Hubert Wiest - Die Schattensurfer

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Die vierzehnjährige Sansibar möchte endlich im Netzwerk von RUHL aufgenommen werden. Alle wollen aufgenommen werden. Ihre beste Freundin gehört längst dazu. Sansibar lernt wie besessen für die Aufnahmeprüfung. Sie ist bereit, alle Gedanken mit dem mächtigen Netzwerk zu teilen. Nur die einzige Erinnerung an ihre verschwundene Mutter will sie für sich alleine behalten.
Computergenie Luan hat nur ein Ziel, Programmierer zu werden. Doch mit einem Diebstahl ruiniert er seine ganze Zukunft und muss fliehen. Sansibar will Luan helfen, oder sind es nur seine tintenblauen Augen, die sie süß findet? Auf jeden Fall hat sie Luan noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen, aber genau das behauptet Luan. Die beiden haben keine Zeit die Sache zu klären und Luan ist überzeugt, dass Sansibar ihn verraten hat. Da macht Kalawesi, der Besitzer eines Vergnügunsparks, Luan ein unglaubliches Angebot.
Zum Selberlesen, Vorlesen, Zuhören, Zittern, Bibbern, Mitfiebern und Genießen!
Selbst im hintersten Winkel des Internets ist vermeintlich Privates längst öffentlich. Wohin führt diese Entwicklung? Wie lange bleiben unsere Gedanken noch geheim? Oder muss das Wort Geheimnis bald aus unserem Wortschatz gestrichen werden? Was wäre wenn…?
Die Schattensurfer zeichnen ein Zukunftsszenario ohne zu moralisieren oder zu werten. Abwechselnd aus der Perspektive von Luan und Sansibar geschrieben sind die Handlungsstränge ineinander verwoben und zeigen die Träume und Ziele zweier Teenager in einer oberflächlich bunten Welt. Aber sind sie auch bereit für ihre Wünsche gegen RUHL zu kämpfen? Doktor Tornham und die Sipos verkörpern das totalitäre Netzwerk. Mit Emotionen und Irrationalität gibt Vergnügunsparkbesitzer Kalawesi viel Farbe in die technisierte Welt.
Ein Buch, in dem es nicht um Technik sondern um Menschen geht.
"… Ein Hammer-Buch, nicht nur für Jugendliche", Andrea H.
"Ich bin begeistert. Die Geschichte hat mir super gut gefallen", Andreas S.

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Hubert Wiest

DIE SCHATTENSURFER

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Titelgestaltung: sempersmile

Kontakt:

Literarische Agentur Hoffman GmbH

Roswitha Kern

Landshuter Allee 49

D-80637 München

Agence Hoffman

Lektorat: Christina Krey

E-Book ASIN: B00GSF6NUW

E-Book ISBN: 978-3-8476-6784-1

Taschenbuch ISBN: 978-1493556175

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Für Nina, Janek, Ben und Lola

1 DIE SACHE MIT DEM GELIEHENEN GELD

„Das Geheimnis ist eine der größten geistigen Errungenschaften der Menschheit.“

Georg Simmel 1907

Luan drückte sich ganz dicht an die Stahlsäule, die das gewölbte Vordach hielt. Es war verboten, nachts hier draußen herumzulungern, wie es Mama Berta wohl genannt hätte. Die nasse Betonzufahrt glitzerte abwechselnd rot und blau. Die blinkende Neonschrift des Vordachs spiegelte sich auf dem Boden: Häppy Kidz. Sein ganzes Leben lang, jeden Tag, musste Luan diesen lächerlichen Schriftzug sehen. Aber selten war er glücklich. Wie sollte er auch? Er war in diesem Heim aufgewachsen. Seine Eltern kannte er nicht einmal.

Endlich erloschen die Lichter in der Küche. Darauf hatte er lange genug gewartet. Gleich würde die Köchin aus dem Nebeneingang kommen und auf ihrem Scooter nach Hause gleiten. Das tat sie jeden Abend um diese Zeit. Luan wusste es. Er wartete nicht zum ersten Mal darauf.

Da zischte die Tür. Die Köchin trat heraus. Luan hörte, wie sie die Tür hinter sich schloss und mit dem Code verriegelte. Ein Pfeifen bestätigte die Aktivierung. Luan grinste über dieses altmodische System, das Mama Berta wohl für sicher hielt. Schon mit acht Jahren konnte er es knacken und jetzt war er fünfzehn.

Die Köchin stieg auf ihren Scooter und schloss die Glaskuppel. Surrend schwebte der Scooter über die Betonausfahrt hinaus.

Luan blickte sich noch einmal um. Im Haupthaus war es ruhig. Um diese Zeit schliefen alle. Auch Frau Bertowa, die Heimleiterin. Mama Berta, wie sie von den Kindern genannt wurde, achtete penibel genau auf die Bettruhe.

Luans Puls pochte. Dabei hatte er es schon einige Male getan. Nie hatte es Probleme gegeben.

Luan drückte sich von der Stahlsäule ab. Wie ein Kaninchen schlug er Haken über den Betonweg. Luan wusste genau, wo ihn die Kameras nicht einfangen konnten. Uralte Kameras. Zum Glück hielt Mama Berta nichts von moderner Technik.

Sein Atem pumpte, als er vor der Tür stand, und das nicht nur wegen des Spurts. Mit der rechten Hand strich er über den biegsamen Bildschirm, den er wie ein breites Band um sein Handgelenk trug. Man hätte es für ein ceeBand halten können, aber Luan hatte es selbst gebaut. Niemals hätte er sich ein echtes ceeBand leisten können. Taschengeld gab es bei den Häppy Kidz nicht. Mama Berta vertrat die Ansicht, dass Kinder kein Geld bräuchten. Sie bekämen schließlich zu essen und zu trinken, Kleidung und was sie sonst noch bräuchten. Mama Berta war wirklich nicht von dieser Welt. Sie war schuld, wenn sich Luan Geld ausleihen musste.

Neben der Tür war eine altmodische Glasplatte in die Wand eingelassen. Eine Zahlentastatur leuchtete auf. Er hielt sein ceeBand daneben. Wie geklont erschienen auf seinem Armband die gleichen hellblauen Ziffern, von 0 bis 9. Für einen Moment geschah nichts. Luan hielt die Luft an. Dann blinkten auf seinem ceeBand die Ziffern 8-7-3-4-7. Luan tippte sie in der gleichen Reihenfolge auf die Glasplatte. Und mit der letzen 7 fuhr die Stahltür zischend auf.

Luan grinste. Mit seinem ceeBand kam er überall hinein. Es war um Klassen besser als das Original.

„Es kommt schließlich niemand zu Schaden“, versuchte sich Luan Mut zu machen. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht. Er schlich durch die Schleuse und presste sich an der glatten Wand entlang. Mit dem Ellenbogen fühlte er endlich die Ausbuchtung zur Küche. Vorsichtig drückte er die Klinke und öffnete die Tür. Er schlich hinein. In riesigen silbernen Töpfen spiegelte sich die rot-blaue Leuchtschrift von draußen wider. Der stechende Duft des Küchenreinigers mischte sich mit Sauerkrautgeruch. Luan hasste Sauerkraut. Jeden Freitag gab es Sauerkraut. Heute Mittag hatte er wieder nur Kartoffeln gegessen.

Luan glaubte ein leises Zischen zu hören. Er blieb stehen, wartete wie versteinert und wagte nicht zu atmen. Nur sein Pulsschlag pochte.

Er musste sich getäuscht haben. Da war nichts, ganz bestimmt nichts.

Luan ging um den großen Herd, der wie ein Eisberg aus der Mitte der Küche ragte. Über der Spüle in einem Regal stand sie, die gelbe Kakaodose. Das Etikett war völlig abgegriffen und das lächelnde Jungengesicht darauf längst nicht mehr zu erkennen.

In dieser Dose versteckte die Köchin immer ihre Karte. Natürlich wusste es Luan. Er stellte sich auf die Zehenspitzen. War da nicht ein Geräusch?

Nein, nichts. Alles still. Mit den Fingerspitzen bekam er die Dose am Rand zu fassen und versuchte sie zu sich zu ziehen. Dabei riss er eine Tüte Nudeln mit. Sie rutschte über die Kante des Regalbretts, schlug auf dem sauber gescheuerten Boden auf und zerplatzte. Wie Murmeln schossen die Makkaroni über die Fliesen.

So ein Mist! Luan riss den Deckel der Kakaodose auf. Er tastete hinein. Ja, er konnte sie fühlen, die kleine Plastikkarte. Mit nervösen Fingern nahm er sie. Hoffentlich war genug Geld aufgeladen. 100 Euro brauchte er diesmal. Er würde das Geld zurückgeben. So wie er es immer getan hatte.

Von dem Geld konnte er Bauteile kaufen, um einen Computer für einen Bekannten zu bauen. Dieser hatte ihm viel Geld versprochen. Luan könnte seine Schulden zurückzahlen und trotzdem würde ein wenig übrig bleiben.

Luan schob die Geldkarte in den Leseschlitz seines ceeBands.

Da war wieder dieses Geräusch. Es klang, als würde jemand atmen. Oder war es die Pressluft der Schleuse?

Luans ceeBand leuchtete auf. Fünf Einhundert-Euro-Scheine erschienen auf dem Display. Luan strich über einen Schein und drückte den Knopf „abbuchen“. Der Schein flatterte auf sein Konto. Davon konnte er die nötigen Bauteile kaufen. Und er würde das Geld ganz bestimmt zurückzahlen. Noch nie hatte er seine Schulden vergessen.

Mit einem Knall wurde die Küchentür zugeschlagen. Die Kakaodose rutschte Luan vor Schreck aus den Händen. Sie donnerte zu Boden.

Surrend sprang das Neonlicht an. Luan kniff die Augen zusammen. Die Küche strahlte gleißend weiß. Ein dunkler Schatten löste sich von der Tür – eingehüllt in einen graubraunen Frotteebademantel. Die Haare wurden von einem Netz zusammengehalten. In der Hand hielt der Schatten ein Schwert. Nein, es war ein Regenschirm. Luan klammerte sich an der Spüle fest. Dort stand Mama Berta, ausgerechnet Mama Berta. Warum hatte ihn nicht wenigstens die Köchin erwischt?

„Luan, du Dieb“, herrschte ihn Frau Bertowa mit eisiger Stimme an.

Luans Magen klumpte wie saure Milch. Er wagte nicht, Mama Berta in die Augen zu sehen. Er blickte auf die Nudeln, die verstreut über den Boden lagen. „Ich habe noch Hunger gehabt. Freitagmittag gibt es immer Sauerkraut. Das vertrag ich nicht“, murmelte er und bückte sich, um die Nudeln einzusammeln. Die Hand mit seinem ceeBand hielt er hinter dem Rücken.

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