Edward nickte. „Mein Sohn wird Isabell ein guter Mann sein. Das schwöre ich dir bei meinem Leben. Er ist ein guter Junge.“
Die beiden Männer stießen mit ihren Krügen an und tranken auf die baldige Vermählung ihrer Kinder.
Bruce senkte seine Stimme. „Wie geht es Gloria?“
Edward sah kurz zu seinem Sohn hinüber, der etwas abseits der Männer stand, und dann blickte er Bruce tief in die Augen. Er sprach leiser. „Nach dem Tod von William war ihr Leben von Schmerz und Trauer bestimmt. Ich dachte, ich werde sie nie wieder lachen sehen.“ Seine Stimme klang nun ernst und von Trauer belegt. Er stellte seinen Krug zurück auf den Tisch. „Doch Richard hat ihr wieder neue Kraft gegeben.“
Bruce blickte ebenfalls zu Richard und wirkte betroffen. „Edward, ich …“
Doch sein alter Freund ließ ihn nicht ausreden und ballte die Fäuste. „Wir haben Rache genommen an denen, die uns das angetan hatten, doch es hatte für Gloria keine Bedeutung.“ Er schüttelte traurig den Kopf. Seine Augen wirkten glasig. „Ich habe ihnen alles genommen, Bruce. Doch es änderte nichts für sie.“ Lord Leichester leerte den Krug mit einem Schluck und schlug mit der Faust auf den Tisch. „Aber ich hatte meine Rache!“
Bruce packte ihn am Arm und sah ihn entrüstet an. „Du weißt genauso gut wie ich, dass dein Sohn das alles selbst zu verantworten hatte.“
Edward erhob sich und sah Bruce zornig an. Seine Kiefermuskulatur mahlte. Es fiel ihm sichtlich schwer, seine Stimme nicht zu erheben, so aufgebracht war er durch dieses Gespräch. „Er war ein Kind! So einen grausamen Tod hatte er nicht verdient.“ Mit diesen Worten schob er seinen Stuhl nach hinten und stürmte mit großen Schritten aus der Halle hinaus auf den Burghof.
Bruce folgte ihm. „Edward …“
Er wollte seinen Freund beruhigen, denn er spürte dessen Schmerz. Noch nach all den Jahren war der Tod seines Erstgeborenen wie eine offene Wunde. Edward stützte sich am Rand des Brunnens auf.
„Edward, ich weiß, welchen Schmerz du ertragen musstest. Vergiss nicht, ich war dabei in jener schicksalhaften Nacht. Doch ich habe nicht vergessen, wie sich alles zugetragen hatte. Es war dein Sohn, der diesem Mädchen Gewalt angetan hatte.“ Er packte Edward an den Schultern und drehte ihn zu sich.
In den Augen seines Freundes erkannte er neben tiefer Trauer immer noch Zorn und Wut.
„Und die Enttäuschung, dass du mir damals bei meinem Rachefeldzug nicht beigestanden hast, sitzt immer noch tief!“, brummte Edward und löste sich aus dem Griff seines Freundes. Edward hielt Bruce auf Abstand. „Er war mein Erstgeborener, mein Erbe …“ Edwards Stimme drohte zu versagen. In seinem Gesicht lag so viel Schmerz.
Sein Freund machte einen Schritt auf ihn zu und legte seine Hand auf dessen Schulter. Bruce sah ihn mitleidsvoll an. „So tief die Wunde auch war, die der Tod deines Sohnes bei dir hinterlassen hatte, so grausam war auch die Tat, die er selbst begangen hatte. Jeden anderen deiner Männer hättest du selbst dafür bestraft. Und ich möchte mir die Härte deines Urteils in diesem Falle nicht ausmalen.“
Edwards Augen waren mit Tränen gefüllt. Er senkte seinen Blick. Traurig schüttelte er den Kopf.
„Lass uns all das vergessen. Diese dunklen Tage liegen weit hinter uns. Lass uns unser Bündnis und unsere Freundschaft mit der Vermählung unserer Kinder bestärken. Edward, lass uns nach vorne sehen.“
Edward nickte und sie schlenderten gemeinsam über den Burghof. Sichtlich ernster kamen die beiden wenig später wieder in die Halle zurück und setzten sich nun an die schon vorbereitete Tafel. Die Bediensteten hatten bereits begonnen die Speisen aufzutragen, als Sophie zu Isabell hereingestürmt kam.
„Elizabeth? Gut, ihr seid schon fast fertig.“ Sie eilte zu ihrer Tochter und drängte die Zofe zur Seite. „Elizabeth, du kannst jetzt in der Halle helfen. Ich kümmere mich um den Rest.“
Die junge Zofe drückte noch einmal Isabells Hand und blickte sie aufmunternd an. Dann verließ sie das Zimmer.
„Was hat denn da so lange gedauert?“, fragte Ihre Mutter barsch. „Steh auf, damit ich dir ins Kleid helfen kann!“
In Isabell breitete sich große Angst und Verzweiflung aus, als ihre Mutter sie in ihr goldenes Kleid schnürte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.
„Mutter?“ Isabells Stimme klang traurig.
„Was ist denn, mein Kind?“
Isabell zögerte. „Wie ist er denn so?“
Lady Rochdale ließ von dem Kleid ab und drehte ihre Tochter zu sich herum. „Mein liebes Kind …“ Sie atmete tief aus. „Du weißt, mir wäre es auch anders lieber, aber dein Vater …“ Sie stockte kurz. „Es ist Lord Edward Leichesters zweitgeborener Sohn Richard. Ich glaube, er wird dir ein guter Ehemann sein und dich vor allem Unheil beschützen.“ Dann zupfte sie an Isabells goldenen Locken herum. „Ich bin mir ganz sicher, er wird von dir verzaubert sein.“ Sie lächelte ihre Tochter liebevoll an.
Lord Leichester. Isabell erinnerte sich. Es war sicher schon fünfzehn Jahre her. Sie war noch ein kleines Kind gewesen, als sie Lord Edward zum letzten Mal gesehen hatte. Er war ein Mann von beeindruckender Statur. Sie erinnerte sich daran wie sprachlos sie war, denn Lord Leichester überragte ihren Vater noch um einen Kopf. Er war mit Abstand der größte Mann, den sie jemals gesehen hatte. Sie erinnerte sich an sein markantes Gesicht. Seine kühlen blauen Augen und sein glänzend schwarzes Haar. Einen Mann wie ihn hatte sie nie zuvor gesehen. Er strahlte Sicherheit aus, dennoch hatte er etwas Einschüchterndes an sich. Lord Leichester kam damals zu ihrem Vater. Er erzählte ihr Geschichten aus dem Norden und den eisig kalten Wintern dort. Dies sollte bald ihr neues Zuhause sein. Eine grauenhafte Vorstellung. Soweit sie sich erinnern konnte, gingen ihr Vater und Lord Leichester im Streit auseinander. Den genauen Grund dafür kannte sie nicht, doch seither hatte ihr Vater kein Wort mehr über Lord Leichester verloren. Nun wirkten die beiden Männer wieder sehr vertraut, gar wie zwei alte Brüder. Isabell wurde aus all dem nicht schlau. Doch viel Zeit, um darüber nachzudenken, blieb ihr nicht, denn ihre Mutter zog sie bereits hinter sich her. An der großen Treppe nickte sie ihrer Tochter zu.
„So! Und jetzt lass uns in die Halle gehen. Dein zukünftiger Gemahl wartet sicher schon auf dich.“ Lady Rochdale drehte sich am Treppenabsatz noch einmal zu ihr um und nahm sanft Isabells Gesicht in ihre Hände. „Du wirst ihm bestimmt gefallen, es wird alles gut.“ Ihre Mutter schritt elegant die Treppe herunter und nahm neben ihrem Gemahl Platz.
Isabell hielt kurz inne und besah sich ihre Eltern. Die beiden waren das perfekte Paar. Ihr Vater war groß, mit breiten Schultern, leicht ergrautem Haar und einem immer wachsamen Blick. Hingegen ihre Mutter mit lieblichen Gesichtszügen, von kleiner Statur mit fülligem, braunem, langem Haar. Isabell ließ ihren Blick durch die Halle schweifen. An fünf großen Tafeln hatten die Bediensteten die feinsten Speisen aufgetragen. Am Kopf der Halle saßen ihre Eltern, der Tisch stand quer zu den übrigen. Die Männer der Leichesters unterhielten sich angeregt und tranken ausgelassen. Irgendwo unter ihnen befand sich ihr zukünftiger Gemahl. Isabell fühlte sich wie eine Verurteilte auf dem Weg zum Henker. In wenigen Augenblicken wäre ihr Schicksal besiegelt und ihr Leben vorbei. Aber was sollte sie tun? Es gab keinen Ausweg mehr.
Da trat plötzlich Thomas neben sie an die Treppe. Er nickte ihr zu, als er sie in ihrem golden glänzenden Kleid erblickte. „Du siehst wunderschön aus, kleine Schwester.“ Er küsste sie sanft auf die Wange.
Isabell lächelte, doch Thomas erkannte den Schmerz, welchen sie dahinter verbarg.
„Wollen wir?“, fragte er und reichte ihr seine Hand.
So nahm Isabell all ihren Mut zusammen, atmete tief durch und schritt langsam, an der Seite ihres Bruders, die Treppe herunter. Engelsgleich schwebte sie durch die große Halle zu dem Tisch, an dem bereits ihre Eltern und Lord Leichester mit seinem Sohn Platz genommen hatten und verzauberte den jungen Lord vom ersten Augenblick an.
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