Hubert Wiest
Dennis und Guntram – Zaubern für Fortgeschrittene
(Band 2)
Für Nina, Janek, Ben und Lola
Fünftklässler Dennis Blauberg hat endlich einen guten Freund gefunden, den zehnjährigen Zauberer Guntram Mempelsino von Falkenschlag. Ein Zauberer als Freund könnte vieles einfacher machen. Doch seit Kalle, der Anführer der Haibande, in Guntrams Zauberstab gebissen hat, geht beim Zaubern so einiges schief. So cool wie Kalle, Eddie und Bruno von der Haibande wäre Dennis auch gerne, aber die drei pöbeln Dennis und Guntram immer nur an.
Dennis Blaubergwäre gerne etwas mutiger. Am liebsten verbringt er die Zeit mit seinem besten Freund Guntram Mempelsino von Falkenschlag.
Guntram Mempelsino von Falkenschlagträgt altmodische Klamotten und kann zaubern. Was andere Menschen über ihn denken, ist ihm ziemlich egal. Und für seinen Freund Dennis würde er alles tun.
Kalle Schmitt, Sohn des Bürgermeisters, ist der Anführer der Hai-bande und bestimmt, wo es langgeht.
Eddiegehört seit der zweiten Klasse zur Haibande und ist Kalle treu ergeben.
Brunofragt nicht lange, wenn es darum geht, Kalles Befehle auszuführen.
Guntram war weiß wie Mehl. Blut tropfte aus seinem Mund. Die eiszapfengroßen Vampirzähne glitzerten im Licht der Straßenlaternen. Mit seinem dunkelgrünen Samtumhang und dem weißen Rü¬schenhemd sah er aus wie Graf Dracula.
„Echt gruselig“, meinte Dennis und setzte seine Monstermaske auf. Giftgrüne Plastikwürmer bohrten sich durch die Stirn der Maske, die Augen leuchteten rot, und aus dem eingebauten Lautsprecher drang ein Schluchzen.
Guntram schulterte den Einkaufsbeutel. „Meinst du, er ist groß genug?“
Dennis nickte. Die Würmer wackelten auf seiner Stirn hin und her. „Wir starten beim Bäcker. Dort bekommen wir sicher Süßigkeiten.“
Dennis konnte nur trippeln, denn sein weißes Gespenstergewand reichte bis zum Boden und war unten so eng, dass er kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte.
Vor der Bäckerei fragte Guntram: „Wie geht das noch mal? Was müssen wir sagen, damit wir Süßigkeiten bekommen?“
„Süßes oder Saures“, sagte Dennis. Er hatte es Guntram heute Nachmittag schon ein Dutzend Mal erklärt. „Und wir müssen grimmig sein. Nur keine Freundlichkeiten.“
Die Glocke bimmelte, als sie die Ladentür aufdrückten. Die Bäckerin kam aus dem Nebenraum. Sie wischte ihre mehligen Hände an der Schürze ab. Fröhlich lachte sie Guntram und Dennis an: „Meine Herren, ist Ihnen nicht gut? Sie sehen blass aus.“
Guntram knurrte wie ein Tiger.
„Sie klingen erkältet“, sagte die Bäckerin und griff nach einem großen Glas, gefüllt mit kirschroten Hustenbonbons.
Guntram hörte nicht auf zu knurren.
„Nun sag schon“, zischte Dennis seinem Freund zu, der den Text offensichtlich schon wieder vergessen hatte.
„Was wünschen die Herren?“, fragte die Bäckerin. Sie hielt die Hand voll köstlich duftender Kirschbonbons.
Dennis nahm seinen ganzen Mut zusammen. Noch nie hatte er an Halloween Bonbons gefordert. Er war immer nur mitgegangen, hatte hinterher seinen Teil abbekommen, aber jetzt musste er es über die Lippen bringen. Guntram knurrte nur. Er war heute zu nichts zu gebrauchen.
Dennis holte tief Luft, dann haspelte er: „Süßes oder Saußes.“ Auch noch versprochen. Mann, war das peinlich, aber in der Verkleidung würde ihn die Bäckerin wenigstens nicht erkennen.
Die Frau lachte. Sie gab ihnen reichlich Bonbons. Auch noch zwei Schokoriegel und ein paar Kaugummis warf sie in den Beutel.
Als die beiden gingen, rief die Bäckerin ihnen nach: „Und richte deiner Mama noch schöne Grüße aus, Dennis.“
Dennis lief knallrot an. Aber wenigstens sah man das nicht unter der Maske. Guntram knurrte immer noch.
„Hör endlich auf mit dem Mist“, zischte Dennis und schob seinen Freund voran. Endlich fiel die Ladentür hinter ihnen ins Schloss.
„Super“, strahlte Guntram mit seinem Draculagesicht. „Das hat hervorragend geklappt, auch wenn ich den Spruch irgendwie anders in Erinnerung hatte.“ Dennis knuffte Guntram in die Seite. Sie mussten beide lachen.
Auch in den nächsten Geschäften machten Dennis und Guntram fette Beute. Sie wechselten sich ab und wenn Dennis knurrte, rief Guntram voller Begeisterung: „Süßes oder Saußes.“ Es klappte hervorragend.
Ihr Beutel war bald zum Platzen voll mit den herrlichsten Süßigkeiten. Als sie aus der Metzgerei kamen, beschlossen sie, ihre Beute nach Hause zu bringen und in Dennis' kuschelig warmem Zimmer zu genießen. Es nieselte jetzt, und der ganze Heimweg lag noch vor ihnen. Dennis schlotterte unter seinem Gespenstergewand. Es war viel zu dünn. Er hätte seinen Daunenanorak darunter anziehen sollen, wie seine Mutter gesagt hatte. Die Monstermaske fühlte sich an, als wäre sie festgefroren. Er schob sie nach oben wie einen Hut. Die Plastikwürmer nickten im Takt seiner Trippelschritte.
Guntram nieste. Das künstliche Draculablut hatte sich inzwischen mit der weißen Schminke zu einem rosafarbenen Brei vermischt. Er klapperte mit den Zähnen.
„Für heute reicht es“, schniefte Guntram.
Der Gehweg war kaum zu erkennen. Die Straßenlampen auf ihrer Seite waren ausgefallen. Plötzlich sprangen drei Gestalten hinter einer Gartenmauer hervor. Sie trugen schreckliche Masken ohne Augen und Nasen, dafür mit riesigen Mäulern. Rotes Licht glühte aus ihren Rachen und beleuchtete die messerspitzen Zähne. Der Größte von ihnen trug einen riesigen Sack auf dem Rücken.
„Süßes oder Saures“, grunzte er.
Das sind auch nur Kinder, versuchte sich Dennis zu beruhigen. Trotzdem zitterte er jetzt mehr vor Angst als vor Kälte. Aus dem Lautsprecher seiner Maske kam jetzt ein klagendes Seufzen.
„He, das geht nicht. Wir sind selbst gruselige Monster“, rief Guntram erbost und begann zu knurren. Er fletschte sein kleines Draculagebiss und drückte Dennis die Monstermaske wieder ins Gesicht. Die Würmer zappelten aufgeregt hin und her, und die roten Augen blinkten.
Die drei Gestalten lachten schaurig.
„Her mit dem Krempel“, grunzte einer. Die beiden anderen sagten kein Wort und traten einen Schritt auf Dennis und Guntram zu. Sie hoben ihre Fäuste.
„Niemals“, schrie Guntram Mempelsino von Falkenschlag und holte mit dem Beutel aus, um zuzuschlagen. Er fauchte wie ein Tiger. „Nichts bekommt ihr von uns. Nichts Süßes und nichts Saußes.“
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