"Die wir ja glücklicherweise in Sennor de Valla haben," ergänzte der Cura.
"O ja, gewiß."
Zu welcher politischen Partei die Vivandas sich bekannten, wußte Tejada nicht, doch war klar, daß die Beschützer eines d'Alcantara nicht freundlich gegen einen Minister gesonnen sein konnten, der die Güter dieser Familie in Besitz hatte, abgesehen von allem anderen, was den Sprößling Don Pedros von de Valla trennte.
Da er, als vom Norden kommend, mit den Verhältnissen dort besser vertraut sein mußte als die Bewohner des Ocoaufers, obgleich er weniger davon wußte als sie, scheute er sich, durch Fragen sich Blößen zu geben und äußerte nur: "Ein gütiges Geschick möge unser teueres Vaterland vor Unglück behüten und ihm den Frieden erhalten."
"Amen," sagte der Cura.
"Sie werden gewiß bald Bogotá aufsuchen, Don Alonzo?" fragte Tejada dann.
"Das wird mit der Zeit gewiß geschehen," erwiderte der Cura freundlich an Stelle des Jünglings, "einstweilen wollen wir unseren Pflegesohn noch etwas in unserer Nähe behalten."
"Man wird den Sohn des edlen Don Pedro mit Freuden in Bogotá willkommen heißen, und wenn ich ihm dort etwas nützen kann -?"
"Sehr freundlich, Sennor, aber unsere Verbindungen genügen."
Er hieß Tejada noch einmal willkommen und befahl dem Majordomo, ihm ein Gastzimmer anzuweisen.
Als der Gast sich entfernt hatte, befragte der Cura den Jüngling um die Ursache seines abstoßenden Benehmens gegen diesen.
"Ich halte den Mann für einen Bandido, Vater," erwiderte er kurz.
Der alte Herr erschrak bei dieser schroffen Äußerung.
"O -o, Alonzo, womit begründest du ein solches Urteil?"
"Sieh dir sein Gesicht an, Vater, ich wittere die Nähe des Raubtieres."
Bei der Besorgnis, die die Vivandas für Alonzo hegten, die gestiegen war, seit er öffentlich als d'Alcantara proklamiert worden war, schoß jetzt dem Cura der Gedanke durch den Kopf, daß Alonzo von dem Menschen, der die unverkennbaren Zeichen des Abenteurers trug, eine Gefahr drohen könne, die der Jüngling instinktiv vorausfühle.
Daß ein Mann, gleich de Valla, nicht davor zurückschaudern würde, nach dem Erben Pedro d'Alcantaras den Meuchelmörder auszusenden, war dem Cura traurige Gewißheit; darum war ja dessen Abstammung ängstlich als Geheimnis bewahrt worden, bis zu dem Augenblicke, wo Alonzo selbst in hochherziger Aufwallung Eugenio Kenntnis davon gegeben hatte.
Bei einigem Nachdenken mußte sich der Cura indessen sagen, daß de Valla, wenn er von Alonzos Dasein jetzt erführe, zugleich auch wisse, daß dieser seinem Sohne mit eigener Gefahr heldenmütig Freiheit und Leben gerettet habe.
So verworfen war kein Mensch, um dem Retter seines Kindes nach dem Leben zu streben.
Außerdem konnte de Valla kaum Kunde von den Vorgängen im Gebirge durch Eugenio haben.
"Nein, nein," sagte sich tröstend der Greis, "meine Besorgnisse sind übertrieben, von diesem Fremden ist nichts für Alonzo zu besorgen."
Er ging deshalb auf seine Äußerungen nicht weiter ein, sondern ermahnte ihn, seine Antipathie gegen den Mann zu bekämpfen und die üblichen Höflichkeiten dem Fremden gegenüber nicht außer acht zu lassen, worauf er ihn in der gewohnten gütigen Weise verabschiedete.
Die Brüder Vivanda, die jetzt, wo Alonzo durch seinen verwegenen Zug gegen die fast unangreifbaren Aimaràs der Held des Tages geworden war, die Zeit gekommen glaubten, das Dunkel, das über seiner Abkunft schwebte, zu lüften, und die viel tiefer in die Bewegungen der politischen Parteien eingeweiht und besser über die Vorgänge in Bogotá unterrichtet waren, als es bei ihrer Zurückgezogenheit den Anschein erweckte, hatten lange Schreiben an den Präsidenten Alonzos wegen gerichtet. Abschriften aller Beweismittel über dessen Abkunft, für den Fall diese überhaupt bezweifelt werden sollte, waren beigefügt, um Alonzos Ansprüche auf Namen und Abstammung zu begründen und zwar im Einverständnisse mit den einflußreichsten ihrer Nachbarn, die wie sie bereit waren, diese Ansprüche zu vertreten.
Man mußte harren, was von Bogotá aus erfolgen werde, und freilich Alonzo d'Alcantara, dessen Name bei der herrschenden Partei sehr verhaßt war, gut bewachen. Schritte hierfür waren, obgleich für den Augenblick nichts zu besorgen war, durch Don Vivanda, freilich ohne Wissen Alonzos, schon getan. Und der Fremde? Nun auch ihm gegenüber konnte man ja vorsichtig sein.
Derselben Meinung war übrigens des Cura Bruder, als er zurückkehrte, er äußerte aber: "Wenn Alonzo diesen Menschen für einen Bandido hält, wird er sich schon vor ihm hüten, dennoch wollen wir auf unseren werten Gast acht geben, die Zeiten sind wild und wir sind in Bogotá nicht gut angeschrieben. Wer weiß, ob man uns den Herrn nicht von dort geschickt hat, um ein wenig zu spionieren."
Trotz dieser Stimmung der beiden Brüder wurde Tejada mit einer rücksichtsvollen Höflichkeit von ihnen behandelt, die nichts zu wünschen übrig ließ.
Tejada selbst aber war sehr ernst und nachdenklich geworden, und der ihm erteilte Auftrag schien ihm immer schwieriger zu werden.
Tejada war scharfsinnig genug, zu erkennen, daß er in den Vivandas lebenskluge, mächtige und einflußreiche Leute vor sich hatte, und daß es auf der reich mit Arbeitern versehenen Hacienda nicht leicht sein werde, einen Streich gegen Alonzo zu führen, abgesehen davon, daß der Bursche ungewöhnliche Kraft und viel Mut besaß. Und wie hatte ihn der Mensch behandelt? Dieser Knabe, ihn, einen Caballero? Geradezu mit Verachtung.
Sein Leben auf das Spiel zu setzen, um sich in den Besitz der fünftausend Pesos zu bringen, dazu verspürte der tapfere Kriegsmann keine Neigung und auf den stupiden Peon, den er sich angeworben hatte, war ja kein Verlaß.
Dabei tauchte ihm von neuem der Gedanke auf, daß de Valla, der ja in den nächsten Tagen Kenntnis von dem erlangen mußte, was auf Otoño in Gegenwart vieler Menschen vor sich gegangen war, einen anderen beauftragen möchte, Alonzo hinwegzuräumen, und dann entging ihm der Preis. Daß jetzt de Valla mehr als je daran gelegen sein mußte, den Träger eines Namens, der, wie er sich überzeugt hatte, von weithin hallendem Klang war, zu beseitigen, war klar. Doch für den Augenblick war nichts von de Vallas Seite zu besorgen, und man mußte zusehen; es war ja nicht das erste Mal, daß er mit Erfolg eine Kugel aus dem Hinterhalt abgefeuert hatte. Er bewegte sich auf Otoño mit großer Sicherheit, schwatzte von seinen Kriegsabenteuern, von den Gefahren, die er an der Seite Pedro d'Alcantaras überstanden, benahm sich gegen Donna Elvira mit einer caballeromäßigen Höflichkeit und gegen den kühl höflichen Alonzo mit einer gönnerhaften Zärtlichkeit.
Donna Elvira fühlte gleich Alonzo einen instinktiven Widerwillen gegen den geschwätzigen Menschen mit der ihr unheimlichen Physiognomie. Tejada aber schien das alles nicht zu bemerken. Sein Peon, der der Dienerschaft zur Pflege übergeben war, fühlte sich augenscheinlich sehr wohl auf Otoño und zwar umsomehr, als sein Herr seine Dienste kaum in Anspruch nahm. Maxtla oder Juan schlenderte auf der ausgedehnten Besitzung umher, teilte seine Zigaritos mit den indianischen Arbeitern und horchte aufmerksam ihren Erzählungen von dem Sennorito, den alle sehr zu lieben schienen. Von seiner Kühnheit und Kraft berichteten sie Wunderdinge. Alle wußten auch, daß Don Alonzo der Sohn eines großen Capitanos sei und jetzt selbst ein großer Capitano werde. Aber sie wußten auch, daß böse Menschen ihm nach dem Leben strebten und hatten oftmals große Angst um ihn, wenn er in die Llanos ritt.
Ein nicht minder scharfes Auge wie auf die Umgebung hatte Maxtla auf Tejada und Alonzo und beobachtete sie in einer so unscheinbaren Weise, daß dies selbst Alonzo entging, der die Wachsamkeit des wilden Indianers besaß und außerdem von ihm vor drohender Gefahr gewarnt worden war.
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