18. November
Wann würde der Schmerz nachlassen? Ich fühlte mich so klein, so unscheinbar, so schlecht, und ich quälte mich den ganzen Tag mit Selbstvorwürfen. Mein Leben war kaputt. Alles, wofür ich gelebt und gearbeitet hatte, war nicht mehr da. Das Liebste, was ich besaß, war für immer weg. Ich hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Und obwohl ich nur von Tag zu Tag lebte, waren diese unendlich schwer. Ich litt unter den körperlichen Schmerzen, unter dem Schlafmangel, unter den Albträumen, unter der steten Unruhe und unter Appetitlosigkeit. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich dieser Zustand irgendwann einmal ändern würde. Egal was ich auch machte, ich dachte weiterhin jede Sekunde an ihn und daran, wie schlecht es mir ging. Oft dachte ich, dass es gar nicht wahr wäre, was ich erlebte. Morgen ist alles wieder gut. Bestimmt kommt er zu mir zurück. Er liebt sie doch gar nicht. Er liebt doch noch mich. Ich verbrachte also die Tage zwischen Hoffnung und bitterer Realität.
Ich schaute mir einen Raum in einer Altbau-WG in der City an. In der Wohnung wohnte eine Frau mit zwei kleinen Kindern. Schon beim Anblick des mit dunklem Holz getäfelten Treppenhauses bekam ich Beklemmungen. Der Raum, den ich bewohnen konnte, hatte ein Hochbett und roch muffig, die Kinder stritten unaufhörlich, und ich fing fast an zu weinen bei dem Gedanken, hier einzuziehen. Ich erklärte ihr meine Situation, dankte ihr für die Besichtigung und verschwand. Mein ganzer Körper schmerzte wieder, vor allem der Magen. Abends trank ich wieder zu viel Rotwein und rauchte und weinte unaufhörlich.
20. November
Heute war der erste Tag ohne Tränen. Ich konnte klar und analytisch denken und meinte, etwas Abstand zu ihm zu spüren. Ich mistete wieder meine Schränke aus und annoncierte einige Bücher bei ebay. Dennoch war der Gedanke „Metin ist weg“ nach wie vor ein Albtraum.
Im Internet las ich, dass Männer statistisch gesehen zehn Monate nach der Trennung wieder in festen Händen wären, Frauen im Schnitt nach vierzig Monaten. Begründung: Männer trösten sich mit Sex. Frauen analysierten gescheiterte Beziehungen und nutzten die Phase nach dem Ende, ihr Leben neu zu ordnen.
21. November
Dafür ging es mir heute ganz schlecht. Im Büro heulte ich schon vormittags. Abends ging ich mit meiner Freundin Lisa in eine Tapas-Bar. Wir analysierten und analysierten. Ich hatte Schwierigkeiten zu verstehen, dass er sein neues Leben in einer kleinen Eineinhalbzimmerwohnung ohne Möbel gegen ein Leben mit mir eintauschte. Sie sagte: „Das mit der Frau würde ich nicht überbewerten. Du bist mental stark. Warte noch zwei bis drei Monate, dann sieht die Sache für dich schon wieder anders aus. Alles wird gut. Mach eventuell einen langen Urlaub oder gehe für einige Monate weg. Warte ab, irgendwann hast du eine eigene Wohnung und amüsierst dich wieder.“ Ich dachte jetzt zum ersten Mal: Ich muss mich amüsieren. Immerhin dachte ich schon mal daran.
Ich las immer wieder die vier Phasen der Trennung und ihre Auswirkungen: Fassungslosigkeit und Verleugnung (kannte ich), langsames Begreifen (war ich mittendrin), langsame Neuorientierung (konnte ich mir noch nicht vorstellen), Lust auf Veränderungen/neues Lebenskonzept (war noch ganz weit weg). Zumindest war ich schon neugierig, wie es aussehen würde.
22. November
Es war der erste Morgen, an dem ich erwachte und über ihn hinausschaute, das heißt an mich und die Zukunft dachte. Ich wollte nicht mehr zurückdenken, sondern nach vorn, an ein Leben ohne ihn, und ich wollte wieder lachen.
Am Vormittag rief Jürgen an, ein langjähriger Bekannter, der zwanzig Jahre älter war. Wir hatten uns während meiner Ehe aus den Augen verloren, und ich hatte ihn neulich angerufen, als ich mit einem Mann sprechen wollte. Er hatte nach seiner Trennung zwei Jahre gelitten. Er wollte wissen, wie es mir ging. „Renn’ ihm nicht hinterher. Das turnt ihn nur noch mehr ab und nervt ihn und bringt ihn nur noch mehr weg von dir. Mit der Frau lenkt er sich ab. Auf keinen Fall hinterherlaufen! Wie kann man eine schöne und intelligente Frau wie dich verlassen! Arbeite, geh aus, lenk dich ab. Sitz nicht zu Hause. Ich rufe dich von Zeit zu Zeit an.“ Seine Worte taten mir so gut, dass ich anfing zu weinen, was mir etwas unangenehm war, weil er mich immer nur gut gelaunt erlebt hatte. Es tat sehr gut, mit ihm zu sprechen und seine Worte zu hören.
Ich rief Lisa an. Ihr Freund Markus war am Apparat. Er fragte mich, wie es mir ginge. Er sagte: „Frauen grübeln zu viel. Man muss rausgehen, sich ablenken. Nicht immer daran denken, was man selber falsch gemacht hat. Auch daran denken, welche Fehler der andere gemacht hat.“ Ich fragte ihn, warum es bei Männern schneller geht mit der Schmerzbekämpfung. Seine Antwort: „Sie grübeln nicht so viel.“ Es ging mir danach besser. Mein Magen beruhigte sich etwas.
Abends ging ich zu einer Selbsthilfegruppe, die ihre erste Stunde hatte. Wir waren zu fünft. Ein netter Mann ließ uns uns nacheinander vorstellen und den Grund unseres Hierseins nennen. Dann sollte jeder die zentrale Frage seines Problems nennen, die anderen sollten antworten. Ich lernte auch andere Schicksale kennen, die ich interessant fand, aber vor allem: Ich war mit meinem Kummer nicht allein. Da war zum Beispiel Bettina, deren Mann, mit dem sie seit zwanzig Jahren verheiratet war, sich plötzlich zu einem anderen Mann hingezogen fühlte. Oder Miriam, die verheiratet war und drei Kinder hatte, weswegen sie noch bei ihrem unausstehlichen Mann blieb, der eine Freundin hatte, aber dennoch täglich Sex mit Miriam haben wollte. Meine zentrale Frage war: Wie machen es Männer, dass sie nicht so lange leiden beziehungsweise gleich eine andere haben? Jeder sagte irgendetwas daraufhin, die Antworten stellten mich nicht zufrieden, und mein Eindruck war, dass jeder von uns so tief in sein Problem beziehungsweise seinen Kummer vertieft war, dass wir uns nicht gut in die anderen hineinversetzen konnten. Dennoch wollte ich in der nächsten Woche wieder dabei sein.
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