„Gefällt sie Euch nicht?“, fragte der junge Lord verunsichert. Die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben.
Doch ihre Augen weiteten sich vor Freude. „Ganz im Gegenteil. Ich bin überwältigt!“ Sie konnte es kaum glauben und eilte auf das anmutige Tier zu. Sanft strich sie ihm über die Nüstern und lehnte ihre Stirn gegen den Kopf des Pferdes.
Richard trat näher an sie heran und lächelte. „Ich möchte, dass Ihr glücklich seid, Isabell. Und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Euch ein Leben nach Euren Wünschen zu ermöglichen.“
Isabell konnte ihre Freude und Erleichterung nicht mehr verbergen und umarmte Richard stürmisch. „Habt Dank! Sie ist wunderschön.“
Als sie sich wieder von ihm löste, hielten die beiden kurz inne und Richard küsste sie sanft auf die Wange. Erneut errötete Isabell. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
„Wollt Ihr sie ausreiten?“, fragte er und kannte bereits ihre Antwort.
Isabell lächelte und nickte. Richard half Isabell auf das edle Tier. Die junge Frau spürte seine sanften Berührungen und Blicke. Konnte es möglich sein, dass sie sich tatsächlich zu diesem jungen Mann hingezogen fühlte? War es möglich, dass sie Gefühle für den ihr ausgesuchten Gemahl entwickelte? Isabell hatte so etwas noch nie zuvor erlebt und konnte ihre Gedanken und Gefühle nicht einordnen. Damit hatte sie nicht gerechnet.
Die beiden waren gerade durch das Tor geritten, als Lord Leichester auf den Burghof trat.
„Richard!“, rief er ihnen hinterher.
„Wartet hier, Isabell, ich bin gleich wieder da.“
Richard erkannte seinen Vater und machte kehrt. Isabell verweilte vor dem Tor, während Richard zu seinem Vater zurücktrabte.
„Was wollt Ihr, Vater?“
Edward hielt das Pferd seines Sohnes an den Zügeln fest. „Was tust du?“ Seine Stimme klang besorgt.
Richard wandte den Blick zu Isabell und lächelte. „Ich verbringe Zeit mit meiner Zukünftigen, Vater. So wie Ihr das wolltet, oder nicht?“
Edward nickte. „Schon gut, schon gut. Nur reitet nicht zu weit von der Burg fort.“
Richard lächelte erneut „Wie Ihr wünscht, Vater.“
Dann trieb er das Pferd an und ritt zurück zu Isabell. Gemeinsam galoppierten sie über die weiten Wiesen und ritten durch den angrenzenden Wald. Der Sturm der letzten Tage hatte nachgelassen und so bemerkten die beiden die Kälte kaum, als sie durch den Wald trabten. Isabell erzählte von ihrer Kindheit und fühlte sich in Richards Gegenwart immer wohler. Isabell hatte in der Nacht, als sie nicht einschlafen konnte, über Richards Worte nachgedacht. Nun fragte sie sich, wieso er so betroffen war, als sie ihn nach seinem Bruder gefragt hatte. Vor allem war Isabell aufgefallen, dass dieser auch nicht unter Lord Leichesters Männern war. Deshalb wollte sie mehr darüber erfahren.
„Ist Euer älterer Bruder bereits verheiratet?“, fragte sie interessiert nach.
Richard hielt sein Pferd an und sah sie traurig an. Betroffen schüttelte er den Kopf. „Mein geliebter Bruder William weilt leider nicht mehr unter den Lebenden.“
Isabell fühlte sich schrecklich. „Verzeiht! Ich wollte nicht …“
„Ist schon gut, Isabell. Mein Bruder war auch nicht verheiratet.“
„Das tut mir leid, verzeiht bitte meine dumme Frage, ich wusste ja nicht …“
„Ist schon gut“, unterbrach er sie. „Er ist schon vor vielen Jahren von uns gegangen. Doch sein Verlust schmerzt immer noch wie am ersten Tag. Er ist viel zu früh von uns gegangen.“ Richards Augen füllten sich mit Tränen und er wandte den Blick von Isabell ab, denn sie sollte ihn nicht so schwach sehen.
Sie streckte ihre Hand zu ihm aus. „Das tut mir sehr leid für Euch und Eure Familie.“ Ihre Augen waren voller Mitgefühl. Nun bemerkte sie wie sich Richards Körper verspannte.
„Es geschah auf der Jagd. William war damals erst fünfzehn Jahre alt.“ Traurig senkte er seinen Blick. „Er war unglücklich vom Pferd gestürzt und noch vor Ort an seinen Verletzungen gestorben.“
Isabell hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ihr müsst ja am Boden zerstört gewesen sein.“ Sanft strich sie mit ihrer Hand über seine.
Richard nickte und blickte Isabell mit glasigen Augen an. „Mein Vater war taub vor Schmerz und meine Mutter von Trauer umhüllt.“ Richard atmete tief ein und wieder aus. Der junge Mann zwang sich zu einem Lächeln. „Doch lasst uns von erfreulichen Dingen sprechen und die grausame Vergangenheit hinter uns lassen.“
Sie nickte. Er hielt ihre Hand fester und sie ritten weiter über die große Ebene.
Kaum hatte Isabell ihre Gemächer betreten, wurde sie aufgeregt von ihrer Zofe begrüßt.
„Ihr müsst mir alles erzählen, Lady Isabell!“ Die Worte der jungen Bediensteten überschlugen sich beinahe, so aufgeregt war sie.
Isabell lächelte verträumt. „Er hat mir eine wunderschöne Stute geschenkt.“
Elizabeth klatschte vor Freude die Hände zusammen. „Das ist doch wunderbar! Er sorgt sich bereits um Euch, my Lady.“
Isabell nickte und setzte sich vor den Kamin. „Es ist ein wunderschönes Tier. So stark und doch edel und sanftmütig.“
Elizabeth begann der jungen Lady die Haare zu bürsten. „Nun, es scheint wohl so, als wäre Richard Leichester doch eine gute Partie, meint Ihr nicht?“
Isabell lächelte verlegen. „Es scheint wohl so.“
Elizabeth hatte die junge Lady schon vor einer Weile allein gelassen, doch Isabell lag noch lange wach in ihrem Bett. Sie versuchte all diese Eindrücke zu sortieren. Da kamen ihr die Worte von Richard während des Ausrittes in den Sinn, als er über den Tod seines Bruders gesprochen hatte. In seiner Stimme erkannte sie so viel Schmerz und Sanftmut. Er trat stets tadellos auf. Sie fragte sich, ob es möglicherweise nur eine Fassade war. Machte er ihr vielleicht nur etwas vor? Isabell lief ein kalter Schauer über den Rücken. Was, wenn Richard nur vorgab ein freundlicher, verständnisvoller und zuvorkommender Mann zu sein? Wie würde ihr Leben an seiner Seite aussehen? Sollte dieser Mann ihre Zukunft sein? Isabell schob diesen beängstigenden Gedanken rasch beiseite und schloss die Augen.
Die letzten Tage waren schnell vergangen. Isabell verbrachte viel Zeit mit ihrem zukünftigen Gatten, doch wann immer sie es einrichten konnte, zog sie sich in ihre Gemächer zurück. Dort fühlte sie sich sicher und manchmal vergaß sie dort den nahenden Abschied und träumte vor sich hin. Am Abend, bevor sie in ihr neues Heim aufbrechen sollte, sprach sie mit Lord Leichester. Er hatte Isabell nach dem Abendmahl zur Seite genommen und erzählte ihr von ihrer Reise nach Dunley Castle.
„Das Geschenk Eures Sohnes gefällt mir wirklich außerordentlich“, bedankte sie sich bei Lord Leichester.
„Das freut mich sehr, Isabell. In der Tat war der Gedanke nicht ganz uneigennützig“, gestand er ihr. „Die Reise nach Dunley Castle wird beschwerlich. Und mit der derzeitigen Witterung kurz vor dem Wintereinbruch ist der Weg auch nicht für Kutschen geeignet. So müsst Ihr wohl oder übel zu Pferd unterwegs sein.“
Isabell sah ihn nachdenklich an. „Verzeiht die Frage, Lord Leichester, aber wie kommen dann meine Habseligkeiten nach Dunley Castle?“
Edward lehnte sich zurück und biss die Zähne zusammen. Er atmete scharf ein. „Nun, Isabell. Sobald wir in Dunley Castle sind, werden meine Schneider eigens für Euch eine völlig neue Garderobe erstellen. Seid unbesorgt, es wird Euch an nichts mangeln. Eure Zofe kann dann im Frühjahr nachkommen.“
Isabell war sichtlich überrascht. Doch sie lächelte ihre Verzweiflung einfach weg. „Ganz wie Ihr wünscht.“ Sie nickte ihm zu. „Es ist schon spät. Ich werde mich zurückziehen.“
„Habt Ihr noch etwas auf dem Herzen, my Lady?“
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