Feuer zündeten sie nicht an. Sie verzehrten von den mitgeführten Vorräten. Edgar bettete Luise und den Knaben, welche den anstrengenden Marsch ziemlich gut ertragen hatten, warm in eine geschützte Ecke und alle gaben sich dem Schlafe hin.
Mit der aufgehenden Sonne nahmen sie den Weg wieder auf.
Athoree, welcher einsah, daß des Grafen Schwester und der Knabe nicht zum zweitenmal einen solchen Marsch zurücklegen konnten, ohne zur Fortsetzung der Flucht unfähig zu werden, änderte gegen seine ursprüngliche Absicht den Weg und nahm die Richtung nach dem oberen Laufe des Eskonaba.
Eine Marschunfähigkeit besonders Luisens konnte verhängnisvoll werden, denn daß die Saulteux, sobald ihnen die Entführung bekannt wurde, in wildester Wut nachsetzen würden, war zweifellos. Die Schmach, daß ein Hurone mitten unter ihnen gewesen sei und sie eines kostbaren Kleinods beraubt habe, mußte sie zur Raserei treiben.
Die Gefahr, bei zeitiger Entdeckung der Flucht Luisens von den schnellfüßigen Feinden eingeholt zu werden, lag unter diesen Umständen nahe.
Athoree glaubte ihr ausweichen zu können, wenn er einen Teil des Weges zu Wasser zurücklegte, wo dann die Frau neue Kraft zur Fortsetzung des Marsches finden würde.
Von der geraden Richtung ablenkend, näherte er sich also dem Flusse, wo er Ka-noes zu finden erwartete, da sowohl Saulteux als Huronen dort zu fischen pflegten und ihre Boote in Verstecken unterbrachten, wenn sie den Fluß verließen.
Luise war trotz der ungewohnten Anstrengungen in heiterer Stimmung, Die Zeit war für sie nicht vorhanden und sie hoffte heute wie gestern, dem ersehnten Gatten zu begegnen.
Wilhelm, ein überaus kräftiger Knabe, der, trotzdem er stetig in Gesellschaft seiner Mutter war, doch viel von den Gewohnheiten seiner indianischen Umgebung angenommen hatte, eilte auch heute leichtfüßig einher und beobachtete auf dem Marsche dieselbe Vorsicht wie Athoree.
Der kleine Zug verließ das felsige Terrain und tauchte in hochstämmigen Wald ein. [424]
Nach etwa einer Stunde erreichten sie einen wasserreichen Bach, der nach Westen zu floß.
Athoree war das Land der Saulteux durch seine öfteren Streifzüge in ihren Wäldern im allgemeinen bekannt, doch dieser Bach machte ihn stutzen.
Seiner Richtung und der ganzen Bodengestaltung nach mußte er dem Eskonaba zufließen.
Er erwies sich als zu tief, um anders als schwimmend überschritten werden zu können, und einen Baum zu fällen, um ihn als Brücke über den Bach hinstürzen zu lassen, fehlten die Mittel, denn Athorees kleines Streitbeil vermochte keinen Stamm von geeigneter Stärke niederzulegen.
Es blieb also nichts übrig, als jenem Bache zu folgen.
Athoree sowohl als Wilhelm spähten mit scharfen Augen umher, denn auch der aufgeweckte Knabe kannte bereits die Zeichen der Wälder.
Er berührte leicht den Indianer und deutete nach einem jenseits des Baches liegenden Baumriesen, der durch einen Sturm entwurzelt, morsch danieder gefallen war.
Alle blieben stehen und betrachteten den wie es schien ausgehöhlten Baum, ohne etwas an ihm zu erblicken, was die Aufmerksamkeit des Knaben rechtfertigen konnte.
Athoree aber hatte sein Auge kaum auf den Baum gerichtet, als er des Knaben Kopf freundlich streichelte und sagte: »Gut. Das kleine Bleichgesicht hat Indianeraugen. Denken, finden Kanoe.«
An dem dicken Ende des Baumes lagen große Rindenstücke, und diese waren es, welche das in den Wäldern geübte Auge des Kindes auf sich gezogen hatten. Er erkannte sofort, daß nicht die Natur sie so geordnet, sondern Menschenhand und Athorees Erfahrung bestätigte es.
Der Indianer legte seine Waffen und die Jagdtasche ab und schwamm hinüber.
Die Rindenstücke am Ende des Baumes hinwegräumend, erblickte er ein Kanoe, welches er hervorzog und mit leichter Mühe in das Wasser brachte.
Dann schaute er sich mit suchendem Auge um, denn nahe lag die Vermutung, daß das nicht das einzige hier versteckte Fahrzeug sei, denn wenn die Saulteux sich auf dem Bache zum Eskonaba hinunter begaben und auf ihm zurückkehrten, so geschah es stets truppweise.
Des Indianers prüfendem Blick fiel ein Haufen Reisig auf, das vom Sturme niedergebrochen und zusammengeweht schien. Auch hier
[425] sagten ihm untrügliche Zeichen, daß Menschenhand dabei tätig gewesen. Seine sofortige Nachforschung förderte ein zweites Kanoe mit den dazu gehörigen Rudern zu Tage.
Er brachte die beiden Boote an das andre Ufer. Sie waren geräumig genug, die Gesellschaft aufzunehmen.
Edgar half seiner Schwester in das eine, in welchem er selbst mit Wilhelm und Heinrich Platz nahm. Johnson und Michael traten in das andre Boot, während Atho-ree erklärte, er wolle am Lande folgen.
Der Graf und Heinrich hatten bei ihren Streifzügen gelernt, das leichte Boot mit dem Schaufelruder zu handhaben, und Johnson verstand trefflich damit umzugehen.
Sein Boot voran, fuhren sie nun den Bach hinab.
Die Ufer waren dicht bewaldet und die alten Baumriesen streckten ihre Aeste über das schmale, dunkle Wasser, so daß sie oft wie in einem Laubengang einherfuhren, wenn die Zweige sich über ihren Häupten einten.
Sie beobachteten tiefes Schweigen, horchten auf jedes Geräusch und lichteten die Augen auf die Wälder.
Der Knabe saß im Bug des zweiten Bootes und spähte unablässig umher. Seine Mutter betrachtete ihn von Zeit zu Zeit mit glücklichem Lächeln.
Wäre nicht die Sorge vor drohender Gefahr so lebendig in ihnen gewesen, nichts Herrlicheres hätte sich denken lassen, als diese Fahrt auf dem sanft hinströmenden Bach, unter dem grünen Dach zu ihren Häupten inmitten des feierlichen Schweigens des Urwaldes.
Leicht und geräuschlos tauchten sie die Ruder ein und gelangten rasch ihrem Ziele näher.
Wilhelm, dessen Sinne schärfer entwickelt waren, als die jedes andern der Anwesenden, gab dem ersten Boot ein Zeichen, zu halten, dem Johnson sofort nachgab und das zweite Boot erwartete.
»Was gibt's, Kind?«
Leise sagte der Knabe: »Ein Mann in den Wäldern.«
Das kam so ernst und verständig heraus, daß sofort alle zu den Waffen griffen. Angestrengt lauschten sie und durchforschten die Büsche.
Ein gedämpfter Schritt wurde hörbar und am Rande des Ufers erschien Athoree.
Er winkte Johnson und glitt, als dieser sein Fahrzeug zum Ufer trieb, gewandt in dasselbe hinein.
Auf die fragenden Blicke der Männer entgegnete er ruhig: »Saulteux da.«
[426]
Lebhaft erschrak der Graf und warf einen Blick schmerzlicher Besorgnis auf seine Schwester, die in anmutiger Freundlichkeit neben ihm saß.
Der Indianer flüsterte: »Schweigen,« nahm Michael das Ruder aus der Hand und trieb das Kanoe mit vorsichtiger Bewegung weiter. Der Bach wurde breiter und rechts und links zeigte sich Röhricht.
In dieses lenkte Athoree sein leichtes Boot, das andre folgte, und sie befanden sich eng von flüsternden Schilfhalmen eingeschlossen.
Langsam ließ der Indianer sein Boot vorwärts dringen, bis sie einen schmalen Kanal offenen Wassers erreichten.
Hier sahen sie den Himmel über sich und die Wipfel der Bäume nur in einiger Entfernung.
Die Kanoes lagen nebeneinander.
Mit flüsternder Stimme teilte der Wyandot dem Grafen mit, daß der Feind auf dem nahen Eskonaba, den sie bereits erreicht hatten, sei.
»Ist das ein Zufall oder sind sie bereits in unsrer Verfolgung begriffen?«
»Ich denken, sie verfolgen, wollen den Fluß verlegen. Muß weiter oben noch ein Bach sein, den Athoree nicht kennt, daß so rasch zu Eskonaba kommen.«
Es war so, wie er vermutete.
Die Flucht Luisens war rascher entdeckt worden, als die Flüchtlinge ahnen konnten. Der erste Häuptling der Saulteux hatte sich, wie er von Zeit zu Zeit zu tun pflegte, zu Ni-hi-tha, das ist: der Schwester, begeben, um sie nach der Rückkehr von seinem Kriegszuge zu begrüßen.
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