„Danke für alles. Ich MUSS allein aufstehen. Wir können weiterhin befreundet sein, aber das willst du nicht. Ich kenne dich. Ruf mich in einem Jahr an und frag: Was hast du gemacht, wie geht es dir? Du hast zu früh allen Bescheid gesagt. Was ist, wenn wir wieder zusammen sind?“
An diese Worte klammerte ich mich immer, wenn er sie sagte. Gleichzeitig war ich Realist genug, um zu wissen, wie lange ein Jahr dauert und was in diesem Jahr alles passieren kann.
„Aber du willst dich von mir scheiden lassen. Du willst mit deiner geschiedenen Frau wieder zusammen sein?“
„Es ist nur ein Papier. Ich möchte nicht, dass du weinst. Bitte mach es mir nicht so schwer. Deshalb gehe ich abends immer weg.“
Nach dem Gespräch ging es mir wesentlich besser. Zum Schluss umarmten wir uns. Er wollte mit mir Sex haben. Ich sagte, dass ich dann wahrscheinlich weinen müsste. Wir taten es nicht.
28. Oktober
Morgens sagte ich ihm, dass es mir seit unserem letzten Gespräch besser ginge. Er freute sich. Wir umarmten uns nochmals. Es ging mir so gut, dass ich mit ihm durch die Wohnung ging und ihm die Möbel zeigte, die er mitnehmen sollte, da er keine hätte. Er sagte, er bräuchte nur die Dolby-Surround-Anlage, alle anderen Möbel würde er sich vom Erlös des Grundstücksanteils kaufen.
29. Oktober
Metin schlief nicht zu Hause. Mein Bruder kam mit seiner Familie für ein paar Tage nach Berlin. Sie wohnten in einem Hotel. Abends gingen wir alle mit meiner Schwester und ihrer Familie, meiner Mutter, ihrem Bruder und seinen Kindern zum Essen. Ich informierte meine Familie darüber, dass Metin und ich uns einvernehmlich getrennt hatten und dass, sollten sie ihn treffen oder sollte er ab und zu wieder dabei sein, es schön wäre, wieder unbeschwert zusammenzusitzen. Ich wollte nicht schlecht über ihn sprechen. Es fiel mir unendlich schwer, das zu sagen, ich musste mich sehr darum bemühen, nicht die Fassung zu verlieren, und ich hoffte, dass das, was ich sagte, sich realisieren ließe.
Unsere Wohnung hatte ich gekündigt. Mir war klar, dass ich nach einem Auszug Metins nicht allein dort wohnen wollte. Meine Schwester Patrizia bot mir an, in ihr Haus zu ziehen, was sicher für einige Wochen gehen würde, bevor ich mir ein Zimmer in einer WG nehmen wollte. Sie wohnte zwar im Umland Berlins – aber bloß nicht allein wohnen!
1. November
Ich erhielt eine Postkarte meiner lieben Freundin Verena. Auf dem Bild war eine weiße Taube zu sehen, die aus einem offenen Käfig flog. Der Text: „Manchmal denkt man, es ist stark, festzuhalten. Doch es ist das Loslassen, das wahre Stärke zeigt.“ Sie hatte nur ein Herz gemalt und „deine Verena“ unterschrieben. Ich las den Text wieder und wieder, weinte und weinte und war unendlich dankbar, sie zur Freundin zu haben.
3. November
Ich war für zwei Tage mit einer Kollegin in Köln auf einer Messe. Es ging mir unglaublich schlecht, am liebsten hätte ich wie jeden Tag ununterbrochen geweint, aber ich musste mich beherrschen und mich auf die Gespräche konzentrieren und ließ mir nichts anmerken. Abends ging ich mit ihr essen und beim Verdauungsspaziergang am Kölner Dom vorbei. Wir gingen hinein. Es fand gerade eine Messe statt. Die Atmosphäre beruhigte mich etwas. Als ich endlich in meinem Hotelzimmer war, bekam ich plötzlich fürchterliche Bauchschmerzen und musste mich übergeben. Mir war total übel, ich bekam Schüttelfrost und schlief erst mitten in der Nacht ein. Am nächsten Morgen waren die Symptome Gott sei Dank verschwunden. Anscheinend hatte mein Körper total verrückt gespielt.
Wieder zu Hause angekommen, fühlte ich mich unendlich einsam, mein ganzer Körper schmerzte, und ich schrie und weinte vor Schmerz und Kummer. Ich schmiss mich auf mein Bett und trommelte mit den Fäusten gegen das Kissen. Mein Weinkrampf wollte nicht enden. Ich wusste nicht, wie ich die nächsten Monate überstehen sollte.
4. November
Metin und ich hatten uns eine Woche nicht gesehen und gesprochen. Er hatte nur eine Nacht zu Hause geschlafen. In der Post war ein Nachsendeantrag für ihn. Ich bekam einen erneuten Adrenalinstoß. Ich konnte durch das Brieffenster seine neue Adresse lesen. Sie war in einem Bezirk, in dem die meisten Türken in Berlin wohnen. Ich zitterte und weinte, als ich den Brief öffnete und mich vergewisserte. Ich beschloss, dort hinzufahren, wenn es dunkel war. Er war wirklich ausgezogen! Ich konnte nicht mehr klar denken und kaum noch atmen. Um 16.30 Uhr stand ich vor seinem Haus. Zwei Türken kamen aus einem Laden, der sich im Erdgeschoss befand. Ich fragte sie nach ihm, sie sagten mir, er wohne im Hinterhaus im Erdgeschoss. Als ich durch den Hof ging, konnte ich in ein Zimmer schauen, in dem das Licht brannte, und sah ihn. Vor dem Fenster gab es keine Gardinen. Ich ging zur Wohnungstür, wollte klingeln und spähte vorher durch den großen Spion. Ich sah den Flur, der in ein Zimmer mündete. Ich sah ihn umhergehen, dann sah ich eine schwarze Katze. Metin hasste Katzen. In diesem Moment kam eine junge Frau mit schulterfreiem T-Shirt und hochgesteckten Haaren aus einer Tür, die rechts vom Flur abging. Es war wahrscheinlich das Bad. Ich konnte nicht mehr atmen und war wie gelähmt. Sie ging zu ihm. In diesem Moment erhielt er einen Anruf und sagte danach auf Türkisch zu ihr, dass seine Frau vor fünf Minuten hier gewesen wäre. Anscheinend hatte ihn einer der Männer informiert. Er verzog das Gesicht. Sie sahen sich einen Moment schweigend an. Ich klingelte. Es dauerte einen Moment, bis er die Tür öffnete. Ich war wie panisch und stürmte an ihm vorbei durch den Flur in das Wohnzimmer, von dem aus die offene Küche und das Schlafzimmer abgingen. Ich sah sie nicht. Ich sah nur ein leeres Wohnzimmer mit einem Fernseher und einigen Flaschen auf dem Boden, eine leere Küche und im Schlafzimmer eine Matratze und einige Tüten. Er schrie: „Was machst du hier?“ Ich riss die Badezimmertür auf, und da saß sie auf dem Wannenrand. Sie war Türkin und sah aus wie Anfang zwanzig, das heißt zirka fünfzehn Jahre jünger als er, und ich fand sie ausgesprochen unattraktiv. Ich fragte sie, ob sie Deutsch versteht. Sie nickte. Ich fragte Metin, wie lange das schon ginge mit ihr. Er sagte: „Zwei Wochen.“ Ich schrie ihn an, dass er letzte Woche noch Sex mit mir haben wollte. Er schrie zurück, dass wir seit zwei Monaten getrennt wären.
Er wollte mit mir auf die Straße gehen, wo wir weitersprachen. „Ich habe gesagt, dass ich allein leben wollte. Ich habe gesagt: Ruf mich in einem Jahr an.“ Ich fragte: „Liebst du sie?“ Er antwortete: „Nein, aber ich probiere. Ich bin schon alt, und wir hatten kein Kind.“
„Ich bin schockiert. Erst sagst du, du willst allein leben, dann hast du schnell eine andere Frau.“
„Das ist mein Leben! Wir leben nicht zusammen. Die Wohnung gehört mir allein.“
„Sie hat eine Katze. Wenn die Katze auch da ist, wohnt sie bei dir.“
Ich redete ohne Zusammenhang: „Ich bin erstaunt, wie schnell das bei einer türkischen Frau geht. Oder du kennst sie schon länger und hast mich angelogen. Ich dachte, du hättest mehr Geschmack, sie ist sehr hässlich. Eine Frau mit Stil und Verstand macht das nicht.“
Als ich wieder in meinem Auto saß, rief ich Patrizia an und erzählte unter Tränen das soeben Erlebte. Sie war tief bestürzt und konnte es nicht glauben. Sie und Metin hatten sich auch immer gut verstanden. Danach rief ich Metin nochmals an, und wir hatten im Prinzip denselben Dialog wie wenige Minuten zuvor auf der Straße.
Ich konnte nicht wegfahren, ich musste noch einmal zurück- gehen, spähte noch mehrmals durch den Spion und die Fenster und drehte zwischendurch immer eine Runde um den Block, um meine Gedanken um das Gesehene, das so unfassbar war für mich, irgendwie zu ordnen. Einmal liefen beide herum und räumten etwas auf, das andere Mal sah ich beide, sich umarmend, auf der Matratze liegen. Dann stand er auf und hängte Handtücher vor die Fenster.
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