Der Graf wollte reden, aber er vermochte es nicht, so gewaltig pochte ihm das Herz, er verschlang mit den Augen das Bild vor sich.
Jetzt bewegte sich der Fellvorhang und eine schlanke Frauengestalt trat aus dem Zelte.
Der Graf richtete hastig das Glas auf sie und mit einem leisen Schrei ließ er es seiner Hand entsinken. »Luise - Luise,« flüsterte er in einem Tone, der das tiefste Fühlen seines Herzens verriet: »Luise!«
»Das Schwester? He?« fragte mit einem Lächeln Athoree.
»Ja, ja, Freund, das ist die lang Gesuchte,« sagte er mit vor Freude bebender Stimme, »das ist meine Schwester Luise. »Gott sei gelobt, daß er mich diesen Tag erleben ließ.«
Er drückte Athoree die Hand und richtete sein Glas wieder in das Felsenrund.
Der Knabe sprang auf die Frau zu, umarmte und küßte sie zärtlich, sie streichelte ihm Wange und Haar, und beide setzten sich dann an einen roh gefertigten Tisch und nahmen das Frühstück, welches die Indianerin bereitet und aufgetragen hatte, ein.
Das Verhalten der Alten ließ darauf schließen, daß die Gefangene mit großer Ehrfurcht behandelt wurde.
Der Knabe entfernte sich dann mit seinem Bogen, die Indianerin trug einen Stuhl vor die Hütte und holte, wie es schien, eine Näharbeit aus deren Innerem und überreichte sie der Frau.
Dann ging auch sie hinweg.
Dies alles beobachtete der Graf durch sein Glas mit einer tiefinneren Bewegung, wie er sie nie gefühlt hatte.
Da saß vor ihm die Verlorene, so heiß Ersehnte, die so Vieles und Schweres erduldet hatte, eine Gefangene der wilden Rothäute in fast unzugänglicher Gegend. [413]
Nach und nach erst minderte sich die Erregung seiner Seele, schlug sein Herz ruhiger,
»Und was nun, Athoree?« fragte er endlich,
»Jetzt steigen herab, sprechen zu Schwester und dann leise fort.«
»Jetzt, am hellen Tage?«
»Schwester bei Nacht nicht gut klettern auf Felspfad. Müssen jetzt gehen. Niemand dort, kommen niemand dorthin. Kennen Weg, denken niemand uns sehen. Werden weit weg sein, ehe Saulteux es merken.«
»Und wenn man uns erblickte, so wäre alles und für immer verloren.«
»Müssen an Tag gehen, nachts schlafen Krieger vor Fels, ihn zu bewachen.«
»Athoree, Athoree, wenn es mißlänge?«
Der Indianer blickte ihn mit seinen dunklen Augen bedeutungsvoll an und sagte ernst und nachdrücklich: »Glaubst du an großen Geist?«
»Wehe mir, wenn ich es nicht täte.«
»Er lassen finden Schwester, er werden Schwester führen zu den Leuten ihres Stammes.«
»Ja, du hast recht, hat er mich so wunderbar hierhergeleitet, so wird er das Rettungswerk auch gelingen lassen. Laß uns gehen.«
Sie verließen ihren hohen Standpunkt und kletterten, mit großer Vorsicht es vermeidend, daß unter ihren Füßen Steine ins Rollen kamen, hinab und drangen in dichtes Gebüsch ein.
Es gehörten die scharfen Sinne eines Indianers und dessen geradezu wunderbarer Ortssinn dazu, um hier in dem oftmals verschlungenen Unterholz, welches kaum zwei Schritt weit zu sehen erlaubte, die Richtung inne zu halten.
Es war ein kühnes Wagnis, welches diese beiden Männer unternahmen, und es gehörten starke Nerven dazu, um mit Besonnenheit inmitten eines Feindeslagers, wo der geringste unglückliche Zufall sie verraten konnte, zu handeln.
Daß im Falle einer Entdeckung wahrscheinlich augenblicklicher Tod ihr Los sein würde, sagten sie sich selbst, denn aus allem, aus dem Geheimnis, mit welchem die Indianer ihre Gefangenen umgaben, der Art ihrer Aufbewahrung ging hervor, welchen hohen Wert sie ihr beilegten.
Was der kühne Indianer in dem angeborenen und durch Erziehung gefestigten Stoicismus seiner Rasse kaltblütig hier unternahm, [414] vollbrachte der Graf in einem ruhigen, unerschütterlichen Gottvertrauen als ein Gebot heiliger Pflicht.
Für Athoree war außerdem der Ruhm, welchen ihm im Falle des Gelingens diese Tat verschaffen mußte, denn es war nichts Kleines, eine Gefangene aus der Mitte blutdürstiger Feinde am hellen Tage herauszuholen, ein anfeuernder Sporn.
Was sie bis jetzt geschützt hatte und noch schützte, war neben der Klugheit und Vorsicht Athorees und seiner, wie es schien, genauen Kenntnis des Landes, die unglaubliche Kühnheit ihres Vorgehens.
Athoree schloß aus der Art der Gefangenschaft der weißen Frau und seiner Kenntnis des indianischen Charakters, daß der Raum in der Nähe des Felsens bei einiger Vorsicht ohne Gefahr betreten werden könne. Aus allem Bisherigen ging hervor, daß die Saulteux die Gefangene gleich einem Schatze hüteten, wozu unter anderm vielleicht Aberglauben beitragen mochte, wie er sich bei diesen Kindern des Urwaldes in mannigfacher Art äußerte.
Der Indianer hatte schon bei seiner früheren Nachforschung, als sein Instinkt ihn auf den sonderbaren Felskegel aufmerksam werden ließ, zu dem er die alte Indianerin mehrmals mit Speise und Trank hinschleichen sah, bemerkt, daß die gefangene Frau, freilich nach indianischer Weise, auf das vornehmste gekleidet war, ein sicheres Zeichen, wie hoch sie verehrt ward. Indianischer Takt hielt unter diesen Umständen die Bewohner des Dorfes von dem seltsamen Gefängnis fern. Sein feiner Spürsinn hatte auch den Eingang entdeckt, welcher in das Innere des vermutlichen Kraters führte.
All dies ließ ihn mit Vertrauen an das Wagnis gehen.
Vorsichtig schlichen sie durch die Büsche, welche sich auf einer Seite bis dicht an den Rand der Felswand hinzogen, weiter, Schritt für Schritt jedes Geräusch ängstlich vermeidend.
Einmal waren sie auf ihrem Wege dicht an den Rand des Unterholzes gekommen, und der Graf sah eine in eiligem Laufe heranstürmende Schar halbnackter, indianischer Knaben, zwischen ihnen den blonden Germanen, seinen Neffen. In ihrem wilden Spiele gelangten sie bis nahe zu den Büschen.
Der Graf war so gefesselt von dem Anblick, den das Kind seiner Schwester zwischen den roten, gleichaltrigen Söhnen der Saulteux bot, daß er stehen blieb und dem Spiele zusah, ohne an die Gefahr zu denken, in welche er durch die Kinder geraten konnte.
Mit Freuden gewahrte er, daß der blonde Knabe an Gewandtheit allen gewachsen, an Kraft aber überlegen war. [415]
Einem etwas rohen Spielgenossen hatte der Blondkopf soeben einen ganz kräftigen Faustschlag versetzt und mit den gut deutschen Worten begleitet: »Da nimm das, roter Dummkopf!«
Als nun die andern auf ihn eindrangen, sprang er ins Gebüsch und zwar an der Stelle, wo die Männer standen.
Athoree sank augenblicklich zu Boden, der Graf erschrak so heftig, daß er unfähig war, eine Bewegung zu machen.
Schon öffneten sich vor ihm die Zweige und große blaue, staunende Kinderaugen starrten ihn an.
Unbewußt fast flüsterte er leise: »Wilhelm!« und legte den Finger auf die Lippen.
Im Augenblick wandte sich der Knabe, trieb, während der Graf sich aufs Knie sinken ließ, die Genossen, welche folgen wollten, zurück und rief in indianischer Sprache: »Geht, hier wohnt Ni-hi-tha. Ich sage es den Häuptlingen.«
Gleich einem Wirbelwinde stürmte die Schar davon, der weiße Knabe aber blieb ruhig vor dem Gebüsche stehen.
Es war klar, daß den Kindern verboten war, diesen Teil des Waldes zu betreten.
Athoree und der Graf richteten sich wieder empor. »Weißer Knabe klug,« flüsterte der Indianer, »er indianische Erziehung.«
Leise rauschte es in den Blättern und der blonde Knabe stand vor ihnen mit den großen verwunderten und doch über seine Jahre klugen Augen den Grafen anblickend.
»Wilhelm,« sagte er leise und hielt ihm die Hand hin, »komm zu mir.«
Der Knabe nahm vertraulich die Hand.
»Bist du ein Deutscher, Mann?«
»Ja, Kind, ja.«
Aufmerksam betrachtete ihn das Kind.
»Du siehst der Mutter ähnlich.«
Der Graf nickte nur.
»Willst du zur Mutter?«
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