Nach sechs Monaten fand ich über die Zeitung eine Arbeit für ihn in einer Autoreparaturwerkstatt, die er leider nur einige Monate behielt, da es der Firma finanziell schlecht ging. Es folgten bis zu unserer Trennung im August 2006 noch drei weitere Arbeitsverhältnisse. Das Längste behielt er eineinhalb Jahre, das Kürzeste sechs Wochen. Es waren 400-Euro-Jobs oder Jobs, in denen er drei Tage in der Woche zu tun hatte. In den acht Jahren unseres gemeinsamen Lebens in Deutschland hatte er insgesamt nur drei Jahre gearbeitet. Ich hatte fast die ganzen Jahre über unermüdlich Bewerbungen geschrieben, die Zeitungen und das Internet nach Jobs durchgeforstet, mit ihm bei Zeitarbeitsämtern gesessen, damit er in deren Kartei aufgenommen wurde, ihm Vorschläge gemacht und im ganzen Freundeskreis gefragt. Leider war er bei der Arbeitssuche nicht so unermüdlich wie ich, und so brach ich regelmäßig einen Streit vom Zaun, beschimpfte ihn als faul und stumpfte nach einigen Jahren innerlich immer mehr und mehr ab. In der Türkei hatte er einen guten Job gehabt und relativ gut verdient, und anfangs wollte ich dasselbe für ihn in Deutschland. Er bekam Jobs angeboten, die ich für unter seiner Würde hielt. Ich verdiente gut und konnte uns beide unterhalten, wir flogen ein- bis zweimal im Jahr in den Urlaub, und ein- bis zweimal im Jahr flog er zusätzlich zu seiner Familie in die Türkei. Nach einigen Jahren wäre ich allerdings froh gewesen, wenn er nur irgendeinen Job angenommen hätte.
Zwei Jahre nach seiner Ankunft bezogen wir in der Nähe des Tegeler Sees eine größere Wohnung. Es war eine schöne Gegend und nicht mehr mitten in der Stadt.
Er war ein herzensguter, freundlicher und gütiger Mann mit einem guten, geradlinigen Charakter, der auf fast alle meine Wünsche einging und mich über alles liebte, was er mir bis sechs Monate vor unserer Trennung mehrmals wöchentlich sagte. Er war bei allen Menschen beliebt, und wenn er Arbeit hatte, arbeitete er wie ein Pferd. Er lernte schnell Deutsch, zunächst an der Volkshochschule, später mit einer türkischen Studentin, die mit ihm die Grammatik übte, und er fügte sich gut ein in unser Leben in Deutschland, wofür ich ihn oft bewunderte, ebenso für seine Toleranz. Er war eifersüchtiger als ich, obwohl ich ihm in all den Jahren nie einen Grund dafür gab, wie ich meinte. Wenn ich mit meinen Freundinnen ausging, wünschte er mir immer nur viel Spaß. Umgekehrt war es genauso. Erst im Laufe der Ehe, als unser Sexualleben nicht mehr so aufregend war wie am Anfang, kam in ihm der Gedanke auf, dass ich ihn betrügen könnte, wenn ich auf einer Dienstreise war. Da dies nie der Fall war, tat es mir immer leid, wenn er nach meiner Rückkehr diese Befürchtungen äußerte, und er blieb misstrauisch.
Im Jahr 2003 verlor er seinen Vater und ich meinen Bruder. Dadurch änderte sich meine Einstellung zu vielen Dingen. Der Alltag mit meiner oft harten Arbeit im Vertrieb einer großen Firma, mein Part der täglichen Organisation unseres Lebens, die wir uns nach einiger Zeit teilten, der Haushalt und die Suche nach Arbeit bekamen einen neuen Stellenwert. Es hatte für mich fortan Vorrang, dass wir gesund waren und uns liebten, und ich hörte auf, ihm Vorwürfe zu machen wegen seiner Nachlässigkeit, sich eine Arbeit zu suchen. Ich versuchte zufriedener zu sein, während er immer unzufriedener wurde.
Dennoch verfiel ich durch unsere Lebensumstände mehr in die männliche und er in die weibliche Rolle, was unserer Beziehung nicht gut tat. Hinzu kam es zwischendurch immer wieder dazu, dass ich abends überarbeitet und mit schlechter Laune nach Hause kam, mich über Kleinigkeiten aufregte und die tägliche Arbeit, die ich daheim zu erledigen hatte wie Einkaufen, Putzen, Kochen, Papierkram, Telefonate etc. mich oft überforderte. Ich hatte das Gefühl, mich niemals ausruhen zu können, außer am Sonntag, wenn Metin nach dem Frühstück verschwand (was mir nichts ausmachte, denn er traf sich nur mit seinen Freunden, und ich freute mich, dass er Freunde hatte, die sogar zum Teil aus seinem Heimatort kamen) und ich mich daran gewöhnte, den Tag allein oder auch mit Freundinnen zu verbringen.
Dennoch: Wir hatten viele Freunde, mit denen wir oft zusammen waren, wir feierten, wir liebten uns trotz vieler Streits, und mir war in den ganzen Jahren in jeder Minute bewusst, dass ich menschlich gesehen den besten aller Männer hatte, der anderen Frauen nicht nachstellte, mich von Herzen liebte und mit meinen Macken leben konnte. Ich dachte niemals daran, dass wir uns einmal trennen würden, denn für mich geht eine Ehe bis zum Tod. Ich bin der Ansicht: Wenn man sich für einen Menschen entschieden hat und ihn heiratet, geht man mit ihm durch alle Höhen und Tiefen und sollte sich nie wieder trennen, es sei denn, aus ganz schwerwiegenden Gründen. Für mich hätte es nur zwei Gründe gegeben: Gewalt und Drogen.
Unsere Ehe war kinderlos, was er unter allen Umständen ändern wollte, ich aber nur unter der Voraussetzung, dass er eine dauerhafte Arbeit hätte, ansonsten hätte ich nach wenigen Monaten Pause wieder ganztags für drei Personen arbeiten gehen müssen, was mich komplett überfordert hätte. Ich lag oft schweißgebadet und angstvoll nachts wach, wenn die Babyfrage wieder auf dem Tableau war, und mein Verstand sagte mir, es wäre nicht gut, in unserer Situation ein Kind zu bekommen. Nach und nach bekamen alle seine Freunde Kinder, die zum Teil von Sozialhilfe lebten. Nur wir hatten keine Kinder. Oft beneidete ich meine Freundinnen und Kolleginnen, die Kinder hatten und entspannt sein konnten, da ihre Männer eine regelmäßige Arbeit hatten und so viel Geld nach Hause brachten, dass die Frauen ein bis zwei Jahre zu Hause bleiben konnten, bevor sie wieder halbtags arbeiten gingen. Irgendwann bemerkte ich, dass er immer die Wohnung verließ, wenn die kleinen Kinder meiner Schwester bei uns waren. Nach und nach sah er keine Zukunft mehr für uns beide, irgendwann kam auch sein Satz „Sozialhilfeempfänger bekommen auch Kinder“ und forderte mich ab dem Frühjahr 2006 mehrmals während eines Streits auf, einen Anwalt aufzusuchen, um mich über die Formalitäten einer Scheidung aufklären zu lassen.
Dies tat ich am 15. Juni. Ich dachte nicht an eine Scheidung, ich ordnete das Gespräch beim Anwalt für mich als eine Art Informationsgespräch ein. Da Metin keine Arbeit hatte und wir kurz nach seiner Einreise nach Deutschland einen Ehevertrag aufgesetzt hatten, auf den ich sehr zu seinem Unmut bestanden hatte, war es für mich auch wichtig zu wissen, was im Fall einer eventuellen Scheidung finanziell auf mich zukommen würde. Da ich das Gespräch erst einmal für mich selber verarbeiten wollte, erzählte ich Metin erst drei Tage später ganz rational davon. Wir waren uns beide des Schrittes dieses Gespräches beim Anwalt bewusst, wir rissen uns wohl unbewusst wieder zusammen, und dadurch normalisierte sich unser Leben wieder. Wir stritten nicht mehr so oft, und einige Wochen lang war es ein schöner Sommer wie jeder andere auch, mit Biergarten, Strandbars, Freunde treffen, schwimmen gehen und vielen anderen Aktivitäten. Die Fußballweltmeisterschaft fand in Deutschland statt, und wenn Deutschland spielte, trafen wir uns mit Freunden zum gemeinsamen Fernsehen, oder wir lagen zu zweit auf unserem Bett, tranken ein Bier, wedelten mit dem Deutschland-Fähnchen und freuten uns. Mitte Juli verbrachten wir ein harmonisches Wochenende an der Ostsee, schwammen, radelten und spazierten durch die Gegend. Alles war wie immer – jedenfalls für mich.
Als Metin mir am Abend des 30. August 2006 nach einem Streit mitteilte, dass er mich definitiv verlassen wollte, um ein neues Leben anzufangen, ging es uns beiden schlecht. Ich erinnere mich noch, dass ich trotzdem erleichtert war, dass er es ausgesprochen hatte und nicht ich. Am nächsten Morgen teilte er mir mit – wir hatten wohl beide in der Nacht kein Auge zugemacht –, dass ich ihn vier Wochen in Ruhe lassen solle. In dieser Zeit sollte ein Grundstück, das seine Familie besaß, verkauft werden, und das wollte er abwarten. Dieser Verkauf war für ihn äußerst schlimm, es war sozusagen ein Symbol für den Verkauf seines Lebens, seiner Heimat, und auch deshalb war er völlig bodenlos geworden und fiel in ein tiefes Loch. Mein Schockzustand begann. Wir wohnten unter einem Dach, schliefen in getrennten Zimmern, und ich plante in diesem Zustand mein weiteres Leben ganz rational ohne ihn. In diesen Wochen hatte ich meinen Sommerurlaub genommen, den ich nun ohne ihn verbrachte, und ich sah ihn nur selten, da er am Tag kaum zu Hause war. Ich ging sehr vorsichtig mit ihm um. Ich fragte ihn nicht, was er machte und wie er seine Tage verbrachte. Anfangs frühstückten wir noch zusammen, dann hörte auch das auf. Den 16. September 2006 – es war ein Samstag – verbrachten wir ruhig gemeinsam in unserer Wohnung, und als ich abends fragte, ob er mit mir zusammen essen wolle, wurde er ärgerlich. Er fühlte sich von dieser Frage eingeengt, kam einige Minuten später zu mir und meinte, er wolle schon am morgigen Tag mit mir final sprechen.
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