auf mich zu und meinte, damit du es weißt, ab morgen werde ich deine Frau vögeln. Daraufhin kam ich so in Rage, dass ich ihm einen Boxhieb verpasste. Er taumelte zurück und fiel an die Eisenkante meiner Liege. In diesem Moment kam mein Kumpel Gerhard vorbei, er hat alles beobachtet. Er sagt nicht viel und meinte nur, „um dieses Schwein ist es nicht schade.“ Komm beeil dich tausche einfach die Kleidung. Er half die Kleidung zu wechseln. Als sie es geschafft hatten, riefen sie die Wärter. Sie berichteten den Wärtern, dass der Gefangene den General angegriffen hätte, so blieb nur eine Möglichkeit, ihn zu erschlagen. Es war Notwehr!
Die Wärter meinten, so brauchen wir ihn nicht mehr erschießen, ließen ihn abholen und in ein Massengrab werfen.
Mein Mann, Hans-Werner, hieß ab diesem Tag Hans-Georg. Wir hielten dies natürlich geheim, ich hatte aber immer vor meiner Tochter Angst, dass sie es
herausbekommt. In den Aktenordnern hätte sie vielleicht einen Hinweis finden können. Die Jahre vergingen, als Barbara volljährig wurde, zog sie aus.“
„Was ist denn aus Gerhard geworden, er hat ja schließlich deinem Mann das Leben gerettet?“
„Er wollte so schnell wie möglich hier weg, er ließ sich nach Hamburg zur Marine versetzen. Später, hab ich nichts mehr von ihm gehört.“
„Aber dein Mann hat doch eine ganz andere Art gehabt, hat denn nie jemand etwas bemerkt, dass da was nicht stimmt.“
„Nein, er hat sich krank gemeldet, hat einen Nachfolger bestimmt. Die ganze Einheit, hat aufgeatmet. Sie dachten natürlich alle, ich hätte über Nacht die Fronten gewechselt.“
„Aber wann ist denn der Junge zur Welt gekommen“?
„Es ist nicht unser Sohn, wir haben ihn gefunden, auf einem Transport war er zwischen den Männern. Ich bat, ob ich ihm was zu essen geben dürfte. Der Transportführer meinte, nimm ihn, aber rede nicht darüber.
So kam Wilhelm im Alter von etwa zehn Jahren zu uns. Er ist noch heute verstört, hat ein Trauma.“
„Wie alt ist er denn heute“?
„Er ist inzwischen zweiunddreißig. Fast so alt wie Barbara.“
„Wie kam denn eigentlich Betti zu euch?“
„Betti stand eines Tages vor der Türe, etwa drei Jahre alt, genaues wissen wir bis heute nicht. Selbst der Suchdienst konnte keine Mutter oder Eltern ausfindig machen. Sie hatte Papiere bei sich, in denen stand, „Ich heiße Bettina Papenbruck.“
„Seitdem haben wir uns um sie gekümmert.“
„Aber von was habt ihr denn gelebt?“, frage ich.
„Ach, die Rente von Onkel Werner war sehr gut.“ Ich musste lachen, so viel Schlitzohrigkeit hätte ich ihr nicht zu getraut.
„Sie dürfen sicher sein, über meine Lippen wird nichts nach Draußen dringen.“
„Er wird sterben, ich weiß es.“
„Sie sind aber noch sehr rüstig, und ich finde, sie sollten öfter mal unter Menschen. Sie müssen mir bei Gelegenheit ein wenig mehr erzählen. Ich finde sie sehr sympathisch, wir sollten alle mal zusammen Abendessen. Aber jetzt wollen wir erstmal sehen, was aus ihrem Mann wird.“
Das Telefon läutet. „Das sind die Kinder, tatsächlich, und was gibt es Neues?“
Barbara berichtet, „Die Ärzte haben ihn an den Tropf gehängt, aber es sieht nicht gut aus. Wir kommen jetzt wieder zurück.“
„Es wird noch dauern, darf ich sie nun alleine lassen?“ frage ich vorsichtig.
„Machen Sie, ich habe nur eine Bitte, retten Sie dieses Anwesen. Ich habe so auf Sie gesetzt.“
„Ich werde mein Möglichstes tun. In den nächsten Tagen wissen wir mehr. Also Gute Nacht.“ Es fallen mir die Gespräche mit Barbara ein, so genau weiß sie anscheinend über ihre eigene Familie nicht Bescheid, man hat ihr wohl vieles bis heute verschwiegen.
Es war so um neun Uhr, als ich sie beide kommen hörte. Ich sah mir im Fernsehen gerade einen Krimi an, als die Türe aufging und Betti herein kam. „Du hattest wohl noch nicht genug von Mord und Todschlag?“, meint sie süffisant.
„Wieso, was meinst du?“
„Na, alles was du heute so gesehen hast.“
„Na ja, es hing ja nirgends eine Leiche. Ich habe vorhin lange mit Barbaras Mutter gesprochen, sie hat mir einiges erzählt.“
„Alles?“
„Ich glaube schon.“
„Na, dann weißt du ja nun Bescheid. Ich finde es gut, wenn du alles weißt, schließlich gehörst du ja nun fast zur Familie.“
Dann kam auch schon Barbara herein. Betti meint, „er weiß über alles Bescheid.“ „Ich wollte eigentlich vorschlagen, dass wir mal alle zusammen, ich meine auch mit deiner Mutter, Abendessen“, meint Barbara.
„Wir werden das in den nächsten Tagen arrangieren.“ Barbara kommt auf mich zu, „Ich habe ja völlig vergessen, dir ein Tuch um deinen empfindlichen Hals zu wickeln, damit du besser schlafen kannst.“ Barbara beginnt damit, eines ihrer großen langen Tücher aus einem Regal zu nehmen. Sie kommt auf mich zu und führt es vor. „Ich glaube, das ist für dich das richtige.“
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