„My Lady?“
Isabell öffnete langsam ihre Augen und seufzte. „Wer weiß schon, was das Leben für uns bereithält.“ Ihre zarten Finger strichen sanft über den Rand des Badezubers. Sie sah ihre Zofe gedankenverloren an. „Wer weiß, wohin uns unser Weg führt. Vielleicht ist es Schicksal …“, hauchte sie.
Elizabeth nickte und hüllte den zarten Körper der jungen Lady in ein großes Leinentuch, als diese aus dem Badezuber gestiegen war. Anschließend begann sie ihr die Haare zu bürsten. „Ihr werdet sehen. Es wird alles gut werden.“
Als Elizabeth ihr die Haare zu großen Locken drehte, sah die junge Frau aus dem Fenster. Dort erkannte sie, wie die Männer ihres Vaters das schwere Tor öffneten.
„Lord Leichester kommt an“, flüsterte sie. Ihr Magen verkrampfte sich und eine erdrückende Übelkeit breitete sich in ihr aus. Isabell war neugierig, dennoch musste sie sich zwingen, aus dem Fenster zu sehen. Sie erkannte Lord Edward Leichester, ein alter Freund und Vertrauter ihres Vaters. Hinter ihm ritten mehrere Männer mittleren Alters.
„Da ist Eure Mutter.“
Isabell presste sich ans Fenster, um zu erkennen, welche Männer ihre Mutter begrüßte. Lord Edward stieg elegant von seinem Pferd ab und gab seinem Gefolge ein Zeichen, es ihm gleichzutun. Nun stiegen auch die restlichen Männer von ihren Pferden ab. Isabell hatte keine Ahnung, wer von diesen Männern ihr zukünftiger Gemahl sein würde. Kopfschüttelnd ließ sie sich wieder zurück auf den Stuhl sinken.
„Wie soll ich das nur schaffen? Was, wenn er mir nicht gefällt?“ Sie blickte ihre Zofe verunsichert an. „Was ist, wenn ich ihm nicht gefalle?“ Bei diesen Worten musste sie erneut mit den Tränen kämpfen, denn sie wusste, es würde überhaupt nichts ändern.
Elizabeth versuchte ihr weiter gut zuzureden. „Ihr werdet sehen, es wird alles gut werden. Seid einfach Ihr selbst, ich bin mir sicher, dann wird Euer zukünftiger Gemahl augenblicklich von Euch verzaubert sein.“
Isabell zwang sich zu einem Lächeln und nickte. Innerlich drohte sie vor Verzweiflung zu zerspringen. Zu groß war ihre Angst, den Erwartungen ihrer Eltern und ihres zukünftigen Gemahls nicht gerecht zu werden. Sie könnte es nicht ertragen, den Rest ihres Lebens in einem lieblosen Zuhause gefangen zu sein.
„Bruce!“
Die tiefe Stimme von Lord Leichester donnerte über den Burghof, während er mit großen Schritten und ausgebreiteten Armen auf seinen alten Freund zukam.
„Bruce, endlich sehen wir uns wieder!“
Die beiden Männer umarmten sich herzlich.
„Du bist ja richtig alt geworden, Bruce“, lachte Edward, als er die ergrauten Schläfen seines Freundes bemerkte.
Lord Rochdale beäugte Edward mit gehobenen Augenbrauen und klopfte ihm auf die Schulter. „Und du bist fett geworden, alter Freund!“
Beide brachen in schallendes Gelächter aus. Währenddessen schob sich Lady Sophie neben ihrem Mann vorbei.
„Lady Sophie.“ Edward verneigte sich vor Lady Rochdale und küsste ihr sanft die Hand. „Ihr seid bezaubernd wie eh und je. Um keinen Tag gealtert, my Lady.“
Lady Sophie musste schmunzeln und nickte ihm zu „Und Ihr, Lord Edward, seid immer noch ein Charmeur.“
Lord Leichester hob die Arme. „Ihr müsst Thomas sein!“, rief er voller Begeisterung, als er den jungen Mann hinter Bruce erblickte.
Thomas hatte sich neben seine Mutter gestellt und nickte ihm zu. „Lord Leichester.“
Edward legte ihm lächelnd die Hände auf seine Schultern. „Bitte, nenne mich Edward. Wir sind ja bald eine Familie.“ Er nickte Bruce zu. „Einen prachtvollen, starken Sohn hast du da. Aus ihm ist ein echter Mann geworden.“ Er wandte sich wieder zu Thomas. „Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du noch so ein kleiner Bursche“, lachte er und hielt die Hand ungefähr auf Höhe seiner Hüften. Neben Lord Edward schob sich ebenfalls ein junger Mann, etwa einen Kopf kleiner und von schmaler Statur. Edward legte seine Hände auf die Schultern des jungen Mannes „Seht! Mein Sohn, Richard.“
Der junge Mann verneigte sich. „My Lord, my Lady.“
„Kommt mit in die große Halle, wärmt Euch erst einmal auf und erholt Euch von der anstrengenden Reise.“ Lady Sophie ging voran.
Thomas verschwand in einem unbeobachteten Moment und schlich zu dem Gemach seiner Schwester. Isabell zuckte nervös zusammen, als es an der Tür klopfte.
„Wer ist da?“, fragte die Zofe.
Isabell brachte kein Wort heraus.
„Ich bin es, Thomas. Lass mich rein!“
Isabell sank erleichtert in ihrem Stuhl zusammen. Elizabeth öffnete die Tür. Thomas huschte herein und sah seine Schwester einen Moment lang nur wortlos an.
„Und? Hast du ihn gesehen?“ Die junge Frau rutschte nervös auf ihrem Stuhl weiter nach vorne. Ihre Augen waren vor Aufregung weit aufgerissen. Thomas kniete sich vor sie und nahm ihre zarten Hände in die seinen. „Nun sag schon!“ Ihre Worte überschlugen sich beinahe.
Er verzog sein Gesicht. „Ach, Isabell!“ Er atmete schwer aus. „Dein zukünftiger Gemahl …“ Er stockte.
„Was?“, fragte Isabell atemlos. „Was ist mit ihm?“ Ihre Augen waren immer noch weit aufgerissen.
Thomas antwortete nicht, er starrte sie eine Weile einfach nur an. „Es tut mir so leid, Isabell! Dein Zukünftiger ist Lord Leichesters alter, hässlicher Cousin Bernard.“
Isabell hielt den Atem an. Für einen kurzen Augenblick schien es ihr, als wäre ihr Herz stehen geblieben. Thomas hob die Augenbrauen und wartete auf Isabells Reaktion. Sie zog ihre Hände zurück und schluchzte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen „Was?!“, hauchte sie verzweifelt.
Thomas konnte sich nicht länger verstellen und lachte laut los. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen, Isabell!“ Vor lauter Lachen verlor der junge Mann beinahe das Gleichgewicht. Er hatte seiner Schwester wieder einmal einen üblen Streich gespielt.
Isabell war dabei keineswegs zum Lachen zumute. Wütend ohrfeigte sie ihn. „Thomas Rochdale!“, schimpfte sie. „Schämst du dich denn gar nicht, mich so zu erschrecken?!“
Thomas konnte kaum noch atmen. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und rieb sich die schmerzende Wange. „Liebste Schwester!“ Er schüttelte den Kopf und nahm sanft ihre Hände. „Es ist ein junger Mann. Lord Edwards Sohn.“
Isabell atmete erleichtert aus. Ihre Zofe legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.
Thomas verzog sein Gesicht. „Du würdest ihn vielleicht sogar als attraktiv ansehen. Ich kann das nicht beurteilen“, sagte er schulterzuckend.
Erleichtert umarmte sie ihren Bruder. „Danke, Thomas!“ Anschließend schubste sie ihn von sich. „Mach so etwas nie wieder! Hörst du?“, fauchte sie ihn an.
Er lachte nur. „Wir sehen uns später in der Halle.“ Thomas küsste sie auf die Wange und verließ lächelnd ihr Gemach. Noch auf dem Gang konnte er sich sein Grinsen nicht verkneifen.
Bald schon war die Halle voll mit Lord Leichesters Männern und Lady Sophie zog sich zurück, um ihre Tochter zu holen. Auf dem Weg zu Isabells Gemächern traf sie auf Thomas, welcher immer noch erheitert von Isabells Reaktion auf seinen Scherz grinsen musste.
„Mutter!“
Lady Sophie sah ihn musternd an. „Was ist denn so amüsant, Thomas?“, fragte sie.
„Nichts, Mutter. Ich dachte nur gerade daran, wie still es hier sein wird, wenn Isabell mit den Leichesters geht.“
Lady Sophie hob die Augenbrauen und schüttelte den Kopf. „Mach dich fertig und gesell dich zu den Männern in der Halle!“, wies sie ihn an, ohne seiner Aussage weiter Beachtung zu schenken.
Thomas eilte in sein Gemach, um sich anschließend in die große Halle zu begeben.
Bruce saß indes neben Edward und legte ihm seine Hand auf die Schulter. „Das wir eines Tages wieder so eng miteinander verbunden sein werden, wer hätte das gedacht.“
Читать дальше