Angespannt wurden in der Regel nur ältere, bewährte Kühe, die keine Kälber mehr bekamen. Sie zogen die Wagenfracht. Solange eine Kuh noch säugte, wurde sie im allgemeinen als Zugtier nicht benutzt. Nur in Ausnahmefällen, für leichtere Ladungen und wenn die Stammtiere einen schwereren zweiten Wagen zu ziehen hatten, wurde auch eine säugende Kuh mit angeschirrt. War das Kälbchen noch so jung, das es nicht allein im Stall zurückbleiben sollte, lief es während der Fahrt neben seiner Mutter her, munter und ausgelassen, ohne sein späteres Schicksal schon auch nur ahnen. Als die ersten Autos nach dem Krieg wieder auf den Landstraßen fuhren, wurde das Kälbchen hinten am Wagen mit einem Strick angebunden.
Auf der Asphaltstraße war das Fahrgeräusch kaum wahrnehmbar, ein leises Rollen nur, das vom regelmäßigen, leisen Aufklatschen der Hufe begleitet wurde. Diese Ruhe wurde von Ottos immer wiederkehrenden Befehlen an die Tiere unterbrochen: „Schnäller!“, „Schloof nit eeh!“, „Werds baole!“ („Schneller!“, „Schlaf nicht ein!“, „Wird’s bald!“). Auf den Feldwegen war es anders. Da rüttelten die Schlaglöcher den Wagen durcheinander, er rumpelte, rappelte und knarrte, dumpf und hell. Waren die Wege aufgeweicht, schmatzten die eisenbeschlagenen Reifen in dem weichen Lehm, schlürften und saugten sich durch den Matsch. Bei der Getreideernte im Juli waren die Feldwege trocken, dann lief der Wagen leichter.
Getreideernte
Das Getreide wurde geerntet, zunächst Hafer und Gerste und danach der Roggen. Weizen wurde in Berghofen kaum angebaut. Das Klima und der Boden waren nicht entsprechend. Während der langen Schulferien im Sommer halfen wir Kinder auch bei der Getreideernte mit. Das war eine unangenehme Tätigkeit. Otto schnitt mit seinem Mähbalken das Getreide ab, und die übrigen Helfer, Frauen und Kinder, mussten es aufnehmen und zu Garben zusammenbinden. Das geschah mittels gedrehten Strohs, das als Band diente. War eine Garbe fertig, wurde sie beiseitegelegt und die nächste kam dran. Ganz zum Schluss wurden die Garben zu „Hicheln“, in unserem Dialekt hießen sie „Manderl“, zusammengestellt. Eine Garbe wurde wie ein Dach auf jeden Hichel gesteckt. Es sollte das Wasser abhalten, falls unerwünschter Regen kam. Die Hichel blieben zum Nachtrocknen auf dem Feld und die Garben wurden später aufgeladen und in die Scheune gebracht, wo sie bis zum Dreschen lagerten. Dabei mussten die Bauern darauf achten, dass die Ähren nicht zu trocken waren, damit die Körner nicht vor dem Dreschen herausfielen.
Die Kartoffeln müssen raus
Ende Oktober begannen die Kartoffel- und Rübenernten, die sich bis weit in den November hineinzogen. Die Kartoffeln wurden mit dem „Roder“ aus dem Boden geackert und mittels eines sich drehenden Gabelrades mit langen gebogenen Zinken auf dem Acker verteilt. So lagen sie gut sichtbar auf einem Streifen von etwa einem Meter ausgebreitet. Frauen und Kinder lasen die Kartoffeln auf und legten sie in Körbe. Uns schmerzte dabei sehr schnell der Rücken. Waren die Körbe voll, wurden sie in bereitgelegte Säcke geschüttet. Die vollen Säcke standen in langen Reihen auf dem Acker, wurden mit Seilen zugebunden und mit dem Wagen abtransportiert.
Wenn der Wagen mit Kartoffeln oder Rüben voll beladen war, kamen die Zugtiere nur mühsam voran. Dann mussten die Mitfahrer abspringen und schieben helfen, auch wir Kinder. Gelegentlich blieb der Wagen auch ganz stecken. Dann wurden Männer und Frauen von den benachbarten Feldern zum Schieben dazu gerufen. Wenn auch das nicht half, spannten die Bauern weitere Zugtiere vor den Wagen. Waren keine in der Nähe, wurde ein Teil der Ladung unter Fluchen und Verwünschungen abgeladen. Dabei war es zumeist nasskalt, es nieselte oder regnete, die Klamotten waren verdreckt und durchweicht, die Schuhe hielten längst schon keine Wasser mehr ab. Die Füße „matschten“ in den Schuhen, und wenn wir sie am Abend endlich ausziehen konnten, waren unsere Füße eiskalt, weiß, runzelig und steif.
Der Rücken schmerzte, ächzend nur konnten wir uns aufrichten. Den ganzen Tag über, beim Kartoffellesen oder Rübenladen hatten wir Kinder schon über Kreuzschmerzen geklagt, nur um jedes Mal den Spruch der Erwachsenen zu hören: „Ehr hött doch noch goar käh Kräehz!“ oder wenn es unsere Leute waren: „Eeis hodds jo nauh goar ka Grääz!“ („Ihr habt ja noch gar kein Kreuz!“) „Unsere Leute“ waren unsere Familien und die Verwandtschaft – bei uns hieß es „di Freindschoft“ – oder generell die Vertriebenen aus Perbál und den benachbarten deutschen Dörfern in Ungarn.
Bei all dieser Plackerei hatte die Kartoffelernte auch ihre schönen Seiten. Da waren zum einen die Mahlzeiten, die wir auf dem Feld einnahmen. Dazu wurde Kartoffelkraut ausgebreitet und Säcke draufgelegt. Auf ihnen lagerten wir uns. Als die „Giwwelstante“ uns dann ein Stück Brot und Wurst zuteilte, das wir mit Genuss verzehrten, war das wie eine Erlösung. Manchmal gab es auch eine Suppe, die sie auf geheimnisvolle Weise warmgehalten hatte. Zum Trinken bekamen wir heißen Kräutertee aus der Thermosflasche, der mitunter mit Honig gesüßt war.
Sehr schön war es auch, wenn nach der Ernte das Kartoffelkraut zu Haufen zusammengerecht und angezündet wurde. Noch heute sehe ich die brennenden Kartoffelfeuer vor mir und rieche diesen einmaligen, herben Duft. Waren die Feuer herabgebrannt, rösteten wir in der Glut unter der Asche Kartoffeln, die wir noch auf dem Feld gefunden hatten. Sie schmeckten wunderbar, auch wenn Asche und verbrannte Erde daran hafteten. Nicht selten haben wir uns die Lippen und den Gaumen verbrannt, weil wir es gar nicht abwarten konnten, die heißen, duftenden Leckerbissen zu verschlingen.
Dämpfkolonne
Eine große Kartoffelaktion fand im Dezember statt, wenn die Knollen unter heißem Dampf gegart und für die Silage vorbereitet wurden. Dazu kam die „Dämpfkolonne“. Zu ihr gehörten ein großer beheizbarer Dampfkessel mit einem Schornstein und bis zu sechs verschließbare große Kessel, die mit Kartoffeln gefüllt wurden. Waren alle Kessel vollgefüllt, wurde ein verschließbarer Deckel daraufgeschraubt. Ein dicker Schlauch verband die einzelnen Kessel mit dem Dampfkessel. Sie wurden dann unter heißen Dampf gesetzt, um die Kartoffeln zu garen. Um einen Überdruck zu vermeiden, waren Ventile an den Kesseln, aus denen gelegentlich zischend heißer Dampf entwich.
Nach etwa einer halben Stunde waren die Kartoffeln gar, und der Dampf wurde unter lautem Zischen vorsichtig aus den Kesseln abgelassen. Danach wurden die Deckel abgenommen und die Kessel wurden ins Silo gebracht. Der Transport dieser etwa zehn Zentner schweren Kessel erfolgte auf einem speziell dafür konstruierten Gefährt, das nur aus großen Eisenrädern und stabilen eisernen Halterungen bestand, die unter dicke Bolzen an der Seite der Kessel angesetzt wurden. Eine lange Führungsdeichsel, die von zwei Männern bedient wurde, hatte eine so große Hebelwirkung, dass die Kessel angehoben, ins Silo gefahren und dort ausgekippt werden konnten. Manches Mal funktionierte das aber nicht so reibungslos und der Kessel knallte auf den Boden, wobei die obere Kartoffelschicht herausgeworfen wurde. Manchmal kippte aber auch der gesamte Kessel beim Anheben um, und ein Berg heißer Kartoffeln lag auf der Straße. Sie wurden mit Schaufeln auf Schubkarren geladen und ins Silo gekippt.
Das war der Augenblick für uns Kinder. Wir fischten uns eine Kartoffel, schälten sie und aßen sie auf, leider – wieder – oft zu gierig, sodass wir uns Mund, Schlund und Magen verbrannten. Bald hatten wir aber begriffen, dass wir erst heftig blasen mussten, um eine erträgliche Temperatur zu erreichen. Aus Schaden wird man eben klug. Die Kolonne stand häufig zwischen zwei Bauernhöfen auf der Straße und beide Bauern dämpften an einem Tag. Das bedeutete für uns eine lange Zeit mit heißen Kartoffeln, die uns bei Frost auch zum Wärmen der Hände dienten. Die Kartoffeln im Silo wurden mit einer Plane abgedeckt, darauf folgte bald eine dicke Schicht Erde. Unter dieser Abdeckung fingen die Kartoffeln an zu gären und wurden dadurch haltbar. Im Winter stachen die Bauern mit einem Spaten diese Silokartoffeln ab und verwendeten sie als Schweinefutter.
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